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Goldmedaille
und Juwel
Die Querung des Kattegats scheiterte lange an ungünstigem Wind
– nicht nur bescherte uns das zwei Bonusschären,
sondern uns wurde auch eine Goldmedaille verliehen. Für den
Schluss der Reise verspreche ich den Gästen noch ein Juwel.
Fazit: Die Wetterbedingungen werden mühsamer, doch unsere
Reisen werden immer besser. 
Juli 2025
Mein
Eindruck von Uddevalla: Hier erleben wir das
„echte“ Schweden. Im Pipi-Langstrumpf-Land der
Schären sind so gut wie alle Gebäude
Sommerhäuser. Sie gehören Familien mit neuen
Motoryachten und blonden, blauäugigen, wohlerzogenen Kindern.
Das war nicht immer so, aber schon seit Jahrzehnten. In Uddevalla
begegnen wir Menschen aller Hautfarben und sozialen Schichten. Es ist
nicht herausgeputzt mit Blumen und frischer Farbe. Sondern ehrlich und
lebhaft. Zumindest am Freitag, nochzumal gerade ein Musikfestival
stattfindet. 
Für
den Crewwechsel ist der Ort logistisch ideal: Eine Stunde von
Göteborg mit Zug oder Bus, dann keine zehn Minuten zu
Fuß zum Liegeplatz. Der nächste Supermarkt ist knapp
fünf Minuten entfernt, es gibt auch einen System Bolaget (in
Schweden dürfen alkoholische Getränke nur in diesen
Spezialgeschäften mit eingeschränkten
Öffnungszeiten verkauft werden. Es gibt sie in
größeren Städten, mancherorts auch in den
Schären, doch da ist es dann eine kleine Ecke im
Kaufmannsladen – Wein muss man dann drei Tage vorher
bestellen). Neben buntem Treiben in der
Fußgängerzone gibt es viel Historie zu sehen, und
natürlich gibt es – auch das ist nützlich
– eine große gastronomische Auswahl. 
Der
Hafentag gleich zu Beginn lässt sich so gut verbringen, und
abends geht die neue Gruppe gemeinsam essen: Karsten und Angie bleiben
Oli erhalten. Michael hat ein eigenes Folkeboot, würde es
selbstorganisiert damit aber nie in die Schären schaffen, also
macht es er sich auf Martha gemütlich. Tine und Malte haben
letztes Jahr eine Woche gechartert mit zwei Trainingstagen zu Beginn
– das lief so gut, dass ich gleich Werbung für die
diesjährige Sommerreise gemacht habe. Beate war vor vier
Jahren schonmal an Bord, Dorothee ist das einzige völlig neue
Gesicht. Die beiden sind erfahrene Seglerinnen und werden sich gut mit
Frieda anfreunden. 
Am
sonnigen Sonntag ist es selbst hier zu windig. An der Küste
sind wieder einmal Sturmböen zu erwarten. Die unvermeidliche
Einweisung verschieben wir zugunsten unbeschwerten Stadtbummels auf den
Montagmorgen, danach legen wir gleich ab. Während
draußen zumindest immer noch eine beträchtliche
Welle steht, wird das Innenfahrwasser jetzt wieder zum Riesenvorteil.
Außerdem: Hunnebostrand und Marstrand, wo wir bisher unsere
Crewwechsel gemacht haben, liegen mitten in einem Wirrwarr auf den
ersten Blick ununterscheidbarer Schären. Dort bin ich mit
allen Schweden-Neulingen eine Runde um den Pudding gesaust mit der
Ansage: „So – nun findet euch hier mal
zurecht.“ Das ging immer relativ schnell, doch hier ist es
unnötig. Der Fjord ist recht aufgeräumt, die
Felsendichte gering, das Auge gewöhnt sich allmählich
an die Navigation in den Schären. 
Wie
drehen also die Boote an den Fingerstegen und legen ab zum
großen Abenteuer. Martha, Oli und Paula kreuzen den Fluss
auf. Salty und Frieda motoren – das ist genau richtig so,
gerade zu Beginn sollen alle sich sicher und kommod fühlen.
Draußen im Fjord ist erheblich mehr Wind, und alle kreuzen.
Martha ist ein ganzes Stück vorneweg, doch das hier ist Paulas
und meine Stärke. Wir laufen mehr Höhe, kommen auf,
sind schließlich vorbei, bevor wir durch die große
Straßenbrücke segeln. Die hat bei google nur
positive Bewertungen, wie diese mit fünf Sternen:
„Es ist phantastisch! Da ist eine Brücke, man
fährt drüber – und befindet sich auf der
anderen Seite!“ 
Im
Havstens Fjord wird es ein Anlieger. Der Wind ist
mäßig, in der Abdeckung der Schären auch
mal ziemlich mau. Martha segelt davon, Frieda kommt von hinten auf.
Doch kaum haben wir in Stenungssund die Fährstrecke passiert,
wird es wieder eine Kreuz, diesmal bei 5-6. Mit genug Wind ist Paula
richtig schnell und setzt sich ein Stück ab. Den letzten Teil
der Strecke verbringen Paula und Martha nebeneinander, bevor wir um die
„Katze“ kreuzen, die Katten genannte letzte
Schäre vor unserem Ziel. Da ist Paula plötzlich
wieder vornean, aber das ist ja auch richtig so, denn wir sollen ja
unseren Liegeplatz auskundschaften. 
Nördlich
von Marstrand liegt zwischen Hättan, Kärsson und
Lilla Dyrön ein ganzes Archipel kleiner Schären mit
Dutzenden von Liegemöglichkeiten. Die Bucht ist einer der
Gründe dafür, dass wir jetzt hier sind: Paulas und
meine allererste Schärenübernachtung fand 2010 hier
statt. Aus lauter Angst vor Felsen habe ich sie erstmal in den Schlick
gefahren, dann haben wir frei geankert, ich ruderte mit dem
Schlauchboot an Land. Die Aussicht, die sich von der Windmühle
auf Kärsson bot, hat mich nachhaltig überzeugt: Diese
unübertrefflich schöne Landschaft muss ich
regelmäßig besuchen. 
Gleich
der erste Versuch ist erfolgreich: Die idyllische kleine Bucht an der
Ostspitze Lilla Dyröns sieht mit einer Mischung aus frischem
Grün und schroffem Fels höchst einladend aus, und vor
allem haben wir sie für uns. Das Anlegen ist aber nicht ganz
trivial: Die locals motoren einfach ran und klinken im richtigen Moment
den Heckanker aus. Wir hingegen sind ungeübt. Und wir suchen
uns
nicht jeweils ein separates Plätzchen, sondern bilden ein
Päckchen. Einhand geht es sowieso nur gut, wenn der
Wind
rechtwinklig ablandig ist - ist hier nicht so. Der Heckanker
müsste verhindern, dass das Boot längsseits an den
Felsen
geht
– doch ich kann nicht gleichzeitig den Heckanker durchholen
und mit der Vorleine übersteigen. Dass das
Längsseitsgehen hier von der Tiefe und der Beschaffenheit des
Felsens durchaus möglich wäre, kann ich nicht
einschätzen – es wird sich später
herausstellen. Wäre so wenig Wind, dass ich Paula ranwriggen
könnte, würde es vielleicht gehen, doch vier
Windstärken sind dafür zu doll. Eindampfen in den
Heckanker
ist keine Option – erstens gehört dazu viel
Vertrauen
in den Halt des
Ankers, zweitens besteht die Gefahr, dass die Ankerleine in den
Propeller kommt, und drittens will ich weiterhin den Motor nur in
Notfällen benutzen, sondern es muss auch anders gehen. Wir
brauchen Zeit, die wir mit normalem Ankern gewinnen. Wir brauchen
helfende Hände, die wir ins Päckchen holen. Dann
können
wir langsam, Schritt für Schritt weitermachen, bis zuletzt
alle
Boote sicher vertäut sind und es einen Landausstieg gibt, bei
dem
man sich nicht die Knochen bricht.  
Paula
kreuzt also in die Bucht und ankert auf Höhe unseres
späteren Liegeplatzes. Ich rufe Frieda und Martha heran und
pumpe das Schlauchboot auf. Dorothee übernimmt den Job, damit
eine lange Landleine zum Felsen zu rudern, während Beate und
Michael Friedas und Marthas Heckanker vorbereiten. Oli und Salty segeln
draußen neugierig auf und ab. Erst
als Fünferpäckchen zu ankern und dann alle gemeinsam
an den Felsen zu ziehen, hätte weniger Wartezeit bedeutet.
Aber vielleicht kann ich mir für die Zukunft merken, dass mir
ein Fünferpäckchen an einem einzigen Anker spontan
immer heikel vorkommt. Es wäre auch zu schwer, um es gegen den
Wind von Hand zu ziehen. Drei Boote sind hingegen topp. 
Als
alles gut vorbereitet scheint, ziehe ich das Dreierpäckchen
über Paulas Anker, Michael und Beate werfen ihre daneben.
Ziemlich dicht daneben in einem Fall, aber es wird wohl gut gehen
– Knäuel hatten wir auch schon auf früheren
Reisen, manchmal so schlimm, dass der Sporttaucher in der Gruppe sich
gehörig austoben durfte. Die Anker liegen, ich ziehe uns an
der Vorleine Richtung Felsen. Klappt prima, Anker halten, der Ausstieg
ist ein bisschen steil, aber tauglich. Wir tauschen die lange Leine
gegen ein Gewirr normaler Vorleinen, dann rufen wir Salty und Oli
heran. 
