Paulas Törnberichte | ![]() |
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Bootsballett
Vier Böen fünf ist durchaus schon Wind. Hoppelwelle
und Spritzwasser erwischen uns aber nicht gleich am Leuchtturm, sondern
die erste Gischtfontäne kommt erst fünf Minuten
später. Gleichwohl bedanken sich die Gäste
für den Tipp, das Ölzeug besser schon vorm Auslaufen
anzuziehen. Ich selbst beherzige ihn nicht und werde ein bisschen nass.
Am Ende der 25 Seemeilen sind Arme und Beine träge, die Frisur
zerzaust. Die Gesichtshaut spannt unter der Salzkruste, der Kopf ist
befreit von jeglichem Frust (dazu weiter unten) – und wir
haben die Idylle Korshavns ganz für uns!
Juni 2024
Es
ist Nebensaison: Die Feiertagswochenenden sind vorbei, die Ferienzeit
hat noch nicht begonnen – nur am Wochenende sind viele Boote
unterwegs. Samstagmittag segeln wir ganz entspannt nach
Schleimünde. Draußen scheint der Wind stetiger als
vorhergesagt, aber er kommt aus Nord und brächte uns
nirgendwohin (höchstens nach Marstal, aber da wird es in den
nächsten Tagen markant pustiger sein als weiter
nördlich, also ist das keine Option). Wir sind auch
rechtzeitig da, um es uns in der ex-Folkeboot-, jetzt Hausbootecke
gemütlich zu machen. Folkeboot Tinka liegt da schon.
Thomas
(den ich noch nie zuvor gesehen habe) begrüßt mich
mit Namen, als ich Paulas Groß berge und sie dann
rückwärts einparke. „Ich habe gerade in der
Koje gelegen und ein schönes Buch gelesen:
‚Folkeboot Paula‘“, ruft er
rüber. „Ja“, antworte ich, „und
schon kommt die Autorin angesegelt.“ Es ist ein
Schleimündetag wie aus dem Bilderbuch: Der erste Sommertag in
T-Shirt und Sandalen, und das übliche Happening, bei dem man
mit Wildfremden auf dem Steg sitzt und sich unterhält wie mit
uralten Freunden. Später parken uns Timm und seine Frau mit
Vadderns Yacht ein bisschen zu – die WSG Arnis hat
sensationeller Weise neuerdings einen Hafenmeister, der selbst Segler
ist! Am Morgen werde ich sie wecken müssen, damit sie uns
rauslassen, aber das ist überhaupt kein Drama, sondern
vorzügliches Miteinander.
Natürlich
ist es wieder ein Flotillentörn. Die Gruppe ist ein Highlight
und Fixpunkt der Saison: Sören und Frieda (leider zum letzten
Mal, er hat sich ein eigenes Boot gekauft). Okko und Martha (das
eingespielteste Einhandsegler-Charterboot-Team überhaupt).
Bernd (der Held der letzten Sommerreise, als er im strömenden
Regen vier Tage Rückstand auf die Gruppe aufholte) und Oli.
Mit dabei sind dann auch Liv, Christian und Wolfgang (Christian hat
erfreulich viele taugliche Mitsegler, ich finde das richtig gut), sowie
Louise mit den beiden Susannes. Salty ist für vierzehn Tage
gebucht ohne Flottille – oder? Bevor wir starten, brauchen
Carsten und Bast eine gründliche Einweisung, später
folgen sie uns nach Schleimünde und schließen sich
uns gleich für die ganze Woche an. Sofort sind sie integriert
als bereichernder Teil der Gruppe.
Eignerin-Susanne
kenne ich im Wesentlichen aus dem Winterquartier, vom Kranen und
Maststellen und diversen Treffen in Schleimünde. Sie und
Vorschoterin-Sanne haben sich vor zwei Jahren schonmal uns
angeschlossen. Einen Teil der Einhandsegler kennen sie aus Jugendtagen
auf dem Wanderkutter, es ist also ein buntes Durcheinander. Letztes
Jahr wollten Louise und Eignerin uns auch begleiten, doch dann brach Sanne
sich einen Zeh und humpelte in einem orthopädischen Schuh zum
Folkeboottreffen, um mir das abzusagen. Diesmal, gerade vor wenigen
Tagen, passierte ihr ein ähnliches Missgeschick: Irgendwo
gegengekommen, Zeh krumm und blau und schmerzhaft.
