| Paulas Törnberichte |    | 
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Blaue
Böen
Bei mittelschönem Wetter im Hafen bleiben? Träge
unter der Kuchenbude verpasst man diese flüchtigen, besonderen
Momente, die wir jetzt im Als Fjord erleben: Hinter dem Schauer ist
jedes Detail des Ufers klar und gestochen scharf erkennbar,
während voraus noch alles in einem milchigen Grau verschwimmt.
Die Hoffnung eines tastenden Sonnenstrahls wechselt mit der
Enttäuschung der nächsten Tropfen, wir üben
uns in entspannter Melancholie. Die befürchteten blauen
Böen bleiben aus. In Sottrupskov begrüßen
uns die Ruhe, die Sonne und das Nydamboot. 
Juni 2025
„Blaue
Böen“ – Sören und ich verfolgen
gebannt die Vorhersagen von DMI, und da werden
Windstöße bis 10 m/s hellblau dargestellt, bis 12
m/s mittelblau und bis 14 m/s dunkelblau. Hellblau ist gut. Mittelblau
erträglich. Dunkelblau versuchen wir möglichst zu
vermeiden. Täglichen Regen sehe ich nicht als Problem, doch
die Frage ist, was das für ein Regen ist – in
kurzen, heftigen Schauern können ja auch mal „gelbe
Böen“ drinstecken, und denen wollen wir ganz
bestimmt aus dem Weg gehen. Wie immer gilt es zunächst den
Absprung zu schaffen. Wie immer gebe ich mich in den Tagen vor dem
Törn kühnen Plänen hin, was ich den
Gästen bieten könnte. Als sie anreisen, bin ich schon
einigermaßen entspannt: Samstag ist in der Schlei eine
hübsche Brise aus West zu erwarten, draußen dreht
das auf einen schwachbrüstigen Südost –
weiter als Maasholm werden wir nicht schaffen. 
Oliese
hat komplett frei. Eine gusseiserne Ofenplatte hat ihren
Träger lahmgelegt, der Gips ist inzwischen ab, aber statt
Segeln steht Reha auf dem Programm. Es ist schade, dass Andreas und
Brigitte fehlen, Ersatz war auch nicht mehr zu finden. Salty hat es mit
den einzigen Neukunden zu tun. Freitagabend freue ich mich: Christine
und Norbert beiden machen einen ganz und gar sympathischen Eindruck.
Samstagmorgen bei der Einweisung merke ich aber auch, dass sie recht
wenig Erfahrung mitbringen. Da sind keine Automatismen, kaum ein
Handgriff gelingt intuitiv richtig, sondern läuft auf Anhieb
erstmal schief oder erfordert tiefes Nachdenken – es
könnte eine lehrreiche, aber auch anstrengende Woche werden.
Nach dem Auslaufen bin ich nicht überrascht, als das
Segelsetzen eine Viertelstunde dauert. Immerhin – die Segel
sind schließlich oben, alle Boote schaffen es rechtzeitig zur
Brückenöffnung, endlich kann ich mich entspannen.
Rabelsund beschert uns eine Überraschungskreuz: Der Ostwind
hat sich bis hierher durchgesetzt, das sah in der Prognose anders aus.
Jörg braucht einen Moment, das Schlagen von Friedas Segeln zu
verstehen. Paula überholt, Martha und Okko folgen uns.
Jörg und Okko nutzen die Gelegenheit, sich nach einem Jahr
Pause gehörig einzusegeln. In Maasholm ist die Gruppe
komplett: Sören hat mehrfach Frieda gechartert, jetzt erlebt
er die Höhen und auch die Tiefen eines Lebens als Bootseigner.
Er und seine Yva wartet er schon auf uns. Okko regt einen gemeinsamen
Restaurantbesuch an, die Wahl fällt auf „Tonne
15“. 