Malte
und Tine sind nicht geübt im Ankern. Und ich habe in der
Annahme, dass vor Ort in Ruhe erledigen zu können, nicht auf
das Ausklappen und Sichern des Klappdraggen hingewiesen. Jetzt bestehe
ich auf einem eigenen Heckanker – doch eingeklappt
hält er nicht. Salty braucht drei Versuche und liegt ein
bisschen abseits, aber es gelingt ohne übergroße
Aufregung oder Steinberührung. Endlich bekommt Oli ihren
Auftritt – Karsten segelt. Im ersten Anlauf zu schnell. Im
zweiten Anlauf zu weit in die Bucht über die restlichen
Ankerleinen hinweg, wo ich sie gar nicht hinhaben wollte. Vor dem
dritten Versuch überlege ich es mir anders und will sie doch
ganz nach innen haben, doch dann wird es wieder ziemlich schnell.
Karsten missversteht meine Geste, die Segel zu bergen, und
lässt den Anker fallen. Eindeutig in Fluchtlinie mit Paulas
und Friedas…hmm… 
Völlig
souverän arbeiten wir Oli an das Päckchen ran. Wir
packen die Segel, dann habe ich es eilig, die Schäre zu
erkunden und ein paar Fotos zu knipsen. Karsten springt ins Wasser und
checkt die Anker – keine Knäuel, alles ein paar
Zentimeter nebeneinander. Es war ein umständliches
Manöver und hat lange gedauert. Doch wir sind uns einig: Es
war ruhig und stressarm, kontrolliert und sicher, und vor allem:
erfolgreich. Die Schäre ist wirklich schön.
Südlich von ihr im Archipel ist kein Felsen mehr menschenleer,
wir haben also unseren ureigensten Platz ergattert. Lilla
Dyrön und Kärsson hängen zusammen, nur durch
eine flache Senke getrennt. Ich könnte also nochmal zur
Windmühle von vor fünfzehn Jahren pilgern. Doch
Müdigkeit und Kohldampf sprechen dagegen – es war
ein aufregender, erlebnisreicher erster Reisetag. Dorothee und Beate
sagen: „Allein dafür hat sich der Aufwand schon
gelohnt.“ 

Dienstag
ist Süd 4-5 und strahlende Sonne. Es wäre perfekt
für den Weg nach Skagen, immer entlang der Grenze von Skagerak
und Kattegat. Unbeständiges Wetter ist absehbar, das spricht
eindeutig für einen so frühen Absprung –
doch nein: Wenn die Gäste schon hierher angereist sind, sollen
sie auch einen umfassenden Eindruck vom Revier bekommen. Und dazu
gehören die Außenschären zwingend hinzu.
Außerdem möchte ich selbst noch nicht abreisen,
sondern mir noch eine Runde um Tjörn gönnen. Denn
auch dafür ist der Wind perfekt: Raumschots erneut durch das
engste Gewirr von Felsen und Steinen, Baken und Tonnen, das man sich
vorstellen kann und das wir letzte Woche mit der ersten Gruppe schon in
Rauschefahrt durchsegelt sind. Slubberholmen – eine
Außenschäre bei Mollösund –
bietet sich einwandfrei an bei einem Südenwind, der auch die
Nacht über halten soll. Endlich mal eine Schärennacht
ohne jeglichen Winddreher gefällt mir sehr gut. 
Übers
Ablegen muss ich kurz nachdenken. Jedes Boot hat einen Heckanker. Der
muss aufgeholt, vom Schlick gesäubert und sicher verstaut
werden. Nach meiner Erfahrung geht das am besten, bevor das erste Segel
gesetzt wird. Das Boot treibt dann vor Topp und Takel, bis alles
erledigt ist. Normalerweise geht das bei ablandigem Wind ausgezeichnet,
doch hier liegt eine kleine Schäre ziemlich dicht in Lee. Mit
halbem Wind treiben dürfte nicht klappen, und ob es auf dem
Weg weiter in die Bucht und andersherum um die Schäre tief
genug ist, bezweifle ich. Wir machen also etwas anderes: Nachdem die
separat liegende Salty weg ist, bringen wir die lange Vorleine wieder
ins Spiel. Wir lassen das Viererpäckchen daran sacken, bis
alle Anker aufgesammelt sind. Martha treibt los und setzt Segel. Paula
treibt los und setzt Segel, ebenso Frieda. Karsten, Angie und Oli haben
den Job, erst noch am Felsen die gute Leine einzusammeln. 
Hoch
am Wind entlang von Kärsson und Stora Dyrön, dann
vorm Wind durch zwei enge Tore bei Ronnäng und
schließlich in Rauschefahrt auf die Schikanen von
Hjärterösund zu – es sind viele zackige
Halsen gefragt, der Actionfilm ist mal wieder zu schnell, um sich jedes
wichtige Detail des pfiffigen Plots einzuprägen, doch es macht
einen Riesenspaß. Diesmal segeln wir nicht im Pulk, sondern
in einer lockeren Reihe. Die Staffelung ergibt sich aus der Reihenfolge
des Ablegens gepaart mit der Segelerfahrung. Zumindest bleibt kein Boot
deutlich zurück, jedes außer Paula kann sich am
voraussegelnden orientieren. Beim Briefing habe ich deutlich gemacht,
dass das zwar nicht die einzige Form der Navigation sein darf, aber
eine große Erleichterung bedeutet. Bei Südwind sind
hier Halsen gefragt, manchmal drei in einer Minute. Halse, Foto
knipsen, Blick in die Seekarte, Halse, Kippe drehen, Ausschau halten,
Halse, das Leben genießen, Foto knipsen…Langeweile
kommt eher nicht auf, zumal die Strecke nicht übertrieben lang
ist. 
Auf
den letzten Meilen nach Slubberholmen bekommen wir die Welle zu
spüren, die sich hier bei frischem Wind aufbaut.
Außerdem müssen wir zwei, drei nicht betonnte Steine
sorgfältig umschiffen, bevor wir in die Bucht einlaufen. Die
Schäre ist im westlichen Teil einigermaßen hoch und
bietet schöne Abdeckung für unfallfreies Bergen des
Großsegels. Der östliche Teil, wo die Ringe sind und
ufernah die Tiefe ausreicht, ist hingegen flach mit der vollen
Dröhnung Wind. Hurra! Da, wo wir hinwollen, ist noch Platz.
Paula segelt mit der Fock ran. Ich berge das Segel, werfe den Anker.
Viel zu früh. Also Anker wieder rauf, Segel wieder hoch, neuer
Versuch. Diesmal bin ich mir total sicher, genau den richtigen Platz
gewählt zu haben. Oli segelt längsseits, ich zerre
das Päckchen über Paulas Anker, Karsten wirft Olis
daneben. Als die Boote sich wieder ausgependelt haben, nehmen wir
Frieda dazu. 
Mehr
Tonnage möchte ich an diesem Anker nicht hängen
haben, auch wenn es beim Briefing anders klang. Marthas Motor geht aus,
erstickt von einem dicken Seegrasknäuel am Propeller. Salty
schleppt – so haben die ihr eigenes kleines Abenteuer, auch
wenn man trotz einzelner Ankerlieger in der großen Bucht auch
beiliegend hätte warten können. Die fünf
Leute auf den drei Booten vor Anker haben unterdessen eine gewaltige
Aufgabe vor sich. Zuerst rudere ich im Schlauchboot los mit Paulas
längstem Ende Tauwerk. Auf halbem Wege geht es nicht weiter,
Karsten muss die Leine verlängern. Er hat heute einen kleinen
Palstek-Blackout, es dauert ewig, bis er die Tampen zusammen hat. Mit
leichten Ruderschlägen halte ich die Position und ahne schon,
dass es auch mit dem zweiten Ende nicht ans Ufer reichen wird. So ist
es auch, fünf Meter fehlen. Karsten kommt dankenswerterweise
auf die gute Idee, die eigentliche Vorleine zum nächsten
Verlängern zu benutzen, und diesmal hat er auch die Knoten
viel schneller zurecht. Ich steige an Land und knote die Leine um einen
Schärenhaken. Bei dieser Gelegenheit gucke ich mir die
Umgebung an und bin nicht sicher, ob die Wassertiefe wirklich ganz ans
Ufer reicht – vor sieben Jahren waren wir schonmal hier,
haben in zweiter Reihe gelegen und die Seilfährennummer
praktiziert. 
Ich
treibe zurück an Bord. Wir setzen die Ankerleinen um aufs
Heck, ich beginne an der Vorleine zu zerren. Als Erstes wird klar:
Gegen fünf Windstärken ist das mehr als anstrengend.
Als Nächstes wird klar: Ich habe Paulas Anker viel zu viel zu
früh geworfen, so früh, dass die Ankerleinen zu kurz
sind. Also geben wir wieder Lose auf die Vorleine und holen die Anker
auf, um sie später erneut fallenzulassen. Es ist
mühsam, doch wir kommen voran. Mühsam ist es vor
allem deswegen, weil ein Dreierpäckchen Langkieler extrem
kursstabil ist und sich nicht so einfach in den Wind dreht –
im Wechsel ziehen Karsten und ich die Boote quer zum Wind nach Luv.
Statt auf den Haken, an dem unsere Leine belegt ist, nähern
wir uns dem Heck einer Motoryacht weiter westlich. 