Also
wieder zum Arzt und geduldig auskurieren? Nein! Sondern: Schluss mit
den Pechsträhnen! Vorschoter-Sanne bringt ihr ihren
orthopädischen Schuh mit an Bord -
„Mai-Schuh“ genannt, weil sie sich immer im Mai den
Zeh bricht - und kümmert sich um die Laufarbeit, damit die
Patientin am Ruder sitzen bleiben kann – so wird es gut
gehen. Ich bin ein bisschen stolz auf diese Tapferkeit und auf die
beiden als Team.
Sieben
Boote also, zehn Menschen, mit denen ich gerne Zeit verbringe, aber
kein Traumwetter: Es wird kühl und unbeständig, nach
hinten raus mit Schauern und reichlich Wind. Ich werde mir etwas
einfallen lassen müssen, um daraus einen gelungenen
Törn zu zaubern. Okko kann bestätigen, dass es in der
Vergangenheit manchmal recht wild war. Allein mit den Törns,
an denen er teilgekommen hat, ließe sich ein dickes,
spannendes Buch füllen. Ich habe aber selbst keine Lust mehr
auf grenzwertige Bedingungen, also will die Reiseroute mit Bedacht
gewählt sein. Wir müssen ja auch pünktlich
wieder zurück nach Arnis.
Sonntagmorgen
bin ich ein bisschen unausgeschlafen. Keine Kuchenbude aufgebaut
– als ich mit Kaffee und Kippe im Cockpit langsam zu mir
komme, grüßt jeder Vorbeigehende:
„Moin.“ „Mo-oin.“
„Moin Moin.“ „Mooooooin“ und so
weiter. Ich sitze da lange, bin ein bisschen spät dran
für die vereinbarte Ablegezeit, gehe endlich
Zähneputzen. Die beiden Sitzklos sind besetzt,
draußen wartet unverkennbar ein Freizeitkapitän
darauf, dass eins frei wird. Aufs Klo will auch, aber ich kann ja dann
erstmal Zähenputzen…gehe also rein, um einen
Schluck Wasser auf die Zahnbürste zu geben. Der
Freizeitkapitän zeigt nach nebenan und knurrt:
„Waschraum da!“
Ich
könnte jetzt lange erläutern, wie sowas bei mir
ankommt. Aber vielleicht ist das gar nicht nötig. Vielleicht
sollte ich lieber erklären, dass meine Stimme am Morgen nach
einem Abend mit latent zu viel Rauchen und Rotwein seeeehr tief und
brummelig und aggressiv klingen kann, wenn es ihr passend erscheint.
Ich brumme: „Was ist dein Problem?“ Der Typ
stammelt etwas, ich will es gar nicht wiedergeben, er soll einfach mich
uns jeden anderen in Ruhe lassen und sich um seinen eigenen
Scheiß kümmern. Ich kehre zurück zum
Liegeplatz, erzähle dreimal, was ich gerade erlebt habe und
merke schon: Es beschäftigt mich. Solche Leute machen mich
wütend. In einer Welt voller Sorgen und Probleme sind sie so
unnötig wie die AfD, doch sie laufen überall frei
herum, fühlen sich im Recht, und die Schuld haben sowieso
immer die Anderen.
Leute
wie er brüllen anlegenden Booten vom Steg aus Anweisungen zu,
lenken dadurch ab, stiften Verwirrung und verurteilen so ein
wohlgeplantes, von der Crew bestens abgesprochenes Manöver zum
Scheitern – und danach sonnen sie sich im
„Pech“ der Anderen: „Hab ich ja gleich
gewusst….“ Leute wie er motoren zeitgleich mit
zehn Anderen auf eine sich langsam öffnende
Klappbrücke zu und gehen selbstverständlich davon
aus, dass sie durchfahren dürfen und die anderen warten
müssen. Leute wie er sind sich auf erschreckende Weise ihrer
Dummheit nicht bewusst und zu keiner Selbstreflexion fähig.
