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Goldmedaille und Juwel

Die Querung des Kattegats scheiterte lange an ungünstigem Wind – nicht nur bescherte uns das zwei Bonusschären, sondern uns wurde auch eine Goldmedaille verliehen. Für den Schluss der Reise verspreche ich den Gästen noch ein Juwel. Fazit: Die Wetterbedingungen werden mühsamer, doch unsere Reisen werden immer besser.

Juli 2025

Mein Eindruck von Uddevalla: Hier erleben wir das „echte“ Schweden. Im Pipi-Langstrumpf-Land der Schären sind so gut wie alle Gebäude Sommerhäuser. Sie gehören Familien mit neuen Motoryachten und blonden, blauäugigen, wohlerzogenen Kindern. Das war nicht immer so, aber schon seit Jahrzehnten. In Uddevalla begegnen wir Menschen aller Hautfarben und sozialen Schichten. Es ist nicht herausgeputzt mit Blumen und frischer Farbe. Sondern ehrlich und lebhaft. Zumindest am Freitag, nochzumal gerade ein Musikfestival stattfindet.

Für den Crewwechsel ist der Ort logistisch ideal: Eine Stunde von Göteborg mit Zug oder Bus, dann keine zehn Minuten zu Fuß zum Liegeplatz. Der nächste Supermarkt ist knapp fünf Minuten entfernt, es gibt auch einen System Bolaget (in Schweden dürfen alkoholische Getränke nur in diesen Spezialgeschäften mit eingeschränkten Öffnungszeiten verkauft werden. Es gibt sie in größeren Städten, mancherorts auch in den Schären, doch da ist es dann eine kleine Ecke im Kaufmannsladen – Wein muss man dann drei Tage vorher bestellen). Neben buntem Treiben in der Fußgängerzone gibt es viel Historie zu sehen, und natürlich gibt es – auch das ist nützlich – eine große gastronomische Auswahl.

Der Hafentag gleich zu Beginn lässt sich so gut verbringen, und abends geht die neue Gruppe gemeinsam essen: Karsten und Angie bleiben Oli erhalten. Michael hat ein eigenes Folkeboot, würde es selbstorganisiert damit aber nie in die Schären schaffen, also macht es er sich auf Martha gemütlich. Tine und Malte haben letztes Jahr eine Woche gechartert mit zwei Trainingstagen zu Beginn – das lief so gut, dass ich gleich Werbung für die diesjährige Sommerreise gemacht habe. Beate war vor vier Jahren schonmal an Bord, Dorothee ist das einzige völlig neue Gesicht. Die beiden sind erfahrene Seglerinnen und werden sich gut mit Frieda anfreunden.

Am sonnigen Sonntag ist es selbst hier zu windig. An der Küste sind wieder einmal Sturmböen zu erwarten. Die unvermeidliche Einweisung verschieben wir zugunsten unbeschwerten Stadtbummels auf den Montagmorgen, danach legen wir gleich ab. Während draußen zumindest immer noch eine beträchtliche Welle steht, wird das Innenfahrwasser jetzt wieder zum Riesenvorteil. Außerdem: Hunnebostrand und Marstrand, wo wir bisher unsere Crewwechsel gemacht haben, liegen mitten in einem Wirrwarr auf den ersten Blick ununterscheidbarer Schären. Dort bin ich mit allen Schweden-Neulingen eine Runde um den Pudding gesaust mit der Ansage: „So – nun findet euch hier mal zurecht.“ Das ging immer relativ schnell, doch hier ist es unnötig. Der Fjord ist recht aufgeräumt, die Felsendichte gering, das Auge gewöhnt sich allmählich an die Navigation in den Schären.

Wie drehen also die Boote an den Fingerstegen und legen ab zum großen Abenteuer. Martha, Oli und Paula kreuzen den Fluss auf. Salty und Frieda motoren – das ist genau richtig so, gerade zu Beginn sollen alle sich sicher und kommod fühlen. Draußen im Fjord ist erheblich mehr Wind, und alle kreuzen. Martha ist ein ganzes Stück vorneweg, doch das hier ist Paulas und meine Stärke. Wir laufen mehr Höhe, kommen auf, sind schließlich vorbei, bevor wir durch die große Straßenbrücke segeln. Die hat bei google nur positive Bewertungen, wie diese mit fünf Sternen: „Es ist phantastisch! Da ist eine Brücke, man fährt drüber – und befindet sich auf der anderen Seite!“

Im Havstens Fjord wird es ein Anlieger. Der Wind ist mäßig, in der Abdeckung der Schären auch mal ziemlich mau. Martha segelt davon, Frieda kommt von hinten auf. Doch kaum haben wir in Stenungssund die Fährstrecke passiert, wird es wieder eine Kreuz, diesmal bei 5-6. Mit genug Wind ist Paula richtig schnell und setzt sich ein Stück ab. Den letzten Teil der Strecke verbringen Paula und Martha nebeneinander, bevor wir um die „Katze“ kreuzen, die Katten genannte letzte Schäre vor unserem Ziel. Da ist Paula plötzlich wieder vornean, aber das ist ja auch richtig so, denn wir sollen ja unseren Liegeplatz auskundschaften.

Nördlich von Marstrand liegt zwischen Hättan, Kärsson und Lilla Dyrön ein ganzes Archipel kleiner Schären mit Dutzenden von Liegemöglichkeiten. Die Bucht ist einer der Gründe dafür, dass wir jetzt hier sind: Paulas und meine allererste Schärenübernachtung fand 2010 hier statt. Aus lauter Angst vor Felsen habe ich sie erstmal in den Schlick gefahren, dann haben wir frei geankert, ich ruderte mit dem Schlauchboot an Land. Die Aussicht, die sich von der Windmühle auf Kärsson bot, hat mich nachhaltig überzeugt: Diese unübertrefflich schöne Landschaft muss ich regelmäßig besuchen.

Gleich der erste Versuch ist erfolgreich: Die idyllische kleine Bucht an der Ostspitze Lilla Dyröns sieht mit einer Mischung aus frischem Grün und schroffem Fels höchst einladend aus, und vor allem haben wir sie für uns. Das Anlegen ist aber nicht ganz trivial: Die locals motoren einfach ran und klinken im richtigen Moment den Heckanker aus. Wir hingegen sind ungeübt. Und wir suchen uns nicht jeweils ein separates Plätzchen, sondern bilden ein Päckchen. Einhand geht es sowieso nur gut, wenn der Wind rechtwinklig ablandig ist - ist hier nicht so. Der Heckanker müsste verhindern, dass das Boot längsseits an den Felsen geht – doch ich kann nicht gleichzeitig den Heckanker durchholen und mit der Vorleine übersteigen. Dass das Längsseitsgehen hier von der Tiefe und der Beschaffenheit des Felsens durchaus möglich wäre, kann ich nicht einschätzen – es wird sich später herausstellen. Wäre so wenig Wind, dass ich Paula ranwriggen könnte, würde es vielleicht gehen, doch vier Windstärken sind dafür zu doll. Eindampfen in den Heckanker ist keine Option – erstens gehört dazu viel Vertrauen in den Halt des Ankers, zweitens besteht die Gefahr, dass die Ankerleine in den Propeller kommt, und drittens will ich weiterhin den Motor nur in Notfällen benutzen, sondern es muss auch anders gehen. Wir brauchen Zeit, die wir mit normalem Ankern gewinnen. Wir brauchen helfende Hände, die wir ins Päckchen holen. Dann können wir langsam, Schritt für Schritt weitermachen, bis zuletzt alle Boote sicher vertäut sind und es einen Landausstieg gibt, bei dem man sich nicht die Knochen bricht. 

Paula kreuzt also in die Bucht und ankert auf Höhe unseres späteren Liegeplatzes. Ich rufe Frieda und Martha heran und pumpe das Schlauchboot auf. Dorothee übernimmt den Job, damit eine lange Landleine zum Felsen zu rudern, während Beate und Michael Friedas und Marthas Heckanker vorbereiten. Oli und Salty segeln draußen neugierig auf und ab. Erst als Fünferpäckchen zu ankern und dann alle gemeinsam an den Felsen zu ziehen, hätte weniger Wartezeit bedeutet. Aber vielleicht kann ich mir für die Zukunft merken, dass mir ein Fünferpäckchen an einem einzigen Anker spontan immer heikel vorkommt. Es wäre auch zu schwer, um es gegen den Wind von Hand zu ziehen. Drei Boote sind hingegen topp.

Als alles gut vorbereitet scheint, ziehe ich das Dreierpäckchen über Paulas Anker, Michael und Beate werfen ihre daneben. Ziemlich dicht daneben in einem Fall, aber es wird wohl gut gehen – Knäuel hatten wir auch schon auf früheren Reisen, manchmal so schlimm, dass der Sporttaucher in der Gruppe sich gehörig austoben durfte. Die Anker liegen, ich ziehe uns an der Vorleine Richtung Felsen. Klappt prima, Anker halten, der Ausstieg ist ein bisschen steil, aber tauglich. Wir tauschen die lange Leine gegen ein Gewirr normaler Vorleinen, dann rufen wir Salty und Oli heran.