Während
Sonntagmorgen eine gewittrige Kaltfront durchzieht, bitten Norbert und
Christine zur Krisensitzung: Sie sehen selbst, dass sie sich viel
– vielleicht zu viel – vorgenommen haben. Im Grunde
steht ihr Entschluss bereits fest, die Reise abzubrechen und Salty nach
Arnis zurückzubringen. Weil auch noch gesundheitliche
Maleschen eine Rolle spielen, widerspreche ich nicht. Als die Sonne
rauskommt, verabschieden wir uns herzlich, dann läuft
läuft die auf drei Folkeboote, ein IF und vier Menschen
geschrumpfte Gruppe aus. Immerhin verspricht mein Job recht entspannt
zu werden – wer jetzt noch dabei ist, kennt sein Boot und
unsere Gepflogenheiten, wird keinen Quatsch machen und von keiner
Situation überfordert sein. 
„Auf
so ‚nem IF scheint das ja recht aktives Segeln zu
sein“, rufe ich rüber, als Paula Martha einholt.
„Der springt die ganze Zeit da rum“, stimmt Okko
zu. Ich bezweifle, dass es auf einem IF wirklich vorgesehen ist, das
Vorsegel auszubaumen. Der Beschlag am Mast ist viel zu hoch, der
Schotholepunkt zu weit achtern, als dass der Spibaum die ausgebaumte
Genua wirklich gut zum Stehen brächte – permanent
steigt er und senkt sich. Gleichzeitig ist aber sofort klar, dass
Ausbaumen vorteilhaft ist: Martha, Yva und Paula sind dann in etwa
gleich schnell. Ohne Ausbaumer fällt Yva sofort
zurück. Sören sucht einen besseren Befestigungspunkt,
manipuliert an der Schot, fährt zwischendurch zwei Halsen und
ist insgesamt nicht ganz zufrieden. Bei kaum Regen und ohne blaue
Böen wird es ein langer Tag. Kurz vor Korshavn haben wir dann
plötzlich Südwest 5. Ich denke in solchen Situationen
ja gerne, zum Anlegen hätte ich so viel Wind nicht mehr
gebraucht. Diesmal bin ich sehr zufrieden damit, dass der
Aufschießer anspruchsvoll wird. Er gelingt beinahe perfekt. 
Ich
kenne Jörg seit Jahren, doch erst jetzt erlebe ich ihn als
Wanderer: Während wir Anderen über müde Arme
und Beine klagen nach einem langen Segeltag, geht er erstmal drei
Stunden die Gegend erkunden. Das verrät große
Wertschätzung für die schönen Orte, wo wir
hinsegeln, und in Korshavn ist er zum ersten Mal in seinem Leben. Gerne
hätte ich als Nächstes allen Gästen mal
wieder etwas Neues gezeigt in Form meines neuen Lieblingshafens
Dageløkke. Doch nein, Dienstag bei Südwind und
Sonnenschein haben wir die beste und vielleicht einzige Chance, den
Kleinen Belt zu überqueren. Von Dageløkke
wäre das zu weit, wir dürfen überhaupt jetzt
nicht in die falsche Richtung segeln. In der richtigen Richtung kommen
wir aber auch nicht wirklich voran: Mittags Gewitter, danach gegenan
bei böigem Nordwest – ein kompletter Hafentag ist
eine ernsthafte Option. Als die Sonne rauskommt, beschließen
wir, doch noch ein Stündchen gemütlich zu kreuzen mit
Ziel Dyreborg…nein Faaborg….nein, doch lieber
Dyreborg. Bei 3-Windstärken laufen wir um 15 Uhr aus. 
Und
dann ist – nächste Überraschung -
plötzlich alles drin in diesem Minisegeltag: Es frischt auf.