Und Leute wie ihn gibt es in größerer Zahl nur in
einem einzigen Land auf der Welt. Es sind immer Deutsche –
und es sind immer Männer.
Paulas
dänische Gastlandflagge ist schon gesetzt. Die Charterboote
legen ab, dann sind wir dran. Paula liegt genau im Wind, einfach
lossegeln wird nicht klappen, sondern wir brauchen ein bisschen Schwung
und tüchtiges Wriggen zum nächsten Dalben. Mit Vor-
und Achterleine auf dem kleinen Steg stehend warte ich noch einen
Moment, weil gerade so ein großes Rotes mit älterem
Freizeitkapitän am Ruder und wuselnder Gattin abzulegen
versucht. Die Fender bleiben am Pfahl hängen. Männe
gibt weiter rückwärts und klemmt den Fender ein,
Mausi zerrt und rupft und macht und tut – irgendwann
fährt das Boot weiter. Mitten im kleinen Hafenbecken stoppt
Männe auf, Mausi muss erst in Ruhe die Vorleinen
aufschießen und an den Bugkorb hängen.
Während der Fahrt könnte sie das ja nicht.
Ich
kalkuliere, wieviel Zeit das maximal noch dauern wird und wie lange
Paula und ich brauchen bis zum Dalben und nach kräftigem
Abstoßen weiter zur Position des großen Roten (es
ist eine Reinke, glaube ich, aber spielt ja keine Rolle). Wir legen
los. Treiben auf die rote Reinke zu, die sich immer noch nicht bewegt.
Wir haben aktuell keinen Antrieb - der Plan ist, ein bisschen
abzufallen und die Fock zu setzen. Die Reinke kann jetzt auch nicht
mehr beliebig manövrieren, denn vor ihr legt eine weitere
große Yacht ab und zieht rückwärts aus der
Box. Ich stehe schon beim Mast mit dem Fockfall in der Hand, ziehe
schonmal zwei Meter Segel hoch und frage: „Und was denkt ihr,
wo wir jetzt hinsollen?“
Ich
bekomme zu hören: „Ihr müsst schon erst
gucken, bevor ihr ablegt.“ Wenn das so zu verstehen ist, dass
ich gucken muss und alle Anderen es deswegen nicht brauchen, bin ich absolut
dagegen! Ich spiele nicht mit, sondern Paula hält Kurs und ich
setze die Fock. Die zweite Yacht stoppt auf, die Reinke gibt
Rückwärts und verpisst sich endlich, wozu sie
fünf Minuten Zeit gehabt hätte. Ich schieße
noch das Fall auf, bevor ich ans Ruder gehe und den Kurs korrigiere.
Die gut dreieinhalb Stunden bis Skjoldnæs verbringe ich
hauptsächlich mit der Suche nach einem Ventil: Ich kann euch
selbstgerechte, strunzdumme, unerträgliche
Freizeitkapitäne nicht mehr ertragen! Und ihr kapiert das
nicht einmal, so kurz reicht euer Denkvermögen.
Währenddessen
verzieht sich der Hochnebel. An der Nordspitze von Aerø
fallen wir ab. An der roten Tonne vor Nakkeodde gucke ich auf die Uhr:
Oli hat acht Minuten Vorsprung vor Paula. Das nächste Boot hat
zwei Minuten Rückstand auf sie, die nächsten beiden
folgen dicht beieinander nach einer weiteren Minute, Frieda hat dann
wieder zwei Minuten Rückstand. An diesen Abständen
hat sich die ganze Strecke über nichts Wesentliches
geändert. Wir luven an, den anderen folgend, segeln auf
Svelmø zu in ausreichend tiefem Wasser.