Wir
nähern uns allmählich der Schäre, vor allem
aber dem Nachbarboot. Statt auf Paula in der Mitte des
Päckchen ziehe ich jetzt von Frieda aus am Rand. Ergebnis: Die
drei Boote drehen in den Wind! Jetzt ist es viel leichter, ein paar
Meter zu holen, bevor wir durch die Wende gehen. Jetzt zieht Karsten
auf Paula, ich habe Pause. Als wir erneut durch den Wind schwoien,
übernehmen wieder Frieda und ich. Wir kreuzen uns sozusagen an
die Schäre heran - es ist grandios! Zu guter Letzt
fühle ich mich, als hätte ich Sport getrieben, und
Oli schmiegt sich sanft an ihren Platz als Ausstieg für die
ganze Gruppe. Wir binden das mit diversen Vorleinen fest, holen die
inzwischen ausgebrachten Heckanker durch und rufen Salty und Martha
heran. Als das letzte Boot fest ist und alle gut und sicher und
komfortabel miteinander vertäut sind, bin ich in Festlaune. 
Umständlich?
Mit nur einem Boot, eingespielter Crew, Routine und Ortskenntnis
würde man einfach ranfahren, den Heckanker ausklinken,
aufstoppen und an Land steigen. Mein Augenmaß beim ersten und
zweiten Ankermanöver war ein Flop, doch Teil der
Stärke unserer Gruppe ist, das kompensieren zu
können. Die Nachbarn sind beeindruckt von unserer Teamarbeit.
Intuitiv aus der Situation heraus haben Karsten und ich ein neues
Manöver erfunden, das Wechselmanöver, das ich
tunlichst niemals vergessen darf, wenn ich solche Reisen noch
häufiger unternehmen will. „Segeln ist so
toll“, wird Dorothee am nächsten Tag
bestätigen, „jede Situation ist anders, und man
lernt immer noch etwas dazu.“ 
Slubberholmen
ist auch toll: Karg und schroff, doch Blumen und
Blümchen. Es gibt sogar einen Seerosenteich. Wir liegen ruhig
wie selten, an der Südseite bricht sich die Brandung. Zum
Toilettenhäuschen haben wir einen kürzeren Weg als in
manchem Hafen. Es ist ein prächtiger Sommertag, beinahe zu
schön, um wahr zu sein. Nach der ganzen Anlegeaction
gerät es fast in Vergessenheit, aber: Raumschots mit
fünfeinhalb Knoten segelt man auch nicht alle Tage durch
dermaßen Enge Sunde und Schikanen. 
Allein
das Wetter, es bleibt nicht so sommerlich, sondern wird
unbeständig. Donnerstag ist Hafentag mit stürmischen
Böen. Da haben wir in den Außenschären
nichts verloren. Mittwoch wählen wir die beliebte early
bird-Nummer. Neben weitgehend trocken und gelegentlichen Schauern sitzt
uns im Zentrum des Tiefs vor allem eine drohende Flaute im Nacken, und
ich möchte die zwölf Meilen nach Almösund am
liebsten vorher erledigen, also trennen wir uns um sechs Uhr morgens
von der schönen Schäre. 
Wir
sind schon im Stig Fjord zwischen Tjörn und Orust, als der
bedeckte Himmel aufreißt und die Sonne rauskommt. Bei
schwachem Südwest kommen die Fockausbaumer zum Einsatz,
allerdings nicht für lange, denn mit dem ersten leichten Regen
schläft der Wind komplett ein. Als er nach kurzer Zeit
wiederkommt, ist es ein Südost. Scheinbar ist das eine gute
Nachricht, indem er uns voranbringt. Doch ab Ärholmen
schlängelt sich ein enges Fahrwasser
südostwärts. Ob man den engen Skåpesund
kreuzen kann, ist eine offene Frage. Vor sieben Jahren sind wir da in
Gegenrichtung schonmal durchgetrieben bei einem
mäßigen Südwest. 
Erstmal
gilt es, zwischen Felsen und Fischzuchten eine grüne Tonne zu
finden. Dass Paula gerade jetzt, als es knifflig wird, voll auf der
Seite liegt, ist nicht eben hilfreich. Doch wir finden die Tonne und
damit den Anfang des Fahrwassers. Wende. Alles ist breiter und ruhiger
als befürchtet. Frieda folgt uns, dahinter die Schwestern.
Dann Skåpesund: Ein eng-eng-enger Sund zwischen steilen
Felswänden, eine Brücke, diverse Privatstege. Ein
einzelner Donner, kein Blitz, kein Drama. Aber großtropfiger
Pladderregen und Wind genau gegenan. Ich denke: Hier sind wir sicher.
Wir könnten jederzeit irgendwo anlegen, falls es wirklich
ruppig würde. 
Der
Sund ist grandios: Tiefes Wasser bis kurz vorm Ufer, wir
können die Kreuzschläge lang ausfahren. Gegen die
schwache Strömung kommen wir gut voran. Der Regen prasselt.
Die Brücke hat vier Speigatten. Paula ist schon durch. Als ich
zurückgucke, wie Martha sich dort abkämpft und den
Extraguss von oben abbekommt, muss ich schallend lachen. Doch ich darf
mich nicht ablenken lassen, volle Konzentration ist gefragt. Der
Schauer ist durch, der Wind lässt nach, mit 0,7 Knoten
erledigen wir das letzte Drittel des Sundes. Im offeneren Wasser danach
ist schon Gekräusel zu erkennen. 
Salty
erreicht den Skåpesund als Letzte, als der Schauer weitgehend
durch ist. Ohne Wind wird das eine zähe Kiste und kostet
reichlich Zeit. Doch auch das hinterste Boot bleibt beharrlich in
Sicht. Die Sonne kommt raus, im Ölzeug wird es mir zu warm.
Frieda bleibt uns auf den Fersen. Das tiefe Fahrwasser lässt
sich jetzt mit Echolot gut aufkreuzen: Wende, wenn es flach wird.
Durchatmen, wenn es tiefer wird. Dann wieder Wende, wenn es flach wird.
Und so weiter. Paula erreicht als Erste das markante Gekräusel
und saust davon. Zwei Ecken weiter ist Almösund in Sicht. Und
dann legen wir auch schon an, längsseits an dem leeren Steg,
auf den ich spekuliert habe. 
„Wie
unterschiedlich doch Segeltage sein können“, stelle
ich fest, als die Gäste anlegen. Gestern haben wir Halsen
geübt, heute die Fockausbaumer ausprobiert und nach kurzer
Geduldsübung Dutzende Wenden gefahren, während die
Landschaft sich wieder von schroff zu lieblich gewandelt hat.
Almösund war 2018 unsere Zuflucht – der Hafen ist
wenig bekannt, aber bestens geschützt, bietet genug
Plätze und reichlich Grün drumherum –
vielleicht nicht der Nabel der Welt also, aber in unserer Situation
mehr als attraktiv. Hauptattraktion ist der ICA-Supermarkt mitten in
der dünn besiedelten Ländlichkeit, und das meine ich
durchaus ernst, er ist eine echte Attraktion. Man erreicht ihn in
fünf Gehminuten durch eine Röhre unter der
vierspurigen Schnellstraße hindurch: Betonsegmente
für Abwasserkanäle sind einfach mit Bauschaum
abgedichtet, Großgewachsene müssen ein wenig den
Kopf einziehen, aber es ist eine pragmatische, preiswerte
Lösung. 
Der
Laden ist riesig und bestens sortiert, die Ware frisch, angeschlossen
ist eine Apotheke. Im Untergeschoss gibt es Kinderspielzeug und
wahrscheinlich auch Waschmaschinen und Kühlschränke.
Natürlich gibt es hier auch alle schrulligen
Spezialitäten Schwedens zu kaufen, Käse und Pilze aus
der Tube zum Beispiel. „Was man hier alles
für’n Scheiß kaufen kann“, sagt
Angie grinsend, als sie nach der Blaubeerensuppe auch die
Hagebuttensuppe ausprobiert. Ein vergleichbares Backsortiment gibt es
andernorts höchstens beim Konditor. Wir stürzen uns
alle auf das verlockende Rosmarinbrot, Michael ergattert abends noch
das letzte. Er hat den Hafentag statt zum Ausruhen zu einem Ausflug
nach Göteborg genutzt. Hat es sich gelohnt? Jedenfalls hat er
die Stadt gesehen, sich ein wenig treiben lassen, auch die an die
Innenstadt angrenzenden Wohnviertel erkundet, und ist besonders vom
ÖPNV begeistert: Hier gibt es Busbahnhöfe fernab
jeglicher Ortschaften, wo sich alle Linien im Zwanzigminutentakt zum
Umstieg treffen. Auf der Autobahn gibt es eine Busspur, in die
Innenstadt führt eine eigene Brücke nur für
Busse, Pünktlichkeit ist garantiert. 
