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Drei Tage im Grünen

Der Plan für die Pfingstwoche ist einfach: Drei unbeschwerte Tage im Grünen. Stadtbummel. Pünktliche Rückkehr nach Arnis. Verbunden wird dies durch abwechslungsreiche Tage auf dem Wasser mit viel unbeschwertem Schönwettersegeln und einer Prise Abenteuer. 

Mai 2024

Wir starten Pfingstsamstag bei schönstem Wetter: Sommerliche Wärme, kein Wölkchen am Himmel, sowie nach dem Gepuste der letzten fünf Tage nur noch ein schwacher bis mäßiger Ostwind. So wird es das verlängerte Wochenende über auch bleiben – und das heißt natürlich: Alle springen an Bord und sausen los. Zu erwarten sind volle Häfen, Gedränge vor den Brücken, autobahnartige Verkehrslage speziell auf der Schlei. Die meisten werden Pfingstmontag an die Schlei zurückkehren, also entspannt sich die Situation. Allerdings stellt sich dann auch – es ist Vollmond – die Wetterlage vorübergehend um.Das hat Auswirkungen auf die Törnplanung. Genauer gesagt ist sie beinahe obsolet: Anfangs ist die grobe Richtung bei schwachem Nordost vorgegeben. Am Dienstag wird es windig, Mittwoch riecht nach Hafentag bei siebener Böen, Donnerstag und Freitag sind Wackelkandidaten mit unbeständigem Wetter und wechselnden Windrichtungen – darauf dürfen nicht pokern, wenn wir ohne große Kraftakte pünktlich zurücksein wollen. Wir richten uns also auf relativ wenige Seemeilen ein – aber die möchten wir genießen!

Auf die Gruppe habe ich mich sehr gefreut: Alte Bekannte, keine große Einweisung nötig und keine unangenehmen Überraschungen im Bootshandling zu erwarten. Andreas chartert zweimal im Jahr – auf ihn kann ich mich genauso verlassen wie auf die Feuerwehrleute und auf Christian, der uns mit seinem eigenen Boot begleitet. Als Verstärkung hat er Matthias mit, den er in der WSG kennengelernt hat und der so gerne einmal Folkeboot segeln wollte. Jörg, Brigitte und der zweite Andreas waren letztes Jahr schonmal mit. Ihre relative Unerfahrenheit ist ihnen bewusst – deshalb haben sie erneut einen Flottillentörn gebucht, und an Menschen ihres Kenntnisstands richtet sich hauptsächlich das Angebot. Tatsächlich bin ich angenehm überrascht, dass alle drei trotz großer Anfangsnervosität die Sache voll im Griff haben. Gelegentliche Ratschläge sind gefragt, kein Haarraufen und Nervenkitzel. Die gelegentlichen Grundberührungen in den Häfen haben andere Ursachen.

Samstag verordne ich uns Auslaufen um halb acht - Ein bisschen Planungsgeschick ist auf jeden Fall nötig: In einer hübschen Morgenbrise schaffen wir locker die Brücke um zwanzig vor neun – eine Stunde später ist es garantiert knallvoll, und die Kreuz aus der Schlei zwischen all den motorenden Yachten wäre dann kein Spaß. Jetzt, während die meisten noch frühstücken, lassen wir Pippilotta vorbeituckern und kreuzen ungestört durch Rabelsund, wobei Paula sich ein Stück absetzt. Danach wird es bis zum Leuchtturm ein Anlieger – der Auftakt eines überaus abwechslungsreichen Segeltages ist geschafft.

Draußen vor der Schlei: Kaum Wind, dazu eine mächtige Dünung, die sich gegen die auslaufende Strömung aufsteilt. Das war zu erwarten, wir müssen da irgendwie durch. Paula und ich fallen erstmal nach Südosten ab. Das bringt uns aus der Hauptströmung und somit den steilsten Wellen, die Charterboote folgen uns. Nach einer Wende haben wir die Welle von der Seite, kommen mit eineinhalb Knoten immerhin vom Fleck und können ausnutzen, dass die Strömung uns ein ganzes Stück nach Osten schiebt. Als sich die See beruhigt und wir wieder Druck im Tuch haben, spart uns das einen Holeschlag, um vom Strandwall freizukommen.