Malte und Tine sind nicht geübt im Ankern. Und ich habe in der Annahme, dass vor Ort in Ruhe erledigen zu können, nicht auf das Ausklappen und Sichern des Klappdraggen hingewiesen. Jetzt bestehe ich auf einem eigenen Heckanker – doch eingeklappt hält er nicht. Salty braucht drei Versuche und liegt ein bisschen abseits, aber es gelingt ohne übergroße Aufregung oder Steinberührung. Endlich bekommt Oli ihren Auftritt – Karsten segelt. Im ersten Anlauf zu schnell. Im zweiten Anlauf zu weit in die Bucht über die restlichen Ankerleinen hinweg, wo ich sie gar nicht hinhaben wollte. Vor dem dritten Versuch überlege ich es mir anders und will sie doch ganz nach innen haben, doch dann wird es wieder ziemlich schnell. Karsten missversteht meine Geste, die Segel zu bergen, und lässt den Anker fallen. Eindeutig in Fluchtlinie mit Paulas und Friedas…hmm…

Völlig souverän arbeiten wir Oli an das Päckchen ran. Wir packen die Segel, dann habe ich es eilig, die Schäre zu erkunden und ein paar Fotos zu knipsen. Karsten springt ins Wasser und checkt die Anker – keine Knäuel, alles ein paar Zentimeter nebeneinander. Es war ein umständliches Manöver und hat lange gedauert. Doch wir sind uns einig: Es war ruhig und stressarm, kontrolliert und sicher, und vor allem: erfolgreich. Die Schäre ist wirklich schön. Südlich von ihr im Archipel ist kein Felsen mehr menschenleer, wir haben also unseren ureigensten Platz ergattert. Lilla Dyrön und Kärsson hängen zusammen, nur durch eine flache Senke getrennt. Ich könnte also nochmal zur Windmühle von vor fünfzehn Jahren pilgern. Doch Müdigkeit und Kohldampf sprechen dagegen – es war ein aufregender, erlebnisreicher erster Reisetag. Dorothee und Beate sagen: „Allein dafür hat sich der Aufwand schon gelohnt.“



Dienstag ist Süd 4-5 und strahlende Sonne. Es wäre perfekt für den Weg nach Skagen, immer entlang der Grenze von Skagerak und Kattegat. Unbeständiges Wetter ist absehbar, das spricht eindeutig für einen so frühen Absprung – doch nein: Wenn die Gäste schon hierher angereist sind, sollen sie auch einen umfassenden Eindruck vom Revier bekommen. Und dazu gehören die Außenschären zwingend hinzu. Außerdem möchte ich selbst noch nicht abreisen, sondern mir noch eine Runde um Tjörn gönnen. Denn auch dafür ist der Wind perfekt: Raumschots erneut durch das engste Gewirr von Felsen und Steinen, Baken und Tonnen, das man sich vorstellen kann und das wir letzte Woche mit der ersten Gruppe schon in Rauschefahrt durchsegelt sind. Slubberholmen – eine Außenschäre bei Mollösund – bietet sich einwandfrei an bei einem Südenwind, der auch die Nacht über halten soll. Endlich mal eine Schärennacht ohne jeglichen Winddreher gefällt mir sehr gut.

Übers Ablegen muss ich kurz nachdenken. Jedes Boot hat einen Heckanker. Der muss aufgeholt, vom Schlick gesäubert und sicher verstaut werden. Nach meiner Erfahrung geht das am besten, bevor das erste Segel gesetzt wird. Das Boot treibt dann vor Topp und Takel, bis alles erledigt ist. Normalerweise geht das bei ablandigem Wind ausgezeichnet, doch hier liegt eine kleine Schäre ziemlich dicht in Lee. Mit halbem Wind treiben dürfte nicht klappen, und ob es auf dem Weg weiter in die Bucht und andersherum um die Schäre tief genug ist, bezweifle ich. Wir machen also etwas anderes: Nachdem die separat liegende Salty weg ist, bringen wir die lange Vorleine wieder ins Spiel. Wir lassen das Viererpäckchen daran sacken, bis alle Anker aufgesammelt sind. Martha treibt los und setzt Segel. Paula treibt los und setzt Segel, ebenso Frieda. Karsten, Angie und Oli haben den Job, erst noch am Felsen die gute Leine einzusammeln.

Hoch am Wind entlang von Kärsson und Stora Dyrön, dann vorm Wind durch zwei enge Tore bei Ronnäng und schließlich in Rauschefahrt auf die Schikanen von Hjärterösund zu – es sind viele zackige Halsen gefragt, der Actionfilm ist mal wieder zu schnell, um sich jedes wichtige Detail des pfiffigen Plots einzuprägen, doch es macht einen Riesenspaß. Diesmal segeln wir nicht im Pulk, sondern in einer lockeren Reihe. Die Staffelung ergibt sich aus der Reihenfolge des Ablegens gepaart mit der Segelerfahrung. Zumindest bleibt kein Boot deutlich zurück, jedes außer Paula kann sich am voraussegelnden orientieren. Beim Briefing habe ich deutlich gemacht, dass das zwar nicht die einzige Form der Navigation sein darf, aber eine große Erleichterung bedeutet. Bei Südwind sind hier Halsen gefragt, manchmal drei in einer Minute. Halse, Foto knipsen, Blick in die Seekarte, Halse, Kippe drehen, Ausschau halten, Halse, das Leben genießen, Foto knipsen…Langeweile kommt eher nicht auf, zumal die Strecke nicht übertrieben lang ist.

Auf den letzten Meilen nach Slubberholmen bekommen wir die Welle zu spüren, die sich hier bei frischem Wind aufbaut. Außerdem müssen wir zwei, drei nicht betonnte Steine sorgfältig umschiffen, bevor wir in die Bucht einlaufen. Die Schäre ist im westlichen Teil einigermaßen hoch und bietet schöne Abdeckung für unfallfreies Bergen des Großsegels. Der östliche Teil, wo die Ringe sind und ufernah die Tiefe ausreicht, ist hingegen flach mit der vollen Dröhnung Wind. Hurra! Da, wo wir hinwollen, ist noch Platz. Paula segelt mit der Fock ran. Ich berge das Segel, werfe den Anker. Viel zu früh. Also Anker wieder rauf, Segel wieder hoch, neuer Versuch. Diesmal bin ich mir total sicher, genau den richtigen Platz gewählt zu haben. Oli segelt längsseits, ich zerre das Päckchen über Paulas Anker, Karsten wirft Olis daneben. Als die Boote sich wieder ausgependelt haben, nehmen wir Frieda dazu.

Mehr Tonnage möchte ich an diesem Anker nicht hängen haben, auch wenn es beim Briefing anders klang. Marthas Motor geht aus, erstickt von einem dicken Seegrasknäuel am Propeller. Salty schleppt – so haben die ihr eigenes kleines Abenteuer, auch wenn man trotz einzelner Ankerlieger in der großen Bucht auch beiliegend hätte warten können. Die fünf Leute auf den drei Booten vor Anker haben unterdessen eine gewaltige Aufgabe vor sich. Zuerst rudere ich im Schlauchboot los mit Paulas längstem Ende Tauwerk. Auf halbem Wege geht es nicht weiter, Karsten muss die Leine verlängern. Er hat heute einen kleinen Palstek-Blackout, es dauert ewig, bis er die Tampen zusammen hat. Mit leichten Ruderschlägen halte ich die Position und ahne schon, dass es auch mit dem zweiten Ende nicht ans Ufer reichen wird. So ist es auch, fünf Meter fehlen. Karsten kommt dankenswerterweise auf die gute Idee, die eigentliche Vorleine zum nächsten Verlängern zu benutzen, und diesmal hat er auch die Knoten viel schneller zurecht. Ich steige an Land und knote die Leine um einen Schärenhaken. Bei dieser Gelegenheit gucke ich mir die Umgebung an und bin nicht sicher, ob die Wassertiefe wirklich ganz ans Ufer reicht – vor sieben Jahren waren wir schonmal hier, haben in zweiter Reihe gelegen und die Seilfährennummer praktiziert.

Ich treibe zurück an Bord. Wir setzen die Ankerleinen um aufs Heck, ich beginne an der Vorleine zu zerren. Als Erstes wird klar: Gegen fünf Windstärken ist das mehr als anstrengend. Als Nächstes wird klar: Ich habe Paulas Anker viel zu viel zu früh geworfen, so früh, dass die Ankerleinen zu kurz sind. Also geben wir wieder Lose auf die Vorleine und holen die Anker auf, um sie später erneut fallenzulassen. Es ist mühsam, doch wir kommen voran. Mühsam ist es vor allem deswegen, weil ein Dreierpäckchen Langkieler extrem kursstabil ist und sich nicht so einfach in den Wind dreht – im Wechsel ziehen Karsten und ich die Boote quer zum Wind nach Luv. Statt auf den Haken, an dem unsere Leine belegt ist, nähern wir uns dem Heck einer Motoryacht weiter westlich.