Es
ist achtzehn Uhr, wir machen Briefing – morgen sollen wir mal
wieder ein Stück segeln. Wieder steckt reichlich Gehirnschmalz
in meiner Tagesplanung, und diesmal bin ich mir keineswegs sicher, dass
der Plan aufgeht. Morgens ist es noch monsterböig,
draußen jedenfalls, doch wie zeigt sich das hier im
Innenfahrwasser? Im Marstrands Fjord dürfte reichlich alte
Welle stehen. Der anfängliche Westwind dreht bald auf
Südwest – und womöglich noch
südlicher, das wäre schlecht. Die Strömung
dürfte dem Wind folgen, also gegenan sein –
hoffentlich bremst sie uns nicht völlig aus, denn ab dem
frühen Nachmittag ist mit Gewittern zu rechnen. Langer Rede
kurzer Sinn: Zweiundzwanzig Seemeilen nach Kallö Knippla sind
das Tagesziel, wir dürfen nicht zu früh los und
müssen rechtzeitig ankommen. Ich verordne uns Auslaufen um
acht. Wir sprechen auch darüber, rechtzeitig das
Groß zu bergen, falls es auf die Mütze gibt, oder
notfalls im Schutz einer Schäre zu ankern. 
Schon
vor dem Auslaufen ahne ich, dass ich nicht gut zufrieden sein werde mit
dem heutigen Segelvergnügen: Im supergeschützten
Hafen kommt der Mittelwind aus West, die kräftigen
Böen aus Süd. Entsprechend hühnerig eiern
wir los. Im Hakefjord steht eine fürchterliche Hoppelwelle,
warmes Salzwasser fliegt durch die Gegend, zum Glück habe ich
rechtzeitig das Ölzeug an und kämpfe mich auch noch
in die Gummistiefel. Wir müssen Höhe laufen, doch das
ist nicht einfach, wenn man in den Böen abfallen muss anstatt
anzuluven. Minutenlang lässt das Seegangsbild auf eine 6er
Bö schließen – doch das Boot
fährt nicht. Ich kann sowas überhaupt nicht leiden!
Es macht absolut keinen Spaß! 
Als
wir uns dem Marstrandsfjord und Lilla Dyrön nähern,
unserer Schäre von neulich (und damit die Umrundung
Tjörns vollenden), wird es stetiger: Fünf Beaufort
ohne große Böigkeit, eine dazu passende Welle. Ich
beginne, Gefallen an der Sache zu finden. Die Westspitze von
Algön können wir nicht ganz anlegen, doch der einzige
Holeschlag dauert nur eine Minute. Martha segelt munter und in
deutlichem Abstand vorneweg – Michael hat sich zu Beginn
konsequent weit nach Lee von jeglicher Abdeckung entfernt, seitdem sind
die beiden uneinholbar. Salty, Frieda und Oli folgen Paula in recht
dichtem Abstand, manchmal höre ich ihr Plätschern in
der Welle. Wir fallen ab und werden richtig schnell. Es ist Viertel
nach zehn, genau wie vorher am Cockpittisch gekoppelt. 
Östlich
von Instön fädeln wir uns in das letzte enge
Fahrwasser ein, bevor die Felsendichte abnimmt und sich der
Schärengarten zu einer lockeren Folge von Inseln weitet. Hier
ist eine kurze Kreuz gefragt. Den Rest der Strecke können wir
anlegen. Der Wind hält im Wesentlichen,
mäßigt sich ein wenig, bleibt bei
Westsüdwest. Erste Schauer ziehen hinter uns durch, voraus
scheint im Wesentlichen die Sonne. Kurz vor Kallö Knippla
fallen ein paar Tropfen. Um zwölf Uhr dreiunddreißig
berge ich kurz vorm Hafen die Fock. 
Kallö
Knippla war 2012 Paulas Zuflucht, als es in der letzten Stunde offenen
Wasser gehörig auf die Mütze gab: Sieben
Windstärken. Ein Boot, das auf der Seite lag, gehörig
Wasser machte und keine elektrische Bilgepumpe besaß. Ein
unerfahrener Eigner mehr an der Handlenzpumpe als an der Pinne. Und
dann die ersehnte Abdeckung der Insel, der rettende Hafen –
und ein norwegisches Ehepaar, das uns eben überholt hatte und
nun längsseits nahm und mir zur Begrüßung
eine Dose Bier in die Hand drückte. Beim Aufklaren fand ich
die Bratpfanne in der Bilge. 
Jetzt
segelt Paula mit vier Knoten in den Hafen. Ui, zwischen den
Schwimmstegen ist es ganz schön eng. Wir fahren ein
Aufschießerchen, um Fahrt abzubauen. Dann kommen wir
erwartungsgemäß in die Abdeckung. „Wir
haben reichlich Platz und sind selten
überfüllt“, verspricht die Internetseite
des Hafens, und sie verlinkt zu je einer Webcam für die beiden
Becken – ich weiß schon, dass wir in der hintersten
Ecke des inneren Beckens liegen können. Dort segeln wir
geruhsam hin. Ich funke Oliese an: „Man kann hier wunderbar
herumsegeln, ihr könnt kommen.“ Dann berge ich bei
leichtem Regen das Groß. Paula treibt an eine der Heckbojen,
ich knote die Achterleine ran und verhole sie im strahlenden
Sonnenschein an die Pier. Fünf Minuten später sind
alle Boote fest. Ich bin restlos begeistert: Nach dem holperigen Start
hat wirklich alles tadellos geklappt, viel besser als
befürchtet. Der Hafen ist gemütlich und freundlich
und findet großen Anklang bei den Gästen. Kaum ist
die letzte Kuchenbude aufgebaut, zieht das Gewitter auf. 
Im
Restaurant „Matjes“ gibt es zwar keinen Matjes,
dafür aber köstliche Vor- und Hauptspeisen und das
exzellente Eriksberg Karaktär vom Fass. Der verglaste
Speiseraum bietet zu drei seinen einen wundervollen Blick auf den
Hafen, den Ort und die Schärenwelt, aus der wir hergekommen
sind. Michael hat zu halb sieben einen Tisch reserviert. Dort sitzen
wir alle – außer Michael. Malte mutmaßt:
„Ist er nochmal nach Göteborg gefahren?“
Doch nein – er ist beim Lesen in der Koje eingeschlafen,
Karsten rüttelt ihn wach. Zu relativ später Stunde
segelt ein…ist das etwa…? Das Rigg sieht verdammt
danach aus, und als ich aufstehe, sehe ich auch den Rumpf: Das ist ein
Holzfolkeboot, heutzutage ein seltener Anblick hier in unmittelbarer
Nachbarschaft der Werft, wo 1942 die Baunummer eins zu Wasser ging. Wir
verbringen einen geselligen Abend, den die Gäste bei
ausklingendem Regen auf Martha fortsetzen, während ich mich
zum Alleinsein und Törnberichtschreiben zurückziehe. 
Der
anschließende Hafentag bei 7er Böen wird erheblich
dadurch aufgewertet, dass wir uns auf Dauerregen eingestellt haben,
während es ab mittags weitgehend trocken bleibt. Klasse
Restaurant, gemütlicher Hafen, erkundenswerte Insel und
gefühlte tausend Gespräche mit Schweden, die sich
für uns und die Boote interessieren und von ihrer
Folkeboot-Vergangenheit schwärmen. Für 18 Uhr sind
wir aber zum Briefing verabredet, da muss ich den Anderen irgendwas
erzählen, mich also vorher für einen Plan entscheiden
und ihn gut ausarbeiten. Wir müssen
vereinbarungsgemäß mal irgendwann rüber
nach Jütland. Die Teilnehmer haben Zugtickets ab Aarhus
gebucht, die anschließende Gruppe dorthin. Ebeltoft, Grenaa
oder Randers kämen auch in Frage, aber ganz sicher kein
Crewwechselort in Schweden. Nun ist beim Segeln ja
grundsätzlich immer davon abzuraten, irgendetwas zu
müssen. Oder sich jedenfalls unter dem Druck des
Müssens zu wähnen. Noch haben wir ein paar Tage Zeit
mit entsprechendem Gestaltungsspielraum. Die Gäste gehen
jedenfalls davon aus, dass wir nach Læsø segeln. 
„Wir
kommen da schon an“, versuche ich mir einzureden. Doch bei um
Südsüdwest hin und her drehendem Wind wäre
das keinem Zeitpunkt ein Anlieger, und mit dem Kattegat ist nicht zu
spaßen, Strömung und Welle können uns
üble Streiche spielen. Nächste – und letzte
Chance für eine Überfahrt ist am Dienstag. Das
wäre dann wohl von Varberg aus direkt nach Grenaa. Wohin aber
geht die sonntägliche Reise? Varberg? Naja – auch im
Schärenfahrwasser bekommen wir keinen Anlieger geschenkt
– das wird nix. Wenn ich es mir aussuchen könnte,
wäre Kungö unser Ziel, aber das wäre zu
wenig Strecke im Hinblick auf die anschließenden Tage.
Ockerö scheint mir gerade mal so machbar, das wäre
auch nochmal eine schöne Schäre, und wir
kämen am Montag bei schwachem Nordwind weiter nach Varberg. 
Die
Kreuzerei im Fahrwasser gegen beträchtliche Strömung
bringt uns nicht eben zügig voran, aber sie ist kurzweilig,
navigatorisch anspruchsvoll und seglerisch ein großer
Spaß. Frühnachmittags auf Höhe
Vrångö, schon südlich von Göteborg
und fünfzehn deutlich langweiligere Meilen nördlich
von Ockerö, checke ich per Smartphone das Wetter. Nordwind
statt Flaute am Mittwoch, frischer Westwind in der Nacht –
hm, dann liegen wir in Ockerö unruhig, und die Strecke
schaffen wir morgen genausogut wie jetzt. Da vorne ist Kungsö.