Bis die Thermik einsetzt, geraten wir noch in zwei Flautenlöcher, doch am Nachmittag segeln wir stetig und sorgenfrei auf Sønderborg zu. Da wollen wir aber nicht bleiben, sondern durch die Brücke und in den Als Sund. Fast eine Dreiviertelstunde lang segelt Paula Warteschleifen vorm Schloss. Zuerst ist das ganz lustig, ich finde sogar Muße, das Landleben zu beobachten: Ein Brautpaar posiert vorm Schloss fürs Foto. Die Charterboote kommen dazu, aber auch sonst füllt sich das Becken. Manche lassen die Segel oben, andere motoren, wieder andere schlängeln sich durch den Pulk, um anzulegen. Als ich allmählich das Gefühl bekomme, dass zumindest die Chartergäste die Segel besser runternähmen, ist kaum noch Platz dazu – man muss ständig dem Nächsten ausweichen, mit den Böen klarkommen und auch noch auf die Strömung achten. Zum Glück haben wir das heute Morgen in Kappeln geübt, es wird irgendwie gehen.

Die Brücke geht auf. Paula reiht sich ein. Überholt noch langsam zwei Yachten, die auf der Stelle treiben, weil davor eine Lücke ist. Die brauchen wir, falls es vor uns nicht vorangeht. Und dann schlägt sie zu: Die große Gedankenlosigkeit der Freizeitkapitäne. Direkt an der Brücke ballen sich vier oder fünf Boote. Ich weiß nicht, ob die überhaupt den Gang einlegen oder nur mit der Strömung treiben – auf jeden Fall kommen sie nicht aus dem Quark. Die beiden, die Paula eben überholt hat, fahren los und schließen unsere Lücke wieder. Strömung mit, Druck im Groß bei achterlichem Wind – ich habe noch gar keinen Gang eingelegt, wir sind trotzdem zu schnell. Hinter und um uns herum nehmen alle Fahrt auf, als dächten sie, man könne ruhig zu zehnt nebeneinander durch die Brücke. Wir segeln raus aus dem Pulk, fahren einen Kringel, lassen noch einen Schleppverband vorbei, dann ist genug Platz für einen neuen Anlauf. Die Chartergäste haben sich zum Glück von vornherein ein wenig zurückgehalten. Es ist eng, aber wir kommen heil durch die Brücke und verkriechen uns vorm Steigenberger Hotel, bis die Masse weggetuckert ist. Wo die am Spätnachmittag bloß alle hinwollen?

Für uns beginnt der gemütliche Teil: Im geschützten Als Sund sind die inzwischen fünfer Böen sehr willkommen, bester Stimmung bleiben wir dicht zusammen und genießen die Fahrt ins Grüne. Allerdings wird es allmählich Zeit, mir über unser Tagesziel konkretere Gedanken zu machen. Verabredet haben wir Stevning Nor, aber auch diverse Alternativen. Anker im Sund ist eine davon, aber diese Idee hatten schon etliche vor uns. Mal wieder Sottrupskov finde ich auf einmal sehr verlockend, zumal es genug freie Plätze gibt. Das Problem ist, dass wir mit Rückenwind und ohne Chance, gegen den Wind Fahrt abzubauen, dort anlegen müssten. Salty vorneweg, gefolgt von Paula, gucken wir erstmal um die Ecke. Sofort sehr ich alle Informationen, die ich brauche: In der kleinen Bucht Stevning Nor liegt ein ganzer Mastenwald. In einem Minihafen, der sogar für uns nur zur Hälfte tief genug ist, kann das nur eines bedeuten: Es ist voll.

Also kehrt und Anlegen in Sottrupskov. Am liebsten will ich ja auf der Innenseite des Schwimmstegs liegen mit dem Bug im Wind. Wie kommen wir da hin? Erstmal das Groß runter. Dann, sobald wir genau in Luv des Stegendes sind, auch die Fock. Vor Topp und Takel wird Paula ein bisschen langsamer, aber eineinhalb Knoten sind ordentlich schnell. Die Pütz liegt bereit – ich werfe sie ins Wasser und hänge das Bändsel über die Winsch. Aha, so passt der Speed schon besser. Ich schicke alle weg, die mir helfen wollen, springe mit der Vorleine an der Hand auf den Schwimmsteg, sorge mit der Hand dafür, dass Paula an ihm vorbeifährt – und dann stoppe ich sie auf und ziehe sie zwei Liegeplätze weiter.

Komisch nur, dass sie sich nicht in den Wind dreht. Das kann nur einen Grund haben: Die Wassertiefe reicht nicht, also nehmen wir doch die äußeren Boxen. Die Gäste machen alles richtig, legen ihr jeweiliges Boot erstmal quer vor die Pfähle, bereiten alles vor und puzzeln es dann langsam in die Box. Vier kriegen wir so unter, Paula und Liv legen sich am Außenlieger ins Päckchen – mit dem Bug im Wind, wie es so gerne wollte.