Wir nähern uns allmählich der Schäre, vor allem aber dem Nachbarboot. Statt auf Paula in der Mitte des Päckchen ziehe ich jetzt von Frieda aus am Rand. Ergebnis: Die drei Boote drehen in den Wind! Jetzt ist es viel leichter, ein paar Meter zu holen, bevor wir durch die Wende gehen. Jetzt zieht Karsten auf Paula, ich habe Pause. Als wir erneut durch den Wind schwoien, übernehmen wieder Frieda und ich. Wir kreuzen uns sozusagen an die Schäre heran - es ist grandios! Zu guter Letzt fühle ich mich, als hätte ich Sport getrieben, und Oli schmiegt sich sanft an ihren Platz als Ausstieg für die ganze Gruppe. Wir binden das mit diversen Vorleinen fest, holen die inzwischen ausgebrachten Heckanker durch und rufen Salty und Martha heran. Als das letzte Boot fest ist und alle gut und sicher und komfortabel miteinander vertäut sind, bin ich in Festlaune.

Umständlich? Mit nur einem Boot, eingespielter Crew, Routine und Ortskenntnis würde man einfach ranfahren, den Heckanker ausklinken, aufstoppen und an Land steigen. Mein Augenmaß beim ersten und zweiten Ankermanöver war ein Flop, doch Teil der Stärke unserer Gruppe ist, das kompensieren zu können. Die Nachbarn sind beeindruckt von unserer Teamarbeit. Intuitiv aus der Situation heraus haben Karsten und ich ein neues Manöver erfunden, das Wechselmanöver, das ich tunlichst niemals vergessen darf, wenn ich solche Reisen noch häufiger unternehmen will. „Segeln ist so toll“, wird Dorothee am nächsten Tag bestätigen, „jede Situation ist anders, und man lernt immer noch etwas dazu.“

Slubberholmen ist auch toll: Karg und schroff, doch Blumen und Blümchen. Es gibt sogar einen Seerosenteich. Wir liegen ruhig wie selten, an der Südseite bricht sich die Brandung. Zum Toilettenhäuschen haben wir einen kürzeren Weg als in manchem Hafen. Es ist ein prächtiger Sommertag, beinahe zu schön, um wahr zu sein. Nach der ganzen Anlegeaction gerät es fast in Vergessenheit, aber: Raumschots mit fünfeinhalb Knoten segelt man auch nicht alle Tage durch dermaßen Enge Sunde und Schikanen.

Allein das Wetter, es bleibt nicht so sommerlich, sondern wird unbeständig. Donnerstag ist Hafentag mit stürmischen Böen. Da haben wir in den Außenschären nichts verloren. Mittwoch wählen wir die beliebte early bird-Nummer. Neben weitgehend trocken und gelegentlichen Schauern sitzt uns im Zentrum des Tiefs vor allem eine drohende Flaute im Nacken, und ich möchte die zwölf Meilen nach Almösund am liebsten vorher erledigen, also trennen wir uns um sechs Uhr morgens von der schönen Schäre.

Wir sind schon im Stig Fjord zwischen Tjörn und Orust, als der bedeckte Himmel aufreißt und die Sonne rauskommt. Bei schwachem Südwest kommen die Fockausbaumer zum Einsatz, allerdings nicht für lange, denn mit dem ersten leichten Regen schläft der Wind komplett ein. Als er nach kurzer Zeit wiederkommt, ist es ein Südost. Scheinbar ist das eine gute Nachricht, indem er uns voranbringt. Doch ab Ärholmen schlängelt sich ein enges Fahrwasser südostwärts. Ob man den engen Skåpesund kreuzen kann, ist eine offene Frage. Vor sieben Jahren sind wir da in Gegenrichtung schonmal durchgetrieben bei einem mäßigen Südwest.

Erstmal gilt es, zwischen Felsen und Fischzuchten eine grüne Tonne zu finden. Dass Paula gerade jetzt, als es knifflig wird, voll auf der Seite liegt, ist nicht eben hilfreich. Doch wir finden die Tonne und damit den Anfang des Fahrwassers. Wende. Alles ist breiter und ruhiger als befürchtet. Frieda folgt uns, dahinter die Schwestern. Dann Skåpesund: Ein eng-eng-enger Sund zwischen steilen Felswänden, eine Brücke, diverse Privatstege. Ein einzelner Donner, kein Blitz, kein Drama. Aber großtropfiger Pladderregen und Wind genau gegenan. Ich denke: Hier sind wir sicher. Wir könnten jederzeit irgendwo anlegen, falls es wirklich ruppig würde.

Der Sund ist grandios: Tiefes Wasser bis kurz vorm Ufer, wir können die Kreuzschläge lang ausfahren. Gegen die schwache Strömung kommen wir gut voran. Der Regen prasselt. Die Brücke hat vier Speigatten. Paula ist schon durch. Als ich zurückgucke, wie Martha sich dort abkämpft und den Extraguss von oben abbekommt, muss ich schallend lachen. Doch ich darf mich nicht ablenken lassen, volle Konzentration ist gefragt. Der Schauer ist durch, der Wind lässt nach, mit 0,7 Knoten erledigen wir das letzte Drittel des Sundes. Im offeneren Wasser danach ist schon Gekräusel zu erkennen.

Salty erreicht den Skåpesund als Letzte, als der Schauer weitgehend durch ist. Ohne Wind wird das eine zähe Kiste und kostet reichlich Zeit. Doch auch das hinterste Boot bleibt beharrlich in Sicht. Die Sonne kommt raus, im Ölzeug wird es mir zu warm. Frieda bleibt uns auf den Fersen. Das tiefe Fahrwasser lässt sich jetzt mit Echolot gut aufkreuzen: Wende, wenn es flach wird. Durchatmen, wenn es tiefer wird. Dann wieder Wende, wenn es flach wird. Und so weiter. Paula erreicht als Erste das markante Gekräusel und saust davon. Zwei Ecken weiter ist Almösund in Sicht. Und dann legen wir auch schon an, längsseits an dem leeren Steg, auf den ich spekuliert habe.

„Wie unterschiedlich doch Segeltage sein können“, stelle ich fest, als die Gäste anlegen. Gestern haben wir Halsen geübt, heute die Fockausbaumer ausprobiert und nach kurzer Geduldsübung Dutzende Wenden gefahren, während die Landschaft sich wieder von schroff zu lieblich gewandelt hat. Almösund war 2018 unsere Zuflucht – der Hafen ist wenig bekannt, aber bestens geschützt, bietet genug Plätze und reichlich Grün drumherum – vielleicht nicht der Nabel der Welt also, aber in unserer Situation mehr als attraktiv. Hauptattraktion ist der ICA-Supermarkt mitten in der dünn besiedelten Ländlichkeit, und das meine ich durchaus ernst, er ist eine echte Attraktion. Man erreicht ihn in fünf Gehminuten durch eine Röhre unter der vierspurigen Schnellstraße hindurch: Betonsegmente für Abwasserkanäle sind einfach mit Bauschaum abgedichtet, Großgewachsene müssen ein wenig den Kopf einziehen, aber es ist eine pragmatische, preiswerte Lösung.

Der Laden ist riesig und bestens sortiert, die Ware frisch, angeschlossen ist eine Apotheke. Im Untergeschoss gibt es Kinderspielzeug und wahrscheinlich auch Waschmaschinen und Kühlschränke. Natürlich gibt es hier auch alle schrulligen Spezialitäten Schwedens zu kaufen, Käse und Pilze aus der Tube zum Beispiel. „Was man hier alles für’n Scheiß kaufen kann“, sagt Angie grinsend, als sie nach der Blaubeerensuppe auch die Hagebuttensuppe ausprobiert. Ein vergleichbares Backsortiment gibt es andernorts höchstens beim Konditor. Wir stürzen uns alle auf das verlockende Rosmarinbrot, Michael ergattert abends noch das letzte. Er hat den Hafentag statt zum Ausruhen zu einem Ausflug nach Göteborg genutzt. Hat es sich gelohnt? Jedenfalls hat er die Stadt gesehen, sich ein wenig treiben lassen, auch die an die Innenstadt angrenzenden Wohnviertel erkundet, und ist besonders vom ÖPNV begeistert: Hier gibt es Busbahnhöfe fernab jeglicher Ortschaften, wo sich alle Linien im Zwanzigminutentakt zum Umstieg treffen. Auf der Autobahn gibt es eine Busspur, in die Innenstadt führt eine eigene Brücke nur für Busse, Pünktlichkeit ist garantiert.