Dann
passiert, was absehbar ist: Bernd segelt geradeaus, bis er sicher ist,
den Hafen bequem anlegen zu können. Die anderen folgen Olis
Kielwasser. Paula hingegen wendet, als der Hafen querab ist, eine halbe
Meile früher. Sie muss mehr Höhe laufen, bleibt aber
genauso schnell. Im Ergebnis treffen wir so ziemlich gleichzeitig ein
– ist es nicht wunderbar? Ich finde es gut, dass Bernd und
Oli zuerst in den Hafen segeln und souverän anlegen. Bernd
kümmert sich dann auch um den Anlegeservice für uns
und alle Weiteren – ich mache es mir gemütlich und
habe endlich wieder richtig prächtige Laune. Korshavn haben
wir für uns – die Feiertagswochenenden sind vorbei,
die Ferienzeit steht erst bevor, die Südsee ist leer, und wer
will schon in so einen spartanischen, flachgründigen Hafen?
Montag
ist bei bedecktem Himmel Nordwest 4 Böen 5-6. Wir haben
geplant, um neun Uhr auszulaufen und nach Faldsled zu kreuzen. Ich
verschiebe das erstmal auf dreizehn Uhr, weil dann der Wind ein Mychen
abnehmen soll, und verkrieche mich unter der Kuchenbude. So gerne ich
den Gästen Faldsled zeigen würde – ich bin
wenig motiviert. Klar könnten wir segeln. Aber den
größten Teil von siebzehn Meilen kreuzen?
Woandershin ablaufen geht nicht, weil es dann am nächsten Tag
ein richtig langer Schlag würde. Von hier sind es 31 Meilen
zum nächsten Ziel, von Faldsled wäre es unwesentlich
kürzer, es hängt also wenig davon ab, dass wir heute
tunlichst vorankommen. Ich möchte weder jemanden zu einem
anstrengenden Segeltag überreden noch unnötig auf die
Bremse treten, also will ich nicht die Entscheidung treffen. Gegen
Mittag checke ich die Stimmung – „es ist so
schön hier“, bekomme ich hauptsächlich zu
hören. Wir bleiben also, wo wir sind.
Langeweile
kommt nicht auf: Die Gäste nutzen die Leihfahrräder
für Trips zum Kaufmann. Nach und nach trifft Grillgut im Hafen
ein, zuletzt auch Holzkohle. Abends scharen wir uns um die Tische und
mampfen uns satt an einer Mischung aus Schnitzeln, See- und
Landwürsten. Eine Plastikyacht mit dänischer Flagge
hält Kurs auf den Hafen, läuft ein und erstmal wieder
aus. Christian und ich sprinten zu den Liegeplätzen. Wir
binden Salty ein bisschen dichter an Liv, um dem dänischen
Ehepaar den Wunschliegeplatz freizumachen. Die beiden sprechen gut
Deutsch, aber ich bin gerade in so einem Modus und quatsche sie auf
Dänisch voll, was sie tatsächlich verstehen und die
Geste sehr begrüßen. Mit so viel Wind
hätten sie nicht gerechnet, die Hundewelpen seien seekrank
– unsere Hilfe ist sehr willkommen. Ich spende dann noch eine
Verlängerung fürs Landstromkabel. Und so soll es doch
sein: Miteinander, auch über Sprachbarrieren hinweg, fernab
der egomanen Freizeitkapitäne.
Grillen
war toll, Stimmung ist gut, nun wollen wir wieder segeln. Aber wie ohne
Wind? Wir lassen es gemütlich angehen mit Dehnübungen
in der morgendlichen Wärme – wir haben ja
außer verspannten Mittfünfzigern auch einen
Physiotherapeuten in der Gruppe. Als die Brise auf Süd dreht
und sich draußen Gekräusel zeigt, stupsen wir hastig
die Boote aus den Boxen, wriggen aus dem Hafen und zerren das Tuch
hoch. Zweiunddreißig Seemeilen nach Kalvø sind
geplant. Es ist ein bisschen lustig, dass ich es in sechzehn Jahren nie
dort hingeschafft hatte, mich aber jetzt jede zweite Woche dort blicken
lasse.