Die zweite Schäre, die ich mit Paula überhaupt
besucht habe ist schöner als Ockerö,
geschützter, es gibt eine Komposttoilette und ein tollen
Aussichtspunkt – what’s not to like? Martha ist
ziemlich voraus, ich höre auf zu überlegen und gehe
an den Funk.
„Kilo-Uniform-November-Golf-Sierra-Oscar“,
buchstabiere ich, „haben das alle mit?“ Paula
wendet auf den neuen Kurs. 
Jetzt
ist wirklich alles zu unseren Gunsten. Zwei Yachten liegen schon da,
eine am Felsen, eine ankert. Beide liegen ruhig, es läuft also
kein Schwell in die Bucht. Obwohl es gerade nochmal auf 4-5 aufgebrist
hat, bietet der Felsen genug Abdeckung für ein paar Meter
Wriggen. Ich mache den Anker klar, Paula kreuzt an der Bucht vorbei, um
mit halbem Wind zum Liegeplatz laufen zu können. Wende.
Groß runter. Ah, das sieht alles richtig gut aus, mit
passenden Abständen zum Felsen und zum Nachbarboot. Fock
runter, Anker raus, Wriggen. Speed checken: Ein halber Knoten ist
perfekt, nichts wird kaputtgehen, egal, woran wir womöglich
hängenbleiben. Noch ein bisschen wriggen, dann gehe ich nach
vorne und steige über mit den Vorleinen in der Hand. Die Sonne
kommt raus, im Ölzeug wird es mächtig warm. In zwei
Minuten von Vollzeug in offenem Wasser zu kontrolliertem Liegen an der
Schäre – das wollte ich so gerne nochmal
praktizieren, und es hat ideal geklappt. Die Schwestern können
kommen. 
Und
auch die Gäste haben viel gelernt in den letzten Tagen, das
zeigt sich deutlich. Martha, Frieda und Salty kommen nacheinander
anmotort, der Anker fällt auf den Punkt an der richtigen
Stelle, den Rest (Vorleinen, Päckchenbilden) machen wir wie
gewohnt gemeinsam. Ich finde, dass es richtig routiniert aussieht. Oli
braucht unter Segeln drei Anläufe. Beim Ablegen morgens hat
sie sich im Hafen schon in den Heckbojen verfangen – die
verlangen nämlich erhebliches Umdenken: Von einer Pier, einem
Pfahl oder einem Fingersteg stößt man das Boot ab.
Wenn man das an diesen Moorings versucht, passiert nichts. Sondern man
muss die Mooring wegstoßen, das geht wunderbar. Dass Angie
und Karsten für diese Lektion ein paar Minuten brauchen, ist
überhaupt nicht verwerflich. Und das allmähliche
Rantasten an den richtigen Approach an die Schäre ist auch
vollkommen richtig. Am Ende zählt das Ergebnis: Die Insel ist
wundervoll, die Stimmung prächtig bei Anlegekaffee und
süßen Snacks. Die Aussicht vom höchsten
Punkt Kungsös gehört zum Pflichtprogramm:
Draußen liegen diverse Dampfer auf Reede. Im Norden sieht man
Vrångö, Donsö und Göteborg. Im
Südwesten Ockerö, im Südosten Tistlarna.
Eines von den beiden wird es wohl morgen werden, eher vielleicht das
nahe Tistlarna, denn es sieht nun doch nach schwach umlaufend in
Extremform aus. 
Es
ist mal wieder so ruhig friedlich am Abend. Der Wind ist beinahe
eingeschlafen, Paulas Rumpf gluckert genüsslich im Schwell
einer vor Stunden vorbeigefahrenen Yacht. Karsten und Malte waren eben
noch Baden. Michael, Dorothee, Tine und Angie lesen oder machen
sonstwie Stillarbeit. Beate scheint schon in der Koje zu liegen. Hin
und wieder schwirrt eine Möwe, Fliege oder Mücke
vorbei. Eine Kanadagans schwimmt zwischen den acht Ankerliegern herum.
Sieben Boote liegen gut uns sicher am Felsen. Die Sonne steht tief, die
Wolkenunterseiten leuchten, das schmale Band freien Himmels
über dem Horizont schimmert golden. Ich überrede
Michael, nochmal den höchsten Punkt unseres Felsens zu
erklimmen. Kurz danach rufe ich alle zusammen: Die Verleihung der
Goldmedaille für eine tolle Gruppe findet dort oben statt. Der
Sonnenuntergang ist in all seinen goldgelb glänzenden Facetten
ein echtes Geschenk, und die tollen Gäste haben es sich
verdient. 
Dreißig
Meilen nach Süden bis Varberg haben sich erledigt, als DMI
für den Montag nun doch beharrliche Flaute bis sechzehn Uhr
vorhersagt. Montagmorgen beim Briefing sind wir dennoch gut zufrieden:
Laut Internet haben wir aktuell akuten Pladderregen. In Wirklichkeit
macht der Niesel eine Pause, und mit dem leichten Nordost
ließe sich durchaus etwas anfangen. Optimistisch legen wir
ab, im Programm die machbaren fünf Seemeilen nach Tistlarna,
holen die Anker auf, setzen die Segel. Karsten hat noch Zeit,
über nur 0,5 Knoten zu jammern, dann schläft der Wind
komplett ein. Wir treiben in der Strömung. Wriggen, Paddeln,
geduldiges Warten und ab und zu mal der Schub einer kleinen Bö
bringen uns seitwärts statt voran. Es ist sommerlich warm
trotz bedecktem Himmel und zeitweise leichtem Regen. Ein Kajakfahrer
rudert von Boot zu Boot, um uns allen kundzutun, wie
großartig er das findet: Wir haben einen schönen,
starken Motor – und benutzen ihn nicht! „Da kommt
schon noch Wind“, macht er uns Mut. Die schwedische
Wasserschutz guckt auch vorbei und erkundigt sich, was das für
wunderschöne Boote sind. 
Nach
zwei Stunden sind wir aus der Bucht. Auf dem Südkurs an
Valö vorbei ist zwar auch kein Wind, dafür aber eine
kräftige mitlaufende Strömung. Ich weiß
das, seit Oli sie als Erste erreicht hat und vorläufig aus dem
Bild verschwunden ist. Salty und Frieda sind an der Ecke dicht hinter
Paula, Martha zwanzig Meter neben uns. Dort ist die Strömung
aber scheinbar erheblich ungünstiger – zu Michaels
Frust bliebt sie stehen, bevor sie vertreibt. Nach dem Leuchtturm an
der Südostecke von Valö können wir ein
bisschen anluven und Tistlarna anlegen. Zwei Knoten fühlen
sich wie richtiges Segeln an. Es werden auch mal knappe drei, dann
wieder nur einer, schließlich wieder zwei – ich
finde das durchaus kurzweilig, und wir haben uns doch vorgenommen,
jeden Tag sechs, sieben Stunden auf dem Wasser zu verbringen. Die sind
noch gar nicht ausgeschöpft, als wir in langsamer Fahrt die
etwas knifflige Einfahrt zwischen den Felsen passieren.
Schärenankern am Steg kenne ich sonst nur aus Blekinge. Die
sorgfältig vorbereiteten Anker, der Steg hätte ja
voll sein können, bleiben sauber. Inzwischen scheint volles
Rohr die Sonne, das Regenband hat das Festland erreicht und verharrt
dort als Hintergrundkulisse für die Fotos. 
„Was
für eine wunderschöne Schären!“,
spricht Dorothee aus, was alle empfinden. Ich war hier schon zweimal,
vor drei Jahren gehörten Angie und Karsten zur Gruppe. Sie
freuen sich über das Wiedersehen mit den vertrauten Felsen.
Tistlarna ist einer dieser Außenposten der Zivilisation
(genau wie Vinga oder Väderöarne). Eines der
Gebäude war mal das Leuchtturmwärterhaus, ein zweites
die Lotsenstation. Heute sind das alles Sommerhäuser, und die
Besitzer haben kein Problem damit, dass wir durch ihre
Vorgärten zum Leuchtturm stapfen: Der kleine, gut ausgebaute
Trampelpfad „is the highway“. 
Wir
wollten ja längst ganz woanders sein: Auf
Læsø oder Anholt, in Jütland oder
Varberg. Der nicht zu diesen Plänen passende Wind hat uns zwei
herrliche Bonusschären geschenkt. Aber jetzt gilt es, Dienstag
ist der passende Wind: Nord 5. Am Vorabend der Überfahrt
gucken wir uns erstmal die Ausfahrt aus Tistlarna an. Der Weg, auf dem
wir reingekommen sind, würde morgen eine Kreuz. Es gibt noch
einen westlichen Weg, der besser passt. Die Gefahr besteht aus zwei
Felsen. Der größere ist vom Liegeplatz gut zu sehen,
der kleinere nur dann und wann am Schaum einer sich an ihm brechenden
Welle. Aber zwischen ihm und Tistlarna selbst ist ausreichend Platz.
Grund der frühen Stunde – Auslaufen um sechs
– ist der Wunsch, uns dann noch bei moderaten drei
Windstärken hier rauszupuzzeln. 