Es ist achtzehn Uhr, wir machen Briefing – morgen sollen wir mal wieder ein Stück segeln. Wieder steckt reichlich Gehirnschmalz in meiner Tagesplanung, und diesmal bin ich mir keineswegs sicher, dass der Plan aufgeht. Morgens ist es noch monsterböig, draußen jedenfalls, doch wie zeigt sich das hier im Innenfahrwasser? Im Marstrands Fjord dürfte reichlich alte Welle stehen. Der anfängliche Westwind dreht bald auf Südwest – und womöglich noch südlicher, das wäre schlecht. Die Strömung dürfte dem Wind folgen, also gegenan sein – hoffentlich bremst sie uns nicht völlig aus, denn ab dem frühen Nachmittag ist mit Gewittern zu rechnen. Langer Rede kurzer Sinn: Zweiundzwanzig Seemeilen nach Kallö Knippla sind das Tagesziel, wir dürfen nicht zu früh los und müssen rechtzeitig ankommen. Ich verordne uns Auslaufen um acht. Wir sprechen auch darüber, rechtzeitig das Groß zu bergen, falls es auf die Mütze gibt, oder notfalls im Schutz einer Schäre zu ankern.

Schon vor dem Auslaufen ahne ich, dass ich nicht gut zufrieden sein werde mit dem heutigen Segelvergnügen: Im supergeschützten Hafen kommt der Mittelwind aus West, die kräftigen Böen aus Süd. Entsprechend hühnerig eiern wir los. Im Hakefjord steht eine fürchterliche Hoppelwelle, warmes Salzwasser fliegt durch die Gegend, zum Glück habe ich rechtzeitig das Ölzeug an und kämpfe mich auch noch in die Gummistiefel. Wir müssen Höhe laufen, doch das ist nicht einfach, wenn man in den Böen abfallen muss anstatt anzuluven. Minutenlang lässt das Seegangsbild auf eine 6er Bö schließen – doch das Boot fährt nicht. Ich kann sowas überhaupt nicht leiden! Es macht absolut keinen Spaß!

Als wir uns dem Marstrandsfjord und Lilla Dyrön nähern, unserer Schäre von neulich (und damit die Umrundung Tjörns vollenden), wird es stetiger: Fünf Beaufort ohne große Böigkeit, eine dazu passende Welle. Ich beginne, Gefallen an der Sache zu finden. Die Westspitze von Algön können wir nicht ganz anlegen, doch der einzige Holeschlag dauert nur eine Minute. Martha segelt munter und in deutlichem Abstand vorneweg – Michael hat sich zu Beginn konsequent weit nach Lee von jeglicher Abdeckung entfernt, seitdem sind die beiden uneinholbar. Salty, Frieda und Oli folgen Paula in recht dichtem Abstand, manchmal höre ich ihr Plätschern in der Welle. Wir fallen ab und werden richtig schnell. Es ist Viertel nach zehn, genau wie vorher am Cockpittisch gekoppelt.

Östlich von Instön fädeln wir uns in das letzte enge Fahrwasser ein, bevor die Felsendichte abnimmt und sich der Schärengarten zu einer lockeren Folge von Inseln weitet. Hier ist eine kurze Kreuz gefragt. Den Rest der Strecke können wir anlegen. Der Wind hält im Wesentlichen, mäßigt sich ein wenig, bleibt bei Westsüdwest. Erste Schauer ziehen hinter uns durch, voraus scheint im Wesentlichen die Sonne. Kurz vor Kallö Knippla fallen ein paar Tropfen. Um zwölf Uhr dreiunddreißig berge ich kurz vorm Hafen die Fock.

Kallö Knippla war 2012 Paulas Zuflucht, als es in der letzten Stunde offenen Wasser gehörig auf die Mütze gab: Sieben Windstärken. Ein Boot, das auf der Seite lag, gehörig Wasser machte und keine elektrische Bilgepumpe besaß. Ein unerfahrener Eigner mehr an der Handlenzpumpe als an der Pinne. Und dann die ersehnte Abdeckung der Insel, der rettende Hafen – und ein norwegisches Ehepaar, das uns eben überholt hatte und nun längsseits nahm und mir zur Begrüßung eine Dose Bier in die Hand drückte. Beim Aufklaren fand ich die Bratpfanne in der Bilge.

Jetzt segelt Paula mit vier Knoten in den Hafen. Ui, zwischen den Schwimmstegen ist es ganz schön eng. Wir fahren ein Aufschießerchen, um Fahrt abzubauen. Dann kommen wir erwartungsgemäß in die Abdeckung. „Wir haben reichlich Platz und sind selten überfüllt“, verspricht die Internetseite des Hafens, und sie verlinkt zu je einer Webcam für die beiden Becken – ich weiß schon, dass wir in der hintersten Ecke des inneren Beckens liegen können. Dort segeln wir geruhsam hin. Ich funke Oliese an: „Man kann hier wunderbar herumsegeln, ihr könnt kommen.“ Dann berge ich bei leichtem Regen das Groß. Paula treibt an eine der Heckbojen, ich knote die Achterleine ran und verhole sie im strahlenden Sonnenschein an die Pier. Fünf Minuten später sind alle Boote fest. Ich bin restlos begeistert: Nach dem holperigen Start hat wirklich alles tadellos geklappt, viel besser als befürchtet. Der Hafen ist gemütlich und freundlich und findet großen Anklang bei den Gästen. Kaum ist die letzte Kuchenbude aufgebaut, zieht das Gewitter auf.

Im Restaurant „Matjes“ gibt es zwar keinen Matjes, dafür aber köstliche Vor- und Hauptspeisen und das exzellente Eriksberg Karaktär vom Fass. Der verglaste Speiseraum bietet zu drei seinen einen wundervollen Blick auf den Hafen, den Ort und die Schärenwelt, aus der wir hergekommen sind. Michael hat zu halb sieben einen Tisch reserviert. Dort sitzen wir alle – außer Michael. Malte mutmaßt: „Ist er nochmal nach Göteborg gefahren?“ Doch nein – er ist beim Lesen in der Koje eingeschlafen, Karsten rüttelt ihn wach. Zu relativ später Stunde segelt ein…ist das etwa…? Das Rigg sieht verdammt danach aus, und als ich aufstehe, sehe ich auch den Rumpf: Das ist ein Holzfolkeboot, heutzutage ein seltener Anblick hier in unmittelbarer Nachbarschaft der Werft, wo 1942 die Baunummer eins zu Wasser ging. Wir verbringen einen geselligen Abend, den die Gäste bei ausklingendem Regen auf Martha fortsetzen, während ich mich zum Alleinsein und Törnberichtschreiben zurückziehe.

Der anschließende Hafentag bei 7er Böen wird erheblich dadurch aufgewertet, dass wir uns auf Dauerregen eingestellt haben, während es ab mittags weitgehend trocken bleibt. Klasse Restaurant, gemütlicher Hafen, erkundenswerte Insel und gefühlte tausend Gespräche mit Schweden, die sich für uns und die Boote interessieren und von ihrer Folkeboot-Vergangenheit schwärmen. Für 18 Uhr sind wir aber zum Briefing verabredet, da muss ich den Anderen irgendwas erzählen, mich also vorher für einen Plan entscheiden und ihn gut ausarbeiten. Wir müssen vereinbarungsgemäß mal irgendwann rüber nach Jütland. Die Teilnehmer haben Zugtickets ab Aarhus gebucht, die anschließende Gruppe dorthin. Ebeltoft, Grenaa oder Randers kämen auch in Frage, aber ganz sicher kein Crewwechselort in Schweden. Nun ist beim Segeln ja grundsätzlich immer davon abzuraten, irgendetwas zu müssen. Oder sich jedenfalls unter dem Druck des Müssens zu wähnen. Noch haben wir ein paar Tage Zeit mit entsprechendem Gestaltungsspielraum. Die Gäste gehen jedenfalls davon aus, dass wir nach Læsø segeln.

„Wir kommen da schon an“, versuche ich mir einzureden. Doch bei um Südsüdwest hin und her drehendem Wind wäre das keinem Zeitpunkt ein Anlieger, und mit dem Kattegat ist nicht zu spaßen, Strömung und Welle können uns üble Streiche spielen. Nächste – und letzte Chance für eine Überfahrt ist am Dienstag. Das wäre dann wohl von Varberg aus direkt nach Grenaa. Wohin aber geht die sonntägliche Reise? Varberg? Naja – auch im Schärenfahrwasser bekommen wir keinen Anlieger geschenkt – das wird nix. Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre Kungö unser Ziel, aber das wäre zu wenig Strecke im Hinblick auf die anschließenden Tage. Ockerö scheint mir gerade mal so machbar, das wäre auch nochmal eine schöne Schäre, und wir kämen am Montag bei schwachem Nordwind weiter nach Varberg.

Die Kreuzerei im Fahrwasser gegen beträchtliche Strömung bringt uns nicht eben zügig voran, aber sie ist kurzweilig, navigatorisch anspruchsvoll und seglerisch ein großer Spaß. Frühnachmittags auf Höhe Vrångö, schon südlich von Göteborg und fünfzehn deutlich langweiligere Meilen nördlich von Ockerö, checke ich per Smartphone das Wetter. Nordwind statt Flaute am Mittwoch, frischer Westwind in der Nacht – hm, dann liegen wir in Ockerö unruhig, und die Strecke schaffen wir morgen genausogut wie jetzt. Da vorne ist Kungsö. Die zweite Schäre, die ich mit Paula überhaupt besucht habe ist schöner als Ockerö, geschützter, es gibt eine Komposttoilette und ein tollen Aussichtspunkt – what’s not to like? Martha ist ziemlich voraus, ich höre auf zu überlegen und gehe an den Funk. „Kilo-Uniform-November-Golf-Sierra-Oscar“, buchstabiere ich, „haben das alle mit?“ Paula wendet auf den neuen Kurs.