Es
ist lustig und unbeschwert, in einer schwachen Brise mittags an
Lyø vorbeizutreiben, doch allmählich sollten wir
den angekündigten Wind bekommen: Süd 4.
Nördlich der Trille haben wir den für einen
Augenblick, doch es bleibt lange unstet und vage. Die Charterboote, Liv
und Louise sind vor Paula abgelegt, und es scheint so, als
bekäme das letzte Boot jederzeit den ungünstigsten
Wind – wir holen nicht auf, sondern fallen zurück.
Trotzdem kommen wir erstaunlich gut voran, ich rechne mit einer Ankunft
gegen 18 Uhr. Der angekündigte Regen fällt anderswo.
Beim Hesteskoen – dem „Hufeisen", einer steinigen
Untiefe 60 Zentimeter unter der Oberfläche im ansonsten 40
Meter tiefen Kleinen Belt, überholen wir Fylla, einen
Dreimast-Marstalschoner aus Svendborg. Kurz danach kommt Fylla wieder
auf mit gehöriger Bugwelle, angetrieben von einem Privatwind,
den Paula auch gerne hätte, aber nicht bekommt.
Vor
Tranesand, dem Nordzipfel von Als, werden die Karten wieder neu
gemischt. Eben noch sind wir mit fünfeinhalb Knoten endlich in
Gang gekommen, jetzt stampft Paula in einer nervigen Kackwelle herum.
Es fühlt sich an wie höchstens zwei Knoten, doch da
scheint eine Strömung mitzulaufen, denn über Grund
sind es immer noch vier Knoten. Und dann über fünf,
das bringt uns schon irgendwie ans Ziel – aber mir macht es
überhaupt keinen Spaß, so zu segeln. Ich
überlege, abzufallen, die Welle sanfter zu nehmen, Fahrt zu
gewinnen und Barsø nördlich zu runden –
doch die Kreuz, die uns das später bescheren würde,
dürfte enorm Zeit kosten. Also folgen wir den Charterbooten
und hoppeln weiter.
Plötzlich
hoppeln wir nicht mehr, sondern fliegen mit sechs Knoten dem Ziel
entgegen – endlich passt der Wind zur Welle. Wir kommen sogar
erheblich auf, als die Vorausfahrenden die Abdeckung der Genner Bugt
erreichen. Dort nähert sich Salty ein bisschen unbefangen dem
Ufer und kommt nachhaltig fest. Das ist ein Thema für
später – wir werden erstmal anlegen, dann ein Boot
und eine Crew auswählen und schließlich das
Abenteuerprogramm des Freischleppens angehen. Cool finde ich das nicht,
mit dem gleichen Tiefgang einigermaßen dich ran zu
müssen.
Anders
als Pfingstsonntag ist Kalvø heute ruhig, und es stiftet
auch kein wohlmeinender Hafenmeister Verwirrung – aber viele
Liegeplätze sind fest vergeben, es ist also per se schon recht
voll. Wir kommen alle unter, Salty berichtet per Funk, sie seien
freigeschleppt worden, und auch sie findet noch einen Platz mit
ausreichender Wassertiefe. Das Restaurant hat Ruhetag, was schade ist,
weil alle doch ein bisschen ermattet wirken und keinen Elan zum Kochen
haben. Die Gäste sind aber, anders als ich, sehr zufrieden mit
dem Segeltag. Ich freunde mich auch mit ihm an und greife zur
Notration: Nudeln mit Tomaten und Thunfisch aus der Dose.
Später hocken wir zu fünft eine Weile auf Louise und
Frieda, unternehmen dann zu siebt den halbstündigen Landgang
rund um die Insel, und als wir zum Hafen zurückkommen,
fängt es tüchtig an zu regnen, und wir
flüchten lachend in die Trockenheit von Kuchenbude oder
Kajüte. Insgesamt empfinde auch ich es inzwischen als einen
sehr gelungenen Tag. Bisher ist es wieder ein sehr schöner,
gelungener Törn mit einer tollen Gruppe. Doch jetzt kommt das
unbeständige Wetter. In der Nacht auf Mittwoch pustet und
regnet es gewaltig. Morgens scheint die Sonne, und es pfeifen ruppige
Böen durch die Gegend. Auslaufen gegen Mittag, lautet er Plan,
wir hoffen nämlich auf abnehmende Böigkeit. Das
Wasser ist unglaublich gefallen.