Yva liegt bei satten 5 Beaufort auf der Seite, Sören verflucht
die Genua und bindet ein Reff ins Groß. Kurz vor Dyreborg
beruhigt sich der Wind, doch der Hafen ist voll. Das klingt nicht mehr
so überraschend, wenn man weiß, dass es sowieso
maximal vier Gästeplätze gibt, und die sind alle
belegt. Wir landen also doch in Faaborg, wo gerade das riesige
Regattafeld des „Baltic Cup“ einläuft,
bestehend aus zwei Dutzend Charteryachten. Paula stürzt sich
ins Getümmel und segelt mit der Fock in den Hafen. Die
Regattateilnehmer legen überwiegend im Vorhafen an, an den
Stegen ist reichlich Platz. Inzwischen haben wir allerdings wieder die
5 Windstärken von vorher, das macht die Sache durchaus
anspruchsvoll. Weil auf der kurzen Strecke so viel passiert ist, und wo
wir nun schonmal in der Stadt sind statt in der grünen Idylle,
steht uns allen der Sinn nach Landgang mit Burger und Eis. 
31
Seemeilen quer über den Kleinen Belt können ja auch
mal zäh werden. Nicht so heute bei hell- bis mittelblauen
Böen, noch zumal die Strecke sich gedanklich angenehm
unterteilen lässt anhand von Wegpunkten alle sechs Meilen:
Lyø – Hornenæs – Hesteskoen
(umgeben von dreißig Meter tiefem Wasser liegt
nordöstlich von Als ein Stein mit einem halben Meter
Wassertiefe) – Tranesand (Nordspitze Als) –
Barsø. Man fährt gut die Hälfte des Tages
nach Sicht. Sören ist ausgesprochen zufrieden damit, die Fock
angeschlagen zu haben. Aktives Segeln haben wir heute alle: Der Seegang
erfordert große Ruderbewegungen, schon an ruhigem Sitzen sind
alle Muskeln beteiligt. Martha, Yva und Paula entfernen sich selten
weiter als hundert Meter voneinander, Frieda bleibt in Sichtweite. In
der Genner Bugt pustet uns der stärkste und böigste
Wind des Tages um die Ohren, aber Kalvø liegt
einigermaßen abgedeckt und geschützt. 
Kleingruppe
statt Ameisenhaufen bedeutet, dass wir irgendwann im Laufe des
Vormittags baldiges Auslaufen beschließen. Briefing? Ach ja,
denkt daran, die beiden Osttonnen, diese und jene, sollten an
Steuerbord bleiben. Anfangs ist es durchaus windig, später
eher gemütlich, melancholisch und meditativ – im
Regen fühlt es sich angenehm nach ungestörtem
Alleinsein an, selbst wenn die anderen Boote ganz in der Nähe
sind. Zäh oder langweilig wird es nicht, weil die Strecke
recht kurz ist. Paula hält sich zurück, wir machen
unser Ding. Auf der letzten halben Meile kommen wir auf – wir
haben ja versprochen, beim Anlegen zu helfen, und wollen die Anderen
nicht warten lassen. Wie macht Paula das nur immer? 
In
Sottrupskov haben neuerdings vier Boote ihren festen Liegeplatz. Das
stört nicht zwingend die Idylle, aber es nimmt uns die
Illusion der Einsamkeit fernab der Zivilisation. Eines der Boot,
irgendein leichtes, sportliches Miniding (Sören kennt sich
aus, ich habe keinen Blick für sowas) gehört einem
jungen Mann, der in den Abend hinein noch ablegt. Was redet er da? Er
will in Sønderborg schnell noch Benzin und Signalraketen
besorgen, dann nach Lübeck. Anlegen um fünfzehn Uhr,
um sechzehn Uhr kommt sein Auto, mit dem er dann vor dem Regattastart
noch zweihundert Kilometer zum Segelmacher fahren wird und wieder
zurück. Ich kann nichts anfangen mit solchen Stories von
wildfremden Leuten. Aber soll er mal machen…
Sören
verabschiedet sich. Er hat noch bis Sonntag Zeit, und Yva muss nicht
zurück zur Schlei, sondern liegt in Wackerballig. Den
Rückweg über Lyø und Marstal zu gestalten,
habe ich ihm schon ausgeredet: Das wären drei richtig lange
Segeltage bei sich verschlechternde Witterung. Ein kleiner Abstecher
nach Augustenborg klingt da schon reizvoller, bis wir am
Donnerstagmorgen das neueste Wetter diskutieren. Freitag gibt es
nämlich ganztägig gelbe Böen - der fiese
Große Pustefix kehrt zurück, und er bringt seinen
gehässigen Freund mit, den Dauerregen. Yva segelt mit uns nach
Sønderborg. Wir drei anderen halten uns dort nicht auf,
sondern kehren einen Tag früher nach Arnis zurück. 