Jetzt ist wirklich alles zu unseren Gunsten. Zwei Yachten liegen schon da, eine am Felsen, eine ankert. Beide liegen ruhig, es läuft also kein Schwell in die Bucht. Obwohl es gerade nochmal auf 4-5 aufgebrist hat, bietet der Felsen genug Abdeckung für ein paar Meter Wriggen. Ich mache den Anker klar, Paula kreuzt an der Bucht vorbei, um mit halbem Wind zum Liegeplatz laufen zu können. Wende. Groß runter. Ah, das sieht alles richtig gut aus, mit passenden Abständen zum Felsen und zum Nachbarboot. Fock runter, Anker raus, Wriggen. Speed checken: Ein halber Knoten ist perfekt, nichts wird kaputtgehen, egal, woran wir womöglich hängenbleiben. Noch ein bisschen wriggen, dann gehe ich nach vorne und steige über mit den Vorleinen in der Hand. Die Sonne kommt raus, im Ölzeug wird es mächtig warm. In zwei Minuten von Vollzeug in offenem Wasser zu kontrolliertem Liegen an der Schäre – das wollte ich so gerne nochmal praktizieren, und es hat ideal geklappt. Die Schwestern können kommen.

Und auch die Gäste haben viel gelernt in den letzten Tagen, das zeigt sich deutlich. Martha, Frieda und Salty kommen nacheinander anmotort, der Anker fällt auf den Punkt an der richtigen Stelle, den Rest (Vorleinen, Päckchenbilden) machen wir wie gewohnt gemeinsam. Ich finde, dass es richtig routiniert aussieht. Oli braucht unter Segeln drei Anläufe. Beim Ablegen morgens hat sie sich im Hafen schon in den Heckbojen verfangen – die verlangen nämlich erhebliches Umdenken: Von einer Pier, einem Pfahl oder einem Fingersteg stößt man das Boot ab. Wenn man das an diesen Moorings versucht, passiert nichts. Sondern man muss die Mooring wegstoßen, das geht wunderbar. Dass Angie und Karsten für diese Lektion ein paar Minuten brauchen, ist überhaupt nicht verwerflich. Und das allmähliche Rantasten an den richtigen Approach an die Schäre ist auch vollkommen richtig. Am Ende zählt das Ergebnis: Die Insel ist wundervoll, die Stimmung prächtig bei Anlegekaffee und süßen Snacks. Die Aussicht vom höchsten Punkt Kungsös gehört zum Pflichtprogramm: Draußen liegen diverse Dampfer auf Reede. Im Norden sieht man Vrångö, Donsö und Göteborg. Im Südwesten Ockerö, im Südosten Tistlarna. Eines von den beiden wird es wohl morgen werden, eher vielleicht das nahe Tistlarna, denn es sieht nun doch nach schwach umlaufend in Extremform aus.

Es ist mal wieder so ruhig friedlich am Abend. Der Wind ist beinahe eingeschlafen, Paulas Rumpf gluckert genüsslich im Schwell einer vor Stunden vorbeigefahrenen Yacht. Karsten und Malte waren eben noch Baden. Michael, Dorothee, Tine und Angie lesen oder machen sonstwie Stillarbeit. Beate scheint schon in der Koje zu liegen. Hin und wieder schwirrt eine Möwe, Fliege oder Mücke vorbei. Eine Kanadagans schwimmt zwischen den acht Ankerliegern herum. Sieben Boote liegen gut uns sicher am Felsen. Die Sonne steht tief, die Wolkenunterseiten leuchten, das schmale Band freien Himmels über dem Horizont schimmert golden. Ich überrede Michael, nochmal den höchsten Punkt unseres Felsens zu erklimmen. Kurz danach rufe ich alle zusammen: Die Verleihung der Goldmedaille für eine tolle Gruppe findet dort oben statt. Der Sonnenuntergang ist in all seinen goldgelb glänzenden Facetten ein echtes Geschenk, und die tollen Gäste haben es sich verdient.

Dreißig Meilen nach Süden bis Varberg haben sich erledigt, als DMI für den Montag nun doch beharrliche Flaute bis sechzehn Uhr vorhersagt. Montagmorgen beim Briefing sind wir dennoch gut zufrieden: Laut Internet haben wir aktuell akuten Pladderregen. In Wirklichkeit macht der Niesel eine Pause, und mit dem leichten Nordost ließe sich durchaus etwas anfangen. Optimistisch legen wir ab, im Programm die machbaren fünf Seemeilen nach Tistlarna, holen die Anker auf, setzen die Segel. Karsten hat noch Zeit, über nur 0,5 Knoten zu jammern, dann schläft der Wind komplett ein. Wir treiben in der Strömung. Wriggen, Paddeln, geduldiges Warten und ab und zu mal der Schub einer kleinen Bö bringen uns seitwärts statt voran. Es ist sommerlich warm trotz bedecktem Himmel und zeitweise leichtem Regen. Ein Kajakfahrer rudert von Boot zu Boot, um uns allen kundzutun, wie großartig er das findet: Wir haben einen schönen, starken Motor – und benutzen ihn nicht! „Da kommt schon noch Wind“, macht er uns Mut. Die schwedische Wasserschutz guckt auch vorbei und erkundigt sich, was das für wunderschöne Boote sind.

Nach zwei Stunden sind wir aus der Bucht. Auf dem Südkurs an Valö vorbei ist zwar auch kein Wind, dafür aber eine kräftige mitlaufende Strömung. Ich weiß das, seit Oli sie als Erste erreicht hat und vorläufig aus dem Bild verschwunden ist. Salty und Frieda sind an der Ecke dicht hinter Paula, Martha zwanzig Meter neben uns. Dort ist die Strömung aber scheinbar erheblich ungünstiger – zu Michaels Frust bliebt sie stehen, bevor sie vertreibt. Nach dem Leuchtturm an der Südostecke von Valö können wir ein bisschen anluven und Tistlarna anlegen. Zwei Knoten fühlen sich wie richtiges Segeln an. Es werden auch mal knappe drei, dann wieder nur einer, schließlich wieder zwei – ich finde das durchaus kurzweilig, und wir haben uns doch vorgenommen, jeden Tag sechs, sieben Stunden auf dem Wasser zu verbringen. Die sind noch gar nicht ausgeschöpft, als wir in langsamer Fahrt die etwas knifflige Einfahrt zwischen den Felsen passieren. Schärenankern am Steg kenne ich sonst nur aus Blekinge. Die sorgfältig vorbereiteten Anker, der Steg hätte ja voll sein können, bleiben sauber. Inzwischen scheint volles Rohr die Sonne, das Regenband hat das Festland erreicht und verharrt dort als Hintergrundkulisse für die Fotos.

„Was für eine wunderschöne Schären!“, spricht Dorothee aus, was alle empfinden. Ich war hier schon zweimal, vor drei Jahren gehörten Angie und Karsten zur Gruppe. Sie freuen sich über das Wiedersehen mit den vertrauten Felsen. Tistlarna ist einer dieser Außenposten der Zivilisation (genau wie Vinga oder Väderöarne). Eines der Gebäude war mal das Leuchtturmwärterhaus, ein zweites die Lotsenstation. Heute sind das alles Sommerhäuser, und die Besitzer haben kein Problem damit, dass wir durch ihre Vorgärten zum Leuchtturm stapfen: Der kleine, gut ausgebaute Trampelpfad „is the highway“.

Wir wollten ja längst ganz woanders sein: Auf Læsø oder Anholt, in Jütland oder Varberg. Der nicht zu diesen Plänen passende Wind hat uns zwei herrliche Bonusschären geschenkt. Aber jetzt gilt es, Dienstag ist der passende Wind: Nord 5. Am Vorabend der Überfahrt gucken wir uns erstmal die Ausfahrt aus Tistlarna an. Der Weg, auf dem wir reingekommen sind, würde morgen eine Kreuz. Es gibt noch einen westlichen Weg, der besser passt. Die Gefahr besteht aus zwei Felsen. Der größere ist vom Liegeplatz gut zu sehen, der kleinere nur dann und wann am Schaum einer sich an ihm brechenden Welle. Aber zwischen ihm und Tistlarna selbst ist ausreichend Platz. Grund der frühen Stunde – Auslaufen um sechs – ist der Wunsch, uns dann noch bei moderaten drei Windstärken hier rauszupuzzeln.