Dann
ist auch Bernd gefallen: Durch den niedrigen Wasserstand ist es
mühsam, an Bord zu klettern, und er hat sich dabei den
Fuß gehörig verletzt. Er schmerzt und ist
geschwollen – Einhandsegeln wird Bernd heute und für
den Rest der Woche nicht mehr. Sofort tritt die Gruppe in Aktion: Unser
Physiotherapeut sieht sich die Verletzung an, kühlt den
Fuß, verabreicht ein Schmerzmittel. Wolfgang erklärt
sich bereit, auf Oliese mitzusegeln und die Lauferei zu erledigen.
Christian segelt also erstmal einhand. Okko erledigt Bernds Abwasch,
baut die Kuchenbude ab und packt die Segel aus. Basti erklärt
Wolfgang, der bisher nur Liv kennt, wie auf meinen Charterbooten die
Segel gesetzt und geborgen werden. Wir machen noch ein Briefing, dann
zerren wir Oli aus der Box.
Nachgelassen
haben die Böen inzwischen, aber sie bleiben ruppig –
Mittelwind drei bis vier und Böen satte sechs ist schon ein
Spektakel. Die Strecke ist aber wie geschaffen dafür: Viel
Abdeckung und die meiste Zeit halber Wind. Die fünfzehn Meilen
legen wir in nur zweieinhalb Stunden zurück. Ich vermute, dass
die Gäste es lieben. Ich selbst wähle
Abkürzungen, um Paula Raumschotskurse möglichst zu
ersparen, auf denen man am schlechtesten die Power rauskriegt, und
genieße am meisten die letzte halbe Meile, wo wir in voller
Höhe und ohne Ruderdruck auf den Steg zusausen. Wir segeln in
die Abdeckung und legen recht entspannt an in Sottrupskov.
Ich
bin sehr stolz auf meine Boote und Gäste, besonders
natürlich auf Oli, Wolfgang und Bernd, und auch auf Christian,
der seinen Einhandtag bei Hack nach anfänglicher Anspannung
durchaus genießen konnte. Solche Menschen geben mir den
Glauben an die Menschheit zurück, den ich gelegentlich zu
verlieren drohe. „Gratuliere“, sage ich. Oli wollte
vor Jahren gerne Ehrenmitglied bei der Feuerwehr werden, aber das ist
im Sande verlaufen. Als ich nun ihr Großsegel rolle, fragt
sie, ob sie wenigstens ins Rote Kreuz antreten kann nach dem
erfolgreichen Krankentransport. Nun, wir müssen Bernd erst
noch heil nach Hause bringen, aber vieles spricht dafür, dass
das gelingen wird.
Rudergehen
kann er. Mitsegler stellen wir zur Verfügung. Helfende
Hände packen Segel ein und aus, bauen die Kuchenbude auf und
ab, reichen warme Mahlzeiten rüber. Zum
größten Problem entwickelt sich der Gang zum Klo,
doch zu Olis Ausrüstung gehört auch ein
Krückstock. Meistens kommt er in seiner Nebenrolle als
Bootshaken zum Einsatz oder wird ignoriert, jetzt ist er richtig
wertvoll.
Donnerstag
wäre kein guter Tag für die Rückkehr zur
Schlei: Ab zehn Uhr ist mit ruppigen Schauerböen zu rechnen.
Mein Plan: Ablegen um sieben, nur schnell nach Sønderborg
kreuzen und nördlich der Klappbrücke beim
Steigenberger Hotel anlegen – dann sehen wir weiter. Das
Ablegen ist ein großes Happening, ohne Wind, alle mehr oder
weniger gleichzeitig und ohne Motor, umeinander herum wriggend, Segel
setzend und aufeinander aufpassend. Wir treiben. Wir segeln. Wir
kreuzen. Auf Als und Jütland zwitschern die Vögel.