Die
Hoffnung darauf hat sich schon erledigt, als der Wecker klingelt: Vier
Windstärken sind das schon um vier Uhr dreißig. Das
Auslaufen wird schon nicht ganz trivial. Wir liegen latent
legerwallerig an unserem Steg. In der engen Schärenbucht ist
es zu eng zum Segelsetzen in Fahrt, allemal für Michael und
mich. Draußen steht eine Welle, in der niemand von uns mehr
mit dem Motor zu tun haben will (oder darf). Der Steg macht aber zwei
Knicks, und Frieda liegt an ihrem Mittelplatz fast genau im Wind. Hier
kann man prima das Groß setzen, die Schot dichtholen, mit der
Achterspring Fahrt aufnehmen und abfallen Richtung Ausfahrt. Wenn das
mit Frieda klappt, werden wir nach und nach jedes Boot von Hand dorthin
verholen. 
Ich
bin ein bisschen angespannt, wie immer in solchen Momenten: Statt
gechillt den Tag zu beginnen und unbeschwert loszufahren,
müssen die Gäste in den ersten fünf Sekunden
am meisten auf Zack sein. Wenn Paula an der Startrampe liegt, wird
außer mir keiner mehr im Hafen sein, der in irgendeiner Form
assistieren könnte. Ich denke an meinen großen
Musikfavoriten Ozzy Osbourne. Nein, er hat mit Segeln nix am Hut
sondern er hat gerade in Birmingham sein unwiderrufliches
Abschiedskonzert gegeben. Zu Beginn hat er, wie bei jedem Auftritt seit
fast sechzig Jahren, die gleichen treffenden Worte gefunden:
„Are you ready? Let the madness begin.“ 
Der
Wahnsinn beginnt damit, dass Frieda im Wind steht, träge und
eher seitwärts in Fahrt kommt, und ich im letzten Moment noch
das Heck wegtreten kann, damit sie abfällt und lossaust,
anstatt bei Salty längsseits zu gehen. Wir verholen Salty. An
ihrem Liegeplatz ist jetzt eine Bootsbreite mehr Platz. Ich halte die
Vorleine und gucke Frieda hinterher: Ziemliches Gehoppel. Dann ist sie
außer Sicht, deutliches Indiz, dass zwischen Schären
und Steinen freie Bahn ist und sie auf Kurs ist, voraus die
wässrige Weite des Kattegats. 
Karsten
rennt mit Saltys Achterspring los. Ich gebe Lose, Lose, Lose auf die
Vorleine. Im letzten Moment, bevor sie zu Ende ist, ziehe ich nochmal
ein bisschen, bringe Salty aus dem Wind auf einen segelbaren Kurs. Aha,
das ist also der Trick. Mit Martha und Oli machen wir es genauso, Boot
für Boot verschwindet ums Eck. „Jetzt sind wir,
Paulchen“, murmele ich. 

Ich
verhole sie erstmal an die Startrampe. Groß hoch,
Schot dicht. Vorleine und Achterspring von Land aus gleichzeitig zu
bedienen um im richtigen Moment aufzusteigen, habe ich oft genug
geübt, Paula läuft sauber los – bis am
Stegknick die Fender hängenbleiben. Die wichtige erste Fahrt
ist gleich wieder weg, aber die Fender quietschen sich frei. Ich steige
auf, lasse die Leinen irgendwo fallen und gehe ans Ruder. Jetzt bleibt
der Gasgriff des Außenborders hängen. Ich klappe ihn
hoch, wir fahren noch. Doch als sich auch noch der Propeller in der
Bretterverschalung verheddert, geht Paula längsseits an Saltys
ehemaligen Liegeplatz. Sechs Meter Steg und Bretter, dann flacher Fels
und Legerwall – mir bleiben höchstens zwei Sekunden.
Großschot auf, Leine schnappen – hoffentlich die
Achterleine – und damit an Land steigen zum Aufstoppen. 
Naja.
Segel runter und den rausgeklappten Baum von dem Felsen
nehmen, auf dem er zu liegen gekommen ist, dann alles wieder auf Anfang
für den zweiten Versucht. Vorher nehme ich noch die Fender weg
und vertraue auf die Scheuerleiste. Und was soll ich sagen? Wunderbar
prima! Aber es war wirklich nicht ganz einfach. Vor Tistlarna, die
Charterboote sind weit voraus, gehen wir auf Kurs. Halber Wind,
fünf Knoten, sechs Knoten, beim Surfen sieben, dann konstant
siebeneinhalb – mitlaufende Strömung ist cool. Von
Göteborg her kommt ein recht großes Containerschiff
auf, unsere Kurse kreuzen sich in spitzem Winkel. Wir segeln erstmal
weiter, bis der Abstand so ist, dass ich
gewohnheitsmäßig den Dampfer vorbeilassen
würde. Das würde richtig Zeit kosten. Paula ist
sozusagen schon in Peilung mit der Bordwand des Frachters.
Siebeneinhalb Knoten, sechzig Meter Rumpfbreite – wir luven
an und gehen einfach vor ihm durch, es dauert nur Sekunden. Bis das
Schiff hinter unserem Heck ist, dauert es dann noch gute fünf
Minuten, ich konzentriere mich auf das, was voraus liegt. Die
Bogenminuten tickern auf dem GPS rasant weg. Bald haben wir beide
Tiefwasserwege hinter uns, Læsø taucht auf.
Allerdings nur auf den Wellenbergen. Das Kattegat – eine
riesige Wasserfläche von relativ flachem Grund unter Einfluss
von Skagerrak und Nordsee – ist bekannt für ihre
fiese Welle. Von wenigen Kaventsmännern abgesehen, die mich
zum Anziehen des Ölzeugs veranlassen, finde ich die
Bedingungen vorerst moderat. 
Das
ändert sich, als wir nach den ersten dreißig
Seemeilen in die Læsø Rende abfallen. Hier ist
wirklich der Teufel los! Nur noch fünf Knoten, obwohl der Wind
eher noch zugelegt hat, lassen der Grund vermuten: Eine nordgehende
Strömung steilt die See auf. Die Ruderausschläge, die
vonnöten sind, das Anluven im Rahmen zu halten, sind
ermüdend. Manchmal muss man den Aufschießer einfach
akzeptieren und im Wellental schnell wieder auf Kurs gehen. Eines der
Charterboote, vermutlich Salty, fährt weit vor uns eine Halse.
Die sonst uneinholbar schnelle Frieda haben wir aus irgendeinem Grund
überholt, obwohl sie doch mit dem größten
Vorsprung gestartet ist. Ich denke zurück an unser Briefing. 
Zu
seiner Vorbereitung hatte ich eine Kurslinie in die Karte gemalt,
226 Grad vom Leuchtturm Nordre Rønner direkt zum Zielhafen,
dann aber gemerkt, dass sie über eine unbetonnte Untiefe von
zweieinhalb Metern führt, die wir bei solchem Seegang
tunlichst meiden sollten. Einfachste Abhilfe: In der
Læsø Rende bleiben bis zum gleichnamigen
Leuchtturm, wie es Salty, Oli und Martha auch tun. Sie sind zu weit
vorgedrungen für eine Kursänderung, ich bin auch
nicht in Plauderstimmung für die Funke unter Deck, sondern
bleibe lieber am Ruder. Wir luven an. Ich zirkele die Untiefe ab,
ermittle eine viel besser segelbaren Kurs von 250 Grad, der uns aus der
Strömung in flacheres Wasser bringen und nördlich um
den Davlegrund führen wird. Es ist eine Navigation, wie ich
sie in den Schären die ganze Zeit betrieben habe –
der Elektronikkram, der einen an die vorher geplante Route bindet,
wäre keine Entlastung. Sondern ich mag das so – die
letzten zwanzig der insgesamt fünfzig Meilen hätten
zäh und ermüdend werden können, aber jetzt
bin ich vollauf beschäftigt und rundum zufrieden. Frieda folgt
uns vertrauensvoll. 
Danach müssen wir richtig tief Segeln, um ohne eine Halse
die nächste Tonne und die nächste Untiefe zu
schaffen, aber die See ist hier wesentlich angenehmer, und eine
gehörige Abkürzung haben wir auch gewählt:
Als wir uns vor Asaa treffen, ist nur noch Martha vor uns, die anderen
vier Boote im Abstand von drei Minuten. Fünfzig Meilen in acht
Stunden ist eine ausgezeichnete Zeit. Einlaufen und Anlegen sind kein
Problem, dann habe ich es eilig mit dem Wechsel der Gastlandflagge: Ich
freue mich, in Dänemark zu sein!
Wie
das? Haben wir nicht gerade schweren Herzens meine geliebten
Schären verlassen? Ist nicht das beschauliche,
unspektakuläre Dänemark zumindest landschaftlich
immer eine Enttäuschung nach zwei Wochen zwischen bizarren
Felsformationen? So habe ich oft empfunden auf dem unvermeidlichen
Rückweg, und Michael wird sagen, dass es ihm heute so geht.
Ein Däne fragt Karsten, warum wir ausgerechnet nach Asaa
gekommen sind, und er antwortet: „Wir kommen ganz aus
Schweden, und alles andere wäre zu weit gewesen.“ 
Nein! Falsche Antwort! Also ja: Den heutigen Wind galt es optimal zu
nutzen, also kein verfrühter Stopp auf
Læsø oder in irgendeinem Fredrikshavn –
das hätte uns in den folgenden flautigen Tagen vor
große Probleme gestellt. Wir müssen aber auch mit
den Kräften haushalten, deshalb war Hals am Limfjord
– nochmal zehn Meilen weiter – keine ernsthafte
Option. Doch vor allem gilt: Ich wollte unbedingt diesen
unerreichbarsten meiner Lieblingshäfen wieder besuchen. Ich
freue mich riesig, dass der Wind uns nach vielen Planspielen nun doch
diese Route entlanggeführt hat, weil ich Asaa den
Gästen richtig gerne zeigen wollte zur Abrundung unserer Tour
– einer unserer schönsten Reiseabschnitte, und
vielleicht den gelungensten Rückweg aus den Schären.