Die Hoffnung darauf hat sich schon erledigt, als der Wecker klingelt: Vier Windstärken sind das schon um vier Uhr dreißig. Das Auslaufen wird schon nicht ganz trivial. Wir liegen latent legerwallerig an unserem Steg. In der engen Schärenbucht ist es zu eng zum Segelsetzen in Fahrt, allemal für Michael und mich. Draußen steht eine Welle, in der niemand von uns mehr mit dem Motor zu tun haben will (oder darf). Der Steg macht aber zwei Knicks, und Frieda liegt an ihrem Mittelplatz fast genau im Wind. Hier kann man prima das Groß setzen, die Schot dichtholen, mit der Achterspring Fahrt aufnehmen und abfallen Richtung Ausfahrt. Wenn das mit Frieda klappt, werden wir nach und nach jedes Boot von Hand dorthin verholen.

Ich bin ein bisschen angespannt, wie immer in solchen Momenten: Statt gechillt den Tag zu beginnen und unbeschwert loszufahren, müssen die Gäste in den ersten fünf Sekunden am meisten auf Zack sein. Wenn Paula an der Startrampe liegt, wird außer mir keiner mehr im Hafen sein, der in irgendeiner Form assistieren könnte. Ich denke an meinen großen Musikfavoriten Ozzy Osbourne. Nein, er hat mit Segeln nix am Hut sondern er hat gerade in Birmingham sein unwiderrufliches Abschiedskonzert gegeben. Zu Beginn hat er, wie bei jedem Auftritt seit fast sechzig Jahren, die gleichen treffenden Worte gefunden: „Are you ready? Let the madness begin.“

Der Wahnsinn beginnt damit, dass Frieda im Wind steht, träge und eher seitwärts in Fahrt kommt, und ich im letzten Moment noch das Heck wegtreten kann, damit sie abfällt und lossaust, anstatt bei Salty längsseits zu gehen. Wir verholen Salty. An ihrem Liegeplatz ist jetzt eine Bootsbreite mehr Platz. Ich halte die Vorleine und gucke Frieda hinterher: Ziemliches Gehoppel. Dann ist sie außer Sicht, deutliches Indiz, dass zwischen Schären und Steinen freie Bahn ist und sie auf Kurs ist, voraus die wässrige Weite des Kattegats.

Karsten rennt mit Saltys Achterspring los. Ich gebe Lose, Lose, Lose auf die Vorleine. Im letzten Moment, bevor sie zu Ende ist, ziehe ich nochmal ein bisschen, bringe Salty aus dem Wind auf einen segelbaren Kurs. Aha, das ist also der Trick. Mit Martha und Oli machen wir es genauso, Boot für Boot verschwindet ums Eck. „Jetzt sind wir, Paulchen“, murmele ich.




Ich verhole sie erstmal an die Startrampe. Groß hoch, Schot dicht. Vorleine und Achterspring von Land aus gleichzeitig zu bedienen um im richtigen Moment aufzusteigen, habe ich oft genug geübt, Paula läuft sauber los – bis am Stegknick die Fender hängenbleiben. Die wichtige erste Fahrt ist gleich wieder weg, aber die Fender quietschen sich frei. Ich steige auf, lasse die Leinen irgendwo fallen und gehe ans Ruder. Jetzt bleibt der Gasgriff des Außenborders hängen. Ich klappe ihn hoch, wir fahren noch. Doch als sich auch noch der Propeller in der Bretterverschalung verheddert, geht Paula längsseits an Saltys ehemaligen Liegeplatz. Sechs Meter Steg und Bretter, dann flacher Fels und Legerwall – mir bleiben höchstens zwei Sekunden. Großschot auf, Leine schnappen – hoffentlich die Achterleine – und damit an Land steigen zum Aufstoppen.

Naja. Segel runter und den rausgeklappten Baum von dem Felsen nehmen, auf dem er zu liegen gekommen ist, dann alles wieder auf Anfang für den zweiten Versucht. Vorher nehme ich noch die Fender weg und vertraue auf die Scheuerleiste. Und was soll ich sagen? Wunderbar prima! Aber es war wirklich nicht ganz einfach. Vor Tistlarna, die Charterboote sind weit voraus, gehen wir auf Kurs. Halber Wind, fünf Knoten, sechs Knoten, beim Surfen sieben, dann konstant siebeneinhalb – mitlaufende Strömung ist cool. Von Göteborg her kommt ein recht großes Containerschiff auf, unsere Kurse kreuzen sich in spitzem Winkel. Wir segeln erstmal weiter, bis der Abstand so ist, dass ich gewohnheitsmäßig den Dampfer vorbeilassen würde. Das würde richtig Zeit kosten. Paula ist sozusagen schon in Peilung mit der Bordwand des Frachters. Siebeneinhalb Knoten, sechzig Meter Rumpfbreite – wir luven an und gehen einfach vor ihm durch, es dauert nur Sekunden. Bis das Schiff hinter unserem Heck ist, dauert es dann noch gute fünf Minuten, ich konzentriere mich auf das, was voraus liegt. Die Bogenminuten tickern auf dem GPS rasant weg. Bald haben wir beide Tiefwasserwege hinter uns, Læsø taucht auf. Allerdings nur auf den Wellenbergen. Das Kattegat – eine riesige Wasserfläche von relativ flachem Grund unter Einfluss von Skagerrak und Nordsee – ist bekannt für ihre fiese Welle. Von wenigen Kaventsmännern abgesehen, die mich zum Anziehen des Ölzeugs veranlassen, finde ich die Bedingungen vorerst moderat.

Das ändert sich, als wir nach den ersten dreißig Seemeilen in die Læsø Rende abfallen. Hier ist wirklich der Teufel los! Nur noch fünf Knoten, obwohl der Wind eher noch zugelegt hat, lassen der Grund vermuten: Eine nordgehende Strömung steilt die See auf. Die Ruderausschläge, die vonnöten sind, das Anluven im Rahmen zu halten, sind ermüdend. Manchmal muss man den Aufschießer einfach akzeptieren und im Wellental schnell wieder auf Kurs gehen. Eines der Charterboote, vermutlich Salty, fährt weit vor uns eine Halse. Die sonst uneinholbar schnelle Frieda haben wir aus irgendeinem Grund überholt, obwohl sie doch mit dem größten Vorsprung gestartet ist. Ich denke zurück an unser Briefing.

Zu seiner Vorbereitung hatte ich eine Kurslinie in die Karte gemalt, 226 Grad vom Leuchtturm Nordre Rønner direkt zum Zielhafen, dann aber gemerkt, dass sie über eine unbetonnte Untiefe von zweieinhalb Metern führt, die wir bei solchem Seegang tunlichst meiden sollten. Einfachste Abhilfe: In der Læsø Rende bleiben bis zum gleichnamigen Leuchtturm, wie es Salty, Oli und Martha auch tun. Sie sind zu weit vorgedrungen für eine Kursänderung, ich bin auch nicht in Plauderstimmung für die Funke unter Deck, sondern bleibe lieber am Ruder. Wir luven an. Ich zirkele die Untiefe ab, ermittle eine viel besser segelbaren Kurs von 250 Grad, der uns aus der Strömung in flacheres Wasser bringen und nördlich um den Davlegrund führen wird. Es ist eine Navigation, wie ich sie in den Schären die ganze Zeit betrieben habe – der Elektronikkram, der einen an die vorher geplante Route bindet, wäre keine Entlastung. Sondern ich mag das so – die letzten zwanzig der insgesamt fünfzig Meilen hätten zäh und ermüdend werden können, aber jetzt bin ich vollauf beschäftigt und rundum zufrieden. Frieda folgt uns vertrauensvoll.

Danach müssen wir richtig tief Segeln, um ohne eine Halse die nächste Tonne und die nächste Untiefe zu schaffen, aber die See ist hier wesentlich angenehmer, und eine gehörige Abkürzung haben wir auch gewählt: Als wir uns vor Asaa treffen, ist nur noch Martha vor uns, die anderen vier Boote im Abstand von drei Minuten. Fünfzig Meilen in acht Stunden ist eine ausgezeichnete Zeit. Einlaufen und Anlegen sind kein Problem, dann habe ich es eilig mit dem Wechsel der Gastlandflagge: Ich freue mich, in Dänemark zu sein!