Christian, der die Arten zu unterscheiden weiß, sagt:
„In zwei Wochen ist das vorbei.“ Genau, nach der
Balz will die Brut aufgezogen werden. Ich höre zum ersten Mal
seit Langem einen Hahn krähen. Liv und Frieda umgeben Paula,
ich berichte Christian und Sören davon, dass ich als Kind mal
Kampfrichter war beim Hähnewettkrähen des
Rassegeflügelzuchtverein Kreuztal e.V. Nun frage ich mich,
warum es nicht auch ein Hundewettbellen gibt.
Als
sich ein Brischen entfaltet, machen wir mit sieben Folkes Bootsballett
in ständig wechselnden Formationen. Man kann nicht sagen, dass
es rasend schnell vorangeht, aber es ist unterhaltsam und total
entspannt – für mich sind diese vier Meilen das
Highlight der Woche. Plötzlich sind Ölzeugwetter und
fünf Knoten. Der Schauer bringt uns voran bis zur
Hochbrücke und verzieht sich dann rechtzeitig zum
gemütlichen Anlegen. Es kommt uns gelegen, dass drei Yachten
pünktlich zur nahen Brückenöffnungszeit
ablegen und wir die Pier fast für uns haben. Bei zwei Beaufort
und im spitzen Winkel minimal auflandigem Wind ist es wirklich einfach,
man muss nur im letzten Moment das letzte Segel bergen –
Außenborder kommen nur auf wenigen Booten zum Einsatz, auf
Oli zum Beispiel nicht.
Wir
diskutieren kurz, wie weiter: Louise soll in Sønderborg
bleiben, um näher am Start der Classic Week nächste
Woche zu liegen. Sanne und Sanne können so Oli und Bernd nach
Hause segeln, aber hier ist kein guter Liegeplatz auf Dauer –
die Boote werden schon durchgeschüttelt, wenn in einer
Schauerbö der Wind spontan auf Nordwest dreht. Also verholen
in die Marina? Da steht bei Südwest total der Wind drauf,
angekündigt sind 5-6, auch wenn es sich hier im Schutz des
Festlands und des Alsions puschelig anfühlt, und in den
weiteren Schauern geht es auf jeden Fall zur Sache. Ich bringe den
Ruder- und Segelklub gleich nordwestlich des Alsik, wo wir liegen, ins
Spiel: Ruhiges Liegen in Boxen, mutmaßlich
preisgünstiger als im Stadthafen, dichter am Bahnhof
für die Anreise im Zug - und logistisch jetzt für uns
erheblich besser. Die Entscheidung fällt leicht, wir
können Stadtbummel machen. Also manche von uns können
das: Bernd bleibt an Bord und legt den Fuß hoch. Christian
genießt die verdiente Ruhe. Basti hat einen Termin
für eine berufliche Telefonkonferenz. Die anderen Sieben
stapfen zum Rathausplatz und studieren die Speisekarten der
Restaurants. Kurz vor Mittag können wir statt
Frühstück auch Burger und Bier bestellen.
Danach
sind Sören und ich aber statt Stadtbummel und Shopping ein
Fall für die Koje. Auf dem Weg zum Hafen werden unsere
Schritte schneller, der nächste Schauer kommt auf, und er
wirkt grimmig. Gerade noch husch husch die Kuchenbude aufgebaut und
einen Blick auf die Fendersituation aller Boote geworfen, hier und da
korrigiert, dann prasselt und pustet es los, und ich schlüpfe
in den Schlafsack.
Freitagmorgen
um sechs, ein erster Regen ist schon durchgegangen, machen wir
müde die verbliebenen Boote klar. Louise liegt gut und sicher
im Clubhafen, Sanne und Sanne bringen ihr letztes Gepäck mit.