Asaa hat durchaus eine Menge zu tun mit unseren Schärentouren:
2010 war ich zum ersten Mal hier. Vom Limfjord kommend waren mir in
meiner Unerfahrenheit die mitlaufende Strömung, der viele
Wind, die sieben Knoten über Grund nicht geheuer. Limfjord-
und nordjütlanderprobte Paula hühnerte rein, ich
fühlte mich wohl, und als Nächstes traf ich ein
deutsches Ehepaar, das gerade aus den Schären kam und der
Meinung war, das sei etwas für Paula und mich. Sie diktierten
mir drei Empfehlungen: Kärsson (wo wir jetzt waren),
Kungsö (wo wir auch jetzt wieder waren) und Malöhamn
(wo wir diesmal nicht waren, aber auf allen bisherigen
Westschärentörns mit den Charterbooten gelegen
haben). Nach diesen Eindrücken war klar, wo mein liebstes
Segelrevier sich befindet. 
Auf
dem Rückweg der ersten Charter-Schwedenreise 2016 waren
wir auch in Asaa. Insgesamt war es damals entsetzlich, und ich habe
viel daraus gelernt: Zum Beispiel den Fehler zu vermeiden, ganz
zurück nach Arnis zu müssen (den nächsten
Crewwechsel haben wir seitdem einmal in Odense gemacht und einmal in
Svendborg, diesmal stehen Aarhus, Grenaa oder Randers zur Wahl).
Nachdem die Gäste ganz nach Marstrand angereist waren, mochte
ich sie nicht gleich am ersten Tag dazu verdonnern, mir meine Boote
nach Hause zu bringen. Wir verbrachten also vier, fünf
schöne Tage in den Schären, was wir aber
anschließend bitter bereuten bei stabiler Hochdrucklage ohne
Wind. Wir verbrachten ganze Tage von morgens bis abends auf dem Wasser,
ohne ausreichend weit voranzukommen. Es wurde viel motort und mehrfach
nachgetankt. Wahrscheinlich beschreibe ich es heute bitterer, als es
sich damals anfühlte, aber rundum gelungen war es mit
Sicherheit nicht. 
Eines
der wenigen Highlights: Asaa! Nachdem wir die letzten zwei
Stunden des Tages immerhin noch schön segeln konnten, platzten
wir mitten ins Hafenfest und legten während des Soundchecks an
hinter dem historischen LKW, der der Blaskappelle als Bühne
diente. „Fünf Folkeboote in Asaa gibt’s
nur einmal“, sagte unser neuer Freund zum Hafenmeister,
„und wenn du nett zu den Leuten bist, bleiben sie vielleicht
eine zweite Nacht.“ Nun – wir zahlten für
ein Boot statt für fünf und blieben mangels Wind
sowieso zwei Nächte, jedenfalls möchte ich seitdem
unbedingt wieder hier hin, und endlich hat es geklappt. 
„Warum
Asaa?“ – die Frage des
Einheimischen birgt schon den Teil der Antwort: Während auf
Læsø, in Skagen, Frederikshavn und Sæby
um diese Jahreszeit die Motor- und Vierzigfußyachten im
Siebenerpäckchen liegen, kommt hier kaum jemand hin.
Liegeplätze sind kein Problem, es ist ruhig und friedlich.
Obwohl hier kaum noch jemand zum Fang rausfährt, hat sich der
alte Kleinfischerhafen seinen Charme erhalten. Direkt südlich
vom Hafen beginnt ein Sandstrand mit Dünen, Strandhafer und
Nordseefeeling. Der Ort ist nicht weit, dort gibt es einen Kaufmann.
Alles ist wie geschaffen für fünf Folkeboote. Und es
wird noch viel besser. 
Gleich
nach dem Anlegen erblicke ich eine Werbetafel in Form eine
Eistüte mit diversen farbigen Kugeln. Kaum ist die
dänische Gastlandflagge gesetzt und das Hafengeld bezahlt,
gehe ich hin und sehe zunächst, dass ich mich grandios
getäuscht habe: Die vermeintliche Werbetafel ist in Wahrheit
ein Eimer mit Käschern, die man im Museum kaufen kann. Doch
gegenüber gibt es ein Restaurant. Dort kann man
köstliches dänisches Eis kaufen, aber auch abends mit
der ganzen Gruppe essen gehen, es gibt überwiegend frischen
Fisch in klassisch dänischer Zubereitung. Als die
müdegesegelten, frisch geduschten Gäste schon in der
Koje liegen, geht gülden und erhaben der Vollmond auf. 
Der
anschließende Dämmertörn nach
øster Hurup ist schön, aber unspektakulär.
Der direkte Weg entlang der Küste führt uns am
Leuchtturmpaar Hals Barre N und Hals Barre S vorbei –
wüsste man nicht, dass hier quer zu unserem Kurs das
Fahrwasser zum Limfjord durchgeht und sähe nur das ganze
Wasser des Kattegats, würde man sich durchaus fragen: Warum
stehen hier mittenmang dicht zusammen zwei Leuchttürme? Und
warum fährt der Kümo mittendurch? øsfer
Hurup erreichen wir gerade rechtzeitig, um noch ein gezapftes
Anlegebier zu ergattern. Der Hafen ist durchaus anlaufenswert. Platz
ist genug, wir könnten uns irgendwo freie Boxen suchen. Doch
als ich die Heckbojen sehe, die mich so angenehm an Schweden erinnern,
kann ich nicht widerstehen. 
Für
den vorletzten Reisetag verspreche ich den
Gästen ein Juwel. Mehr - außer wo es ist und wie man
da hinkommt - wird nicht verraten, und
tatsächlich gibt es in keinem mir bekannten und aktuell
verfügbaren Hafenführer weitere Informationen. Wir
waren aber vor vier Jahren schonmal da, und seitdem lauere ich auf
einen zweiten Besuch. Der Weg dorthin ist bemerkenswert. Laut Prognose
gibt es gegen vierzehn Uhr für einige Stunden einen
schönen Südost. Auf den können wir aber
nicht warten, nochzumal wir dann die das erste Drittel der Strecke bis
zum Mariagerfjord kreuzen müssten. Morgens ist ein stetiger
Westwind, den wir mit Ausschlafen schon in Teilen vergeudet haben. Was
aber machen wir zwischendurch mit den bis zu drei Stunden Flaute? Die
Strecke
führt flaches Wasser von höchstens fünf
Metern Tiefe – ein bisschen mehr Sand und ein
größerer Tidenhub, und wir würden vom
jütländischen Wattenmeer sprechen. Wir
können also vor Anker eine Pause machen. Um acht klopfe ich an
allen Booten und bitte um schnellstmögliches Auslaufen. Nach
kurzem Briefing legt Paula um neun Uhr als erste ab. 
Es
läuft perfekt: Als die Flaute einsetzt, sind wir eine
Meile nördlich vom Fahrwasser zum Mariagerfjord und weit genug
östlich, um später den Südkurs, der uns von
allen Untiefen freihält, gerade so laufen zu können.
Ich berge die Segel und werfe den Anker. Oli kommt zu uns, geschleppt
vom schwimmenden Karsten. Ob ich auch ein Spiegelei wolle, fragt er.
Mit oder ohne Brot? Gerne mit. Martha kommt angesegelt. Als sie
längsseits kommt, überreicht Karsten Michael den
Teller mit der
Mahlzeit im Tausch gegen Marthas Achterleine. Die Vorleine bediene ich,
Michael beginnt zu speisen. Die drei Boote liegen mittenmang im Wasser
wie die Leuchttürme – das Restaurant am Ende des
Mariagerfjords. Frieda segelt mit einem Knoten weiter. Salty ist ein
bisschen zurück und als Erste in die Flaute geraten. Jetzt
kreuzt sie tapfer gegen die ersten Vorboten des Südost. 
Markantes
Gekräusel nähert sich vom Kattegat her.
Frieda berichtet, sie laufe wieder dreieinhalb Knoten. Salty ist
beinahe bei uns. Wir lösen das Päckchen und gehen
Anker auf. Der Kurs passt wie erhofft, zwei Stunden später
erreichen wir die Einfahrt zum Randers Fjord. Jetzt wird es ein
bisschen spannend und läuft nicht ganz so, wie erhofft. Wir
lassen zuerst noch einen Frachter durch, der vorher lange über
der Schüttstelle verharrt und dann den Lotsen an Bord genommen
hat – offenbar wird der Fjord gerade ausgebaggert. Als ich
dann mit dem Fockausbaumer liebäugele, stehen wir
plötzlich im Wind. Unter Land war das – in Kenntnis
des Wetterberichts, anhand der Windmühlen, aber auch nach dem,
was die Thermik halt so macht – zu befürchten, aber
ich hätte doch gehofft, zumindest bis Udbyhøj den
Ostenwind zu behalten. Tide gegenan haben wir auch. 