Wie das? Haben wir nicht gerade schweren Herzens meine geliebten Schären verlassen? Ist nicht das beschauliche, unspektakuläre Dänemark zumindest landschaftlich immer eine Enttäuschung nach zwei Wochen zwischen bizarren Felsformationen? So habe ich oft empfunden auf dem unvermeidlichen Rückweg, und Michael wird sagen, dass es ihm heute so geht. Ein Däne fragt Karsten, warum wir ausgerechnet nach Asaa gekommen sind, und er antwortet: „Wir kommen ganz aus Schweden, und alles andere wäre zu weit gewesen.“

Nein! Falsche Antwort! Also ja: Den heutigen Wind galt es optimal zu nutzen, also kein verfrühter Stopp auf Læsø oder in irgendeinem Fredrikshavn – das hätte uns in den folgenden flautigen Tagen vor große Probleme gestellt. Wir müssen aber auch mit den Kräften haushalten, deshalb war Hals am Limfjord – nochmal zehn Meilen weiter – keine ernsthafte Option. Doch vor allem gilt: Ich wollte unbedingt diesen unerreichbarsten meiner Lieblingshäfen wieder besuchen. Ich freue mich riesig, dass der Wind uns nach vielen Planspielen nun doch diese Route entlanggeführt hat, weil ich Asaa den Gästen richtig gerne zeigen wollte zur Abrundung unserer Tour – einer unserer schönsten Reiseabschnitte, und vielleicht den gelungensten Rückweg aus den Schären. Asaa hat durchaus eine Menge zu tun mit unseren Schärentouren: 2010 war ich zum ersten Mal hier. Vom Limfjord kommend waren mir in meiner Unerfahrenheit die mitlaufende Strömung, der viele Wind, die sieben Knoten über Grund nicht geheuer. Limfjord- und nordjütlanderprobte Paula hühnerte rein, ich fühlte mich wohl, und als Nächstes traf ich ein deutsches Ehepaar, das gerade aus den Schären kam und der Meinung war, das sei etwas für Paula und mich. Sie diktierten mir drei Empfehlungen: Kärsson (wo wir jetzt waren), Kungsö (wo wir auch jetzt wieder waren) und Malöhamn (wo wir diesmal nicht waren, aber auf allen bisherigen Westschärentörns mit den Charterbooten gelegen haben). Nach diesen Eindrücken war klar, wo mein liebstes Segelrevier sich befindet.

Auf dem Rückweg der ersten Charter-Schwedenreise 2016 waren wir auch in Asaa. Insgesamt war es damals entsetzlich, und ich habe viel daraus gelernt: Zum Beispiel den Fehler zu vermeiden, ganz zurück nach Arnis zu müssen (den nächsten Crewwechsel haben wir seitdem einmal in Odense gemacht und einmal in Svendborg, diesmal stehen Aarhus, Grenaa oder Randers zur Wahl). Nachdem die Gäste ganz nach Marstrand angereist waren, mochte ich sie nicht gleich am ersten Tag dazu verdonnern, mir meine Boote nach Hause zu bringen. Wir verbrachten also vier, fünf schöne Tage in den Schären, was wir aber anschließend bitter bereuten bei stabiler Hochdrucklage ohne Wind. Wir verbrachten ganze Tage von morgens bis abends auf dem Wasser, ohne ausreichend weit voranzukommen. Es wurde viel motort und mehrfach nachgetankt. Wahrscheinlich beschreibe ich es heute bitterer, als es sich damals anfühlte, aber rundum gelungen war es mit Sicherheit nicht.

Eines der wenigen Highlights: Asaa! Nachdem wir die letzten zwei Stunden des Tages immerhin noch schön segeln konnten, platzten wir mitten ins Hafenfest und legten während des Soundchecks an hinter dem historischen LKW, der der Blaskappelle als Bühne diente. „Fünf Folkeboote in Asaa gibt’s nur einmal“, sagte unser neuer Freund zum Hafenmeister, „und wenn du nett zu den Leuten bist, bleiben sie vielleicht eine zweite Nacht.“ Nun – wir zahlten für ein Boot statt für fünf und blieben mangels Wind sowieso zwei Nächte, jedenfalls möchte ich seitdem unbedingt wieder hier hin, und endlich hat es geklappt.

„Warum Asaa?“ – die Frage des Einheimischen birgt schon den Teil der Antwort: Während auf Læsø, in Skagen, Frederikshavn und Sæby um diese Jahreszeit die Motor- und Vierzigfußyachten im Siebenerpäckchen liegen, kommt hier kaum jemand hin. Liegeplätze sind kein Problem, es ist ruhig und friedlich. Obwohl hier kaum noch jemand zum Fang rausfährt, hat sich der alte Kleinfischerhafen seinen Charme erhalten. Direkt südlich vom Hafen beginnt ein Sandstrand mit Dünen, Strandhafer und Nordseefeeling. Der Ort ist nicht weit, dort gibt es einen Kaufmann. Alles ist wie geschaffen für fünf Folkeboote. Und es wird noch viel besser.

Gleich nach dem Anlegen erblicke ich eine Werbetafel in Form eine Eistüte mit diversen farbigen Kugeln. Kaum ist die dänische Gastlandflagge gesetzt und das Hafengeld bezahlt, gehe ich hin und sehe zunächst, dass ich mich grandios getäuscht habe: Die vermeintliche Werbetafel ist in Wahrheit ein Eimer mit Käschern, die man im Museum kaufen kann. Doch gegenüber gibt es ein Restaurant. Dort kann man köstliches dänisches Eis kaufen, aber auch abends mit der ganzen Gruppe essen gehen, es gibt überwiegend frischen Fisch in klassisch dänischer Zubereitung. Als die müdegesegelten, frisch geduschten Gäste schon in der Koje liegen, geht gülden und erhaben der Vollmond auf.

Der anschließende Dämmertörn nach øster Hurup ist schön, aber unspektakulär. Der direkte Weg entlang der Küste führt uns am Leuchtturmpaar Hals Barre N und Hals Barre S vorbei – wüsste man nicht, dass hier quer zu unserem Kurs das Fahrwasser zum Limfjord durchgeht und sähe nur das ganze Wasser des Kattegats, würde man sich durchaus fragen: Warum stehen hier mittenmang dicht zusammen zwei Leuchttürme? Und warum fährt der Kümo mittendurch? øsfer Hurup erreichen wir gerade rechtzeitig, um noch ein gezapftes Anlegebier zu ergattern. Der Hafen ist durchaus anlaufenswert. Platz ist genug, wir könnten uns irgendwo freie Boxen suchen. Doch als ich die Heckbojen sehe, die mich so angenehm an Schweden erinnern, kann ich nicht widerstehen.

Für den vorletzten Reisetag verspreche ich den Gästen ein Juwel. Mehr - außer wo es ist und wie man da hinkommt - wird nicht verraten, und tatsächlich gibt es in keinem mir bekannten und aktuell verfügbaren Hafenführer weitere Informationen. Wir waren aber vor vier Jahren schonmal da, und seitdem lauere ich auf einen zweiten Besuch. Der Weg dorthin ist bemerkenswert. Laut Prognose gibt es gegen vierzehn Uhr für einige Stunden einen schönen Südost. Auf den können wir aber nicht warten, nochzumal wir dann die das erste Drittel der Strecke bis zum Mariagerfjord kreuzen müssten. Morgens ist ein stetiger Westwind, den wir mit Ausschlafen schon in Teilen vergeudet haben. Was aber machen wir zwischendurch mit den bis zu drei Stunden Flaute? Die Strecke führt flaches Wasser von höchstens fünf Metern Tiefe – ein bisschen mehr Sand und ein größerer Tidenhub, und wir würden vom jütländischen Wattenmeer sprechen. Wir können also vor Anker eine Pause machen. Um acht klopfe ich an allen Booten und bitte um schnellstmögliches Auslaufen. Nach kurzem Briefing legt Paula um neun Uhr als erste ab.

Es läuft perfekt: Als die Flaute einsetzt, sind wir eine Meile nördlich vom Fahrwasser zum Mariagerfjord und weit genug östlich, um später den Südkurs, der uns von allen Untiefen freihält, gerade so laufen zu können. Ich berge die Segel und werfe den Anker. Oli kommt zu uns, geschleppt vom schwimmenden Karsten. Ob ich auch ein Spiegelei wolle, fragt er. Mit oder ohne Brot? Gerne mit. Martha kommt angesegelt. Als sie längsseits kommt, überreicht Karsten Michael den Teller mit der Mahlzeit im Tausch gegen Marthas Achterleine. Die Vorleine bediene ich, Michael beginnt zu speisen. Die drei Boote liegen mittenmang im Wasser wie die Leuchttürme – das Restaurant am Ende des Mariagerfjords. Frieda segelt mit einem Knoten weiter. Salty ist ein bisschen zurück und als Erste in die Flaute geraten. Jetzt kreuzt sie tapfer gegen die ersten Vorboten des Südost.

Markantes Gekräusel nähert sich vom Kattegat her. Frieda berichtet, sie laufe wieder dreieinhalb Knoten. Salty ist beinahe bei uns. Wir lösen das Päckchen und gehen Anker auf. Der Kurs passt wie erhofft, zwei Stunden später erreichen wir die Einfahrt zum Randers Fjord. Jetzt wird es ein bisschen spannend und läuft nicht ganz so, wie erhofft. Wir lassen zuerst noch einen Frachter durch, der vorher lange über der Schüttstelle verharrt und dann den Lotsen an Bord genommen hat – offenbar wird der Fjord gerade ausgebaggert. Als ich dann mit dem Fockausbaumer liebäugele, stehen wir plötzlich im Wind. Unter Land war das – in Kenntnis des Wetterberichts, anhand der Windmühlen, aber auch nach dem, was die Thermik halt so macht – zu befürchten, aber ich hätte doch gehofft, zumindest bis Udbyhøj den Ostenwind zu behalten. Tide gegenan haben wir auch.