Bernd humpelt, gestützt von Olis Bootshaken zum Klo. Basti und
Carsten schlafen noch, wir wünschen ihnen eine schöne
zweite Woche (obwohl die Witterung halten wird). Der frühen
Stunde geschuldet, ist niemand gesprächig. Ich bereite zuerst
Paula, dann Oli, aufs Ablegen vor. Friedas Außenborder
startet nicht, der Pumpballen bleibt weich, der Motor kriegt kein
Benzin. In zwölf Minuten öffnet die Brücke.
Sie wird es erst zwei Stunden später wieder tun, und ab
mittags ist mit heftigen Schauerböen zu rechnen. Wir
müssen da jetzt erstmal durch. Es gibt weder Krisensitzung
noch Fehlersuche noch Diskussion, sondern nur meine spontane
Entscheidung: Paula schleppt Frieda durch die Brücke. Was in
Kappeln passiert, sehen wir, wenn wir in Kappeln sind. Dazwischen wird
gesegelt.
Während
des Schlepps kippt Sören Benzin in den Tagestank, findet aber
nicht heraus, in welche Stellung er den Benzinhahn umstellen muss. Ich
kann ihm nicht helfen, ich habe diesen Tagestank noch nie weder
befüllt noch benutzt. Die Brücke ist auf, ich gebe
Gas. Dahinter ist erstmal wenig Wind und eine merkliche
Strömung gegenan. Liv, Martha und Oli setzen die Segel,
motoren aber weiter am Schloss vorbei aus dem Stadthafen. Weil ich
nicht weiß, wie es da wind- und
seegangsmäßig aussieht, möchte ich den
Schleppverband aber gleich hier und jetzt auflösen. Und das
heißt für Sören und mich: Wir
müssen unsere Boote aus dem Stadthafen kreuzen, egal wie lange
das dauert. Eine gute halbe Stunde scheint mir eine gute Zeit, dann
nehmen Frieda und hinter ihr Paula Fahrt auf und bleiben den Anderen
auf den Fersen. Anders als am Vortag entwickeln sich schnell vier
Knoten, dann fünfeinhalb, und so bleibt es bis zur Schlei. Der
Himmel klart vorübergehend auf mit einem Viertel Bedeckung
winziger Cumulus, bevor sich die Bewölkung wieder verdichtet.
Einer unserer special moves lässt und früher wenden
als Sören und Frieda und vor ihnen in die Schlei einlaufen.
Bis
Maasholm können wir den Kurs anlegen, dann beginnt die Kreuz.
Vor uns zeigt sich ein Schauer. Martha birgt die Segel und wirft den
Motor an. Für Frieda und uns sehe ich keine Chance, die
nächste Brücke noch zu schaffen, und möchte
nicht in einer heftigen Schauerbö versuchen, eine antriebslos
treibende Frieda in Schlepp zu nehmen. Rechtzeitig biegen wir ab zur
Modersitzkiwert, legen entspannt an, bringen den Benzinhahn in die
richtige Stellung und versuchen erfolgreich, den Außenborder
über den Tagestank zu starten. Zuversichtlich schalte ich ihn
aus, und wir verkriechen uns bei Starkregen und Gepuste zum
Klönschnack unter Deck.
Als
die Bö durch ist und es nur noch leicht regnet, legen wir
unter Segeln wieder ab. Wir könnten es noch schaffen zur
nächsten Brückenöffnung, wäre es
keine Kreuz gegen die inzwischen in Gang gekommene kräftige
Strömung. Gleichwohl segeln wir tapfer hin und her. In der
Ferne sind Martinshorne zu hören. Letztlich macht die
Brücke erst mit einer halben Stunde Verspätung auf,
als der Rettungseinsatz beendet ist. Das schaffen wir locker, und
ausnahmsweise motoren wir den Rest – ich finde, diese Woche
haben wir genug geleistet: Bei schwierigem Wetter eine schöne
Runde von 105 Seemeilen, ohne auf die Mütze zu kriegen oder
uns zu überfordern; jedem Teilnehmer mindestens einen neuen
Hafen gezeigt; und das dank der Mitwirkung von allen trotz des
Missgeschicks mit dem Fuß.
Puh.
Viel erlebt. Das Meiste genossen, den Rest gut organisiert. Jetzt bin
ich wirklich groggy.
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