Dreißig
Grad Versetzung, kaum Wind – ich wundere
mich, dass wir überhaupt vorankommen, Tonne für Tonne
– und die Betonnung ist dich, das Fahrwasser ist eng,
außerhalb davon warten die Wattflächen und
Sände. Michael packt sofort ein und motort. Oli und Paula
kreuzen solide. Frieda und Salty kommen zuerst nicht aus dem Quark,
dann fährt auch noch eine der anderen in die Seite. Zum
Glück ist der Schaden gering, aber den Crews ist danach nicht
mehr nach Abenteuer zumute. Ich finde ja, mit dem Risiko, dass sowas
passiert, müssen wir leben, wenn wir sowas veranstalten. Oli
und Paula schaffen es bis Udbyhøj. Hier knickt der Fjord
nach Süden ab, der Wind dreht mit, schläft dann ganz
ein. Ich finde: Nachdem wir es bis hierher geschafft haben,
können wir den Rest auch motoren. 
Nachdem
die Segel gepackt sind, kommt wieder eine schöne
Brise aus passender Richtung auf. Das ist ein bisschen
ärgerlich, aber nach einer Stunde Motoren erreichen wir das
versprochene Juwel: Die Kanalinsel. Diese ist unbewohnt, eine halbe
Seemeile lang und sechzig Meter breit. Im 19. Jahrhundert vertiefte man
das Fahrwasser nach Randers auf die Bedürfnisse der
Dampfschiffe. An dieser Stelle traf man auf felsigen Grund, nicht aber
am Ostufer; wo man daraufhin einen schmalen Kanal anlegte. Den Aushub
warf man nebenan in den Fjord – so entstand die Kanalinsel.
Heute ist sie ein grünes Idyll mit einem Ponton mit einer
solarbetriebenen Vakuumtoilette, eine wettergeschützte
Hütte und diverse Grills. Sonst nichts. Vor allem keine
Dutzende übergroßer Segelyachten. Die zwei
Motorboote legen kurz nach unserer Ankunft ab, wir sind
ungestört. Ich liebe solche Orte! Den Hafen erreicht man nicht
über den Kanal, sondern das flache Nebenfahrwasser, das man
damals nicht baggern konnte. 
Ich
habe es schon in Asaa gespürt: Meine von den
Schären verwöhnten Gäste brauchen eine
Weile, sich für meine handverlesenen
Dänemark-Highlights so richtig zu erwähnen. In Asaa
hatte ich schon fünfmal auf den Sandstrand gleich beim Hafen
hingewiesen, doch gezogen hat erst, als ich die Dünen
erwähnte. Jetzt finden es alle „wirklich
schön hier“ – aber auch „ganz
schon mühsam hinzukommen.“ Karsten ärgert
sich immer noch übers Motoren trotz wieder aufkommen Windes.
Auf Salty und Frieda wird die Kollision nachbesprochen. Michael ist
einfach müde. Und dann komme ich auch noch mit der
schlechtesten aller Nachrichten: Auslaufen um fünf. 
Am
frühen Freitagmorgen kurz vor Sonnenaufgang zeigt sich
Kanaløen von ihrer spektakulärsten Seite: Ein
leichtes Brischen. Der untergehende Vollmond als tieforange Scheibe
kurz über den Hügel am anderen Ufer. Geheimnisvoll
steigen Nebelschwaden auf. Alle wissen ganz genau: Ein solches
Schauspiel erlebt man nur selten, nur zu ganz früher Stunde
und nur an entlegen Orten wie diesem. Ich versuche gar nicht erst, die
Szenerie zu fotografieren. Ich möchte den Anblick
genießen und für lange Zeit im Gehirn abspeichern.
Ich sehe aber auch ein Problem: Was, wenn der Nebel dichter wird?
Fünf
Uhr. Die Boote sind bereit, die Gäste
scharren mit den Hufen. Der Nebel wird dichter. Eben hat man das
nächste Unterfeuer noch gesehen. Jetzt kann man es zumindest
noch erahnen, wenn man weiß, wo es steht. Im
nächsten Moment…frage ich mich, ob wir nicht lieber
abwarten sollen. Oliese legt ab. Frieda legt ab. Salty legt ab. Martha
legt ab. Segel werden gesetzt, der Wind schläft fast komplett
ein. Naja. Ohne Wind werden wir nicht allzu nachhaltig festkommen, und
die Tide wird bald kentern. Sportboote sind so früh morgens
kaum zu erwarten. Und einen Frachter wird man frühzeitig
hören. Im Fahrwasser treiben die Boote in der ablaufenden
Strömung los – und verschwinden spurlos im dichten
Nebel. 
Ich
wrigge Paula aus dem Hafen. Wir treiben los. Das erste Paar
kleiner, gelber Fahrwassermarkierungen war vom Hafen aus noch zu sehen.
Doch wo ist das nächste? Ein großer Vorteil der
Flotillentörns ist immer gewesen, einander in Sichtweite zu
haben. Gut fürs Gefühl. Die ganze Tragweite
– ich war ja immer der, der sich am besten auskannte und
vornewegsegelte – wird mir jetzt bewusst. Paula und ich sind
ganz allein. Meine Sinne helfen nicht. Paulas Instrumente helfen nicht.
Wir treiben irgendwohin, wo uns irgendwas erwartet. Zum ersten Mal in
meinem Leben sehe ich den Pluspunkt der
Navigationssoftware, die die anderen auf ihren Tablets haben. Ich
weiß, dass es ungefähr nach Norden losgeht. Doch die
Strömung versetzt uns mal zur einen, mal zur anderen Seite.
Ein Schlingerkurs ist unvermeidbar. Der Kompass sagt mir allenfalls die
grobe Richtung. Sobald ich ihn fünf Sekunden lang aus den
Augen lasse, fahren wir sonstwo hin. Das GPS ist keine große
Hilfe: Es zeigt immer nur den Kurs an, den wir vor zehn Sekunden
gefahren sind. Oh, das nächste Tonnenpaar –
fünfzig Meter querab ist die eine gerade so eben zu erkennen.
Aha, also Sichtweite fünfzig Meter. Ich bin nicht sicher, ob
ich diesen Nervenkitzel aushalte. 
An der Nordspitze der Kanalinsel finden wir das Hauptfahrwasser. Die
weiteren Kurse ermittele mühsam mit Dreiecken und Zirkel auf
der patschnassen Seekartenhülle. Immerhin kann ich nun mit dem
Echolot ein bisschen was anfangen, in Fahrwassermitte ist die Tiefe
sieben Meter. Nach zehn Minuten taucht gespenstisch ein
rot-grünes Tonnenpaar auf. Paula ist genau in der Mitte, genau
auf Sollkurs, dank höchster Konzentration und einigem
Haareraufen. Es wird aber kalt, ich setze lieber die Mütze
auf, wo ist sie denn nur?…Mist, schon wieder
dreißig Grad aus dem Kurs
gelaufen. Voraus höre ich Stimmen. 
Zu sehen ist absolut nichts, nur milchiges Grau, dann eine
Gänseschar, die wir schon zum zweiten Mal aus ihrer Ruhe
aufscheuchen. Dann kommt eine rote Tonne, gerade als ich mir zutiefst
sicher war, auf dem völlig verkehrten Weg zu sein. Als
nächstes tut sich schemenhaft etwas anderes vor uns auf. Etwas
unerwartet Großes. Es ist Martha, die auf uns wartet. Die
beiden Boote segeln ein Weilchen nebeneinanderher. „Wie bei
Edgar Wallace“, sagt Michael, „es fehlen nur die
Raben.“ Erneut flüchtet flatternd und kreischend die
Gänseschar. 
Es
wird flacher, nur noch vier Meter. Martha ist ein Stück
weiter östlich. „Wie tief ist das da?“
– „Zwei siebzig.“ –
„Dann ist das falsch.“ Ich lege beherzt Ruder. Es
wird wieder tiefer. Und ich habe verstanden, wie man hier am besten
durchkommt: Wenn es langsam flacher wird, lege ich deutlich Ruder. Wird
es tiefer, ist es gut. Wird es flacher, lege ich Gegenruder –
und wenn es wieder tiefer wird, korrigiere ich über den
Sollkurs hinaus. So muss es früher oder später wieder
flacher werden, und das Spiel beginnt von vorne. Auf diese Weise
schlängeln wir uns um die Fünfmeterlinie am roten
Fahrwasserrand. Zwar
weiß ich nicht, wo ich bin und sehe weiterhin nichts
– aber ich weiß, dass wir auf dem richtigen Weg
sind. Ab und an steht vor oder neben uns eine Tonne und
bestätigt das.
„Ha“,
denkt der Morgen, „jetzt
erhöhen wir mal den Schwierigkeitsgrad.“ Aus dem
Nichts, das uns umgibt, kommt plötzlich richtig Wind auf. Wir
segeln mit viereinhalb Knoten gegen die inzwischen gekenterte
Strömung, ich muss viel schneller auf
Tiefenänderungen reagieren. Dafür passiert aber auch
sofort etwas, und nicht erst nach einer halben Minute. Die Betonnung
ist in diesem Teil dichter, die Sicht wird eine Spur besser. Zusammen
mit dem schnelleren Tempo können wir zunehmend nach
Tonnensicht fahren, haben manchmal die nächsten beiden
gleichzeitig in Sicht und dazu schon das Unterfeuer im
nächsten Fahrwasserknick. Rechtzeitig vor der
Seilfähre in Udbyhøj haben wir immerhin
mäßige Sicht. Dreißig schaukelige Meilen
weiter legen wir in Grenaa an, und es schließt sich ein
Regenbogen. 
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tägliche Siebtknoten