Dreißig Grad Versetzung, kaum Wind – ich wundere mich, dass wir überhaupt vorankommen, Tonne für Tonne – und die Betonnung ist dich, das Fahrwasser ist eng, außerhalb davon warten die Wattflächen und Sände. Michael packt sofort ein und motort. Oli und Paula kreuzen solide. Frieda und Salty kommen zuerst nicht aus dem Quark, dann fährt auch noch eine der anderen in die Seite. Zum Glück ist der Schaden gering, aber den Crews ist danach nicht mehr nach Abenteuer zumute. Ich finde ja, mit dem Risiko, dass sowas passiert, müssen wir leben, wenn wir sowas veranstalten. Oli und Paula schaffen es bis Udbyhøj. Hier knickt der Fjord nach Süden ab, der Wind dreht mit, schläft dann ganz ein. Ich finde: Nachdem wir es bis hierher geschafft haben, können wir den Rest auch motoren.

Nachdem die Segel gepackt sind, kommt wieder eine schöne Brise aus passender Richtung auf. Das ist ein bisschen ärgerlich, aber nach einer Stunde Motoren erreichen wir das versprochene Juwel: Die Kanalinsel. Diese ist unbewohnt, eine halbe Seemeile lang und sechzig Meter breit. Im 19. Jahrhundert vertiefte man das Fahrwasser nach Randers auf die Bedürfnisse der Dampfschiffe. An dieser Stelle traf man auf felsigen Grund, nicht aber am Ostufer; wo man daraufhin einen schmalen Kanal anlegte. Den Aushub warf man nebenan in den Fjord – so entstand die Kanalinsel. Heute ist sie ein grünes Idyll mit einem Ponton mit einer solarbetriebenen Vakuumtoilette, eine wettergeschützte Hütte und diverse Grills. Sonst nichts. Vor allem keine Dutzende übergroßer Segelyachten. Die zwei Motorboote legen kurz nach unserer Ankunft ab, wir sind ungestört. Ich liebe solche Orte! Den Hafen erreicht man nicht über den Kanal, sondern das flache Nebenfahrwasser, das man damals nicht baggern konnte.

Ich habe es schon in Asaa gespürt: Meine von den Schären verwöhnten Gäste brauchen eine Weile, sich für meine handverlesenen Dänemark-Highlights so richtig zu erwähnen. In Asaa hatte ich schon fünfmal auf den Sandstrand gleich beim Hafen hingewiesen, doch gezogen hat erst, als ich die Dünen erwähnte. Jetzt finden es alle „wirklich schön hier“ – aber auch „ganz schon mühsam hinzukommen.“ Karsten ärgert sich immer noch übers Motoren trotz wieder aufkommen Windes. Auf Salty und Frieda wird die Kollision nachbesprochen. Michael ist einfach müde. Und dann komme ich auch noch mit der schlechtesten aller Nachrichten: Auslaufen um fünf.

Am frühen Freitagmorgen kurz vor Sonnenaufgang zeigt sich Kanaløen von ihrer spektakulärsten Seite: Ein leichtes Brischen. Der untergehende Vollmond als tieforange Scheibe kurz über den Hügel am anderen Ufer. Geheimnisvoll steigen Nebelschwaden auf. Alle wissen ganz genau: Ein solches Schauspiel erlebt man nur selten, nur zu ganz früher Stunde und nur an entlegen Orten wie diesem. Ich versuche gar nicht erst, die Szenerie zu fotografieren. Ich möchte den Anblick genießen und für lange Zeit im Gehirn abspeichern. Ich sehe aber auch ein Problem: Was, wenn der Nebel dichter wird?

Fünf Uhr. Die Boote sind bereit, die Gäste scharren mit den Hufen. Der Nebel wird dichter. Eben hat man das nächste Unterfeuer noch gesehen. Jetzt kann man es zumindest noch erahnen, wenn man weiß, wo es steht. Im nächsten Moment…frage ich mich, ob wir nicht lieber abwarten sollen. Oliese legt ab. Frieda legt ab. Salty legt ab. Martha legt ab. Segel werden gesetzt, der Wind schläft fast komplett ein. Naja. Ohne Wind werden wir nicht allzu nachhaltig festkommen, und die Tide wird bald kentern. Sportboote sind so früh morgens kaum zu erwarten. Und einen Frachter wird man frühzeitig hören. Im Fahrwasser treiben die Boote in der ablaufenden Strömung los – und verschwinden spurlos im dichten Nebel.

Ich wrigge Paula aus dem Hafen. Wir treiben los. Das erste Paar kleiner, gelber Fahrwassermarkierungen war vom Hafen aus noch zu sehen. Doch wo ist das nächste? Ein großer Vorteil der Flotillentörns ist immer gewesen, einander in Sichtweite zu haben. Gut fürs Gefühl. Die ganze Tragweite – ich war ja immer der, der sich am besten auskannte und vornewegsegelte – wird mir jetzt bewusst. Paula und ich sind ganz allein. Meine Sinne helfen nicht. Paulas Instrumente helfen nicht. Wir treiben irgendwohin, wo uns irgendwas erwartet. Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich den Pluspunkt der Navigationssoftware, die die anderen auf ihren Tablets haben. Ich weiß, dass es ungefähr nach Norden losgeht. Doch die Strömung versetzt uns mal zur einen, mal zur anderen Seite. Ein Schlingerkurs ist unvermeidbar. Der Kompass sagt mir allenfalls die grobe Richtung. Sobald ich ihn fünf Sekunden lang aus den Augen lasse, fahren wir sonstwo hin. Das GPS ist keine große Hilfe: Es zeigt immer nur den Kurs an, den wir vor zehn Sekunden gefahren sind. Oh, das nächste Tonnenpaar – fünfzig Meter querab ist die eine gerade so eben zu erkennen. Aha, also Sichtweite fünfzig Meter. Ich bin nicht sicher, ob ich diesen Nervenkitzel aushalte.

An der Nordspitze der Kanalinsel finden wir das Hauptfahrwasser. Die weiteren Kurse ermittele mühsam mit Dreiecken und Zirkel auf der patschnassen Seekartenhülle. Immerhin kann ich nun mit dem Echolot ein bisschen was anfangen, in Fahrwassermitte ist die Tiefe sieben Meter. Nach zehn Minuten taucht gespenstisch ein rot-grünes Tonnenpaar auf. Paula ist genau in der Mitte, genau auf Sollkurs, dank höchster Konzentration und einigem Haareraufen. Es wird aber kalt, ich setze lieber die Mütze auf, wo ist sie denn nur?…Mist, schon wieder dreißig Grad aus dem Kurs gelaufen. Voraus höre ich Stimmen.

Zu sehen ist absolut nichts, nur milchiges Grau, dann eine Gänseschar, die wir schon zum zweiten Mal aus ihrer Ruhe aufscheuchen. Dann kommt eine rote Tonne, gerade als ich mir zutiefst sicher war, auf dem völlig verkehrten Weg zu sein. Als nächstes tut sich schemenhaft etwas anderes vor uns auf. Etwas unerwartet Großes. Es ist Martha, die auf uns wartet. Die beiden Boote segeln ein Weilchen nebeneinanderher. „Wie bei Edgar Wallace“, sagt Michael, „es fehlen nur die Raben.“ Erneut flüchtet flatternd und kreischend die Gänseschar.

Es wird flacher, nur noch vier Meter. Martha ist ein Stück weiter östlich. „Wie tief ist das da?“ – „Zwei siebzig.“ – „Dann ist das falsch.“ Ich lege beherzt Ruder. Es wird wieder tiefer. Und ich habe verstanden, wie man hier am besten durchkommt: Wenn es langsam flacher wird, lege ich deutlich Ruder. Wird es tiefer, ist es gut. Wird es flacher, lege ich Gegenruder – und wenn es wieder tiefer wird, korrigiere ich über den Sollkurs hinaus. So muss es früher oder später wieder flacher werden, und das Spiel beginnt von vorne. Auf diese Weise schlängeln wir uns um die Fünfmeterlinie am roten Fahrwasserrand. Zwar weiß ich nicht, wo ich bin und sehe weiterhin nichts – aber ich weiß, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ab und an steht vor oder neben uns eine Tonne und bestätigt das.

„Ha“, denkt der Morgen, „jetzt erhöhen wir mal den Schwierigkeitsgrad.“ Aus dem Nichts, das uns umgibt, kommt plötzlich richtig Wind auf. Wir segeln mit viereinhalb Knoten gegen die inzwischen gekenterte Strömung, ich muss viel schneller auf Tiefenänderungen reagieren. Dafür passiert aber auch sofort etwas, und nicht erst nach einer halben Minute. Die Betonnung ist in diesem Teil dichter, die Sicht wird eine Spur besser. Zusammen mit dem schnelleren Tempo können wir zunehmend nach Tonnensicht fahren, haben manchmal die nächsten beiden gleichzeitig in Sicht und dazu schon das Unterfeuer im nächsten Fahrwasserknick. Rechtzeitig vor der Seilfähre in Udbyhøj haben wir immerhin mäßige Sicht. Dreißig schaukelige Meilen weiter legen wir in Grenaa an, und es schließt sich ein Regenbogen.

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