Beim
Ablegen höre ich mich dann doch durch die morgendliche Ruhe
brüllen. Frieda legt ab, treibt los, Jörg beginnt die
Segel zu setzen. Als Martha aus der Box ist, ist Friedas Groß
oben, aber noch nicht durchgesetzt, Jörg steigt aus dem
Cockpit, um den Job zu vollenden – doch warum auch immer
segelt das Boot nicht vom Hafen weg, sondern mit reichlich speed auf
Martha zu. Ich rufe: „Jörg?“ Er
hört nicht. Ich rufe lauter:
„Jörg!“ Schließlich
brülle mit voller Kraft: „Jörg!!“
Er guckt. „Weg vom Hafen!“, rufe ich. Nochmal
gutgegangen… 
Wieder
ist es ein wundervoller, abwechslungsreicher Segeltag: In der
Morgensonne kreuzen wir den Als Sund auf. Hoppeln bei Südwind
und beträchtlicher Dünung ein wenig mühsam
aus der Stadt. Am Kalkgrund hat der Wind auf Südwest gedreht,
die Welle ist weg, und wir nehmen Fahrt auf. Der nahende Schauer macht
mich ein bisschen nervös. DMI schien sich nicht ganz sicher,
wie ruppig es zwischendurch werden würde. Ich beginne, die
Wolke zu lesen: Schonmal kein Böenkragen, überhaupt
ist weder Starkregen, noch sonst etwas Finsteres, Bedrohliches zu
erkennen. Letztlich nimmt im Regen der Wind sogar eine Spur ab.
Dafür ist es in der Schlei mal wieder dermaßen
böig, dass es mir ziemlich auf die Nerven geht. Als vor der
Brücke die Segel unten sind, beschließt Paula, das
letzte Stück zu motoren. 
Soll
er also kommen, der Große Pustefix. Salty ist auch heil
zurück. Norbert und Christine sind die Strecke sogar noch
gesegelt – ohne den Druck, täglich mit uns mithalten
zu müssen, hat das offenbar gut geklappt. Zum Abschied fasst
es Okko mit denselben Worten zusammen, wie jedes Jahr: „Hat
wieder Spaß gemacht.“ Jörg bittet um ein
seglerisches Feedback. Finde ich gut, aber ich bin unvorbereitet. Die
Situation morgens beim Ablegen fällt mir wieder ein, und
tatsächlich: Das hat Jörg gar nicht kritisch
wahrgenommen. Um ihm etwas mit auf den Weg zu geben, verallgemeinere
ich sie zu dem Stichwort: „Auf Englisch nennt man es
situational awareness.“ Aber vor allem liegt es mir am Herzen
zu erwähnen, dass ich jederzeit wieder mitnehmen
würde. 
*
Die
anschließende Woche sieht in der Vorhersage so aus wie:
„Gut dass ich jetzt nicht segeln muss.“ Danach
wollen wir keinen Pustefix mehr, keinen Regen, keine dunkelblauen oder
gelben Böen, keine kurzen Zeitfenster und kurzen
Schläge, die uns nicht voranbringen. Und auch keine
Ofenplatten und sonstige Gesundheitsprobleme. Wir möchten
Sommer und stetige Brisen. Denn wenn Paula das nächste Mal
ausläuft, heißt das Ziel Hunnebostrand! 
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zurück: Der Große Pustefix