Sottrupskov war lange ein regelmäßiger Programmpunkt, doch in den letzten Jahren war die Steganlage wirklich wackelig und abgerockt. Das Dixieklo war schlimm genug, aber seit da ein schöner Neubau steht, gab es überhaupt keine Toilette mehr. Inzwischen hat sich alles zum Besten gewandelt: Beim Schuppen des Nydambootes ist eine tolle öffentliche Toilette entstanden, und statt der wackeligen Pontonverbindung führt nun ein solider, durchgehender Holzsteg vom Schwimmsteg an Land. Für zehn Euro Hafengeld kann man in keiner Weise klagen – und wir sind in der Idylle, im Grünen, in der Ruhe. Ich bin so begeistert, dass ich gar nicht in die Koje finde. Froschkonzert auf Als, Hochzeitsfeuerwerk in Sønderborg – hier wird nicht viel geboten, sondern alles!

Ich bin ja immer wildentschlossen, regelmäßigen Gästen immer wieder etwas Neues zu bieten. Ich bin schonmal der einzige, der Sottrupskov vorher kannte, also war das ein gelungener Auftakt auch in dieser Hinsicht. Jetzt wollen wir das aber toppen: Wir segeln wohin, wo auch ich noch nie war! Aufmerksame Leser ahnen es schon: Wir wollen nach Kalvø! Obwohl ich doch schon so oft erfolglos nach Kalvø wollte, dass ich inzwischen beschlossen habe: Ich will niemals dorthin! Weil: Das ist der einzige Weg, zu provozieren, dass wir irgendwann versehentlich dort landen werden.

Ich nehme es vorweg: Diesmal kommen wir an! Auch dort ist es voll – der Hafenmeister erzählt, bei Ostwind sei das zu Pfingsten immer so. Ich bin irritiert: Einen Hafen ohne jeglichen Wellenschutz darf man nur bei ablandigem Wind anlaufen – in Kalvø wäre das alles von Süd über Südwest bis Nordwest. Ost oder Nordost bietet sich auf keinen Fall an, wir würden es auch nicht machen, wäre nicht abends, und bis Montagmittag totale Flaute garantiert. Die Überlegung, dass man bei Ost nicht kreuzen muss, haut gar nicht hin: Dann hat man die Kreuz eben am nächsten Morgen.

Ablegen in Sottrupskov ist heute keine Herausforderung. Geruhsam segeln wir bei 2-3 Windstärken durch den Als Fjord. Liv und Oli, die als erste ablegt haben, sind gehörig vorneweg. Als sie vor der Einfahrt zur Dyvig (aus der uns Dutzende von Yachten entgegenkommen) auf der Stelle hin und her segeln, glaube ich einen Moment, sie würden auf uns warten. Dabei weiß ich doch: Christian oder Joe würden das nichtmal vorm Zielhafen tun, schon gar nicht auf halber Strecke, sondern sie würden einfach dort anlegen. Zumindest von Joe käme dann noch ein lustiger Spruch, außerdem hat Oli gestern die Brücke verpasst, die wir anderen genommen haben – das dürfte seinen Ehrgeiz beflügeln, heute besser durchzukommen.

Also kann ich es mir denken, bevor wir da sind: Dort ist überhaupt kein Wind. Genauer gesagt überlagern sich zwei Windfelder, der bisherige Südost und der künftige Nordnordost. Sowas in dieser Art hat DMI vorhergesagt. Dabei muss man sagen, dass die Zutaten Flautenlöcher, Thermikbrisen und Winddreher nicht zu einer räumlich und zeitlich exakten Prognose führen. Die Kartendarstellung ist eher als das zu verstehen, was auf Lebensmittelverpackungen „Serviervorschlag“ heißt. Ich fand den heutigen ganz ansprechend, jetzt werden wir sehen, ob der Koch es beim Dekorieren vermasselt hat. Wir finden den Nordnordost am jütländischen Ufer.

Es gibt aber nur eine Kostprobe, im Wesentlichen ist kaum oder kein Wind aus der verkehrten Richtung. Das darf man aber nicht so verstehen, dass es vorläufig egal ist, was man macht. Als wir aus dem Als Fjord raus sind, wendet Paula und geht auf östlichen Kurs. Der bringt uns dahin, wo wir später mit neuem Wind einen guten Ausgangspunkt haben. Salty, Liv und Frieda segeln sich ins Nirvana. Martha ist sowieso irgendwo weiter hinten. Oliese überholen wir mit zwei Knoten trotz spiegelglattem Wasser. Warum? Joe und Bernd sitzen beide in Luv, die Segel fallen von ihrem Eigengewicht zusammen, Oli bleibt stehen. Ich habe es mir in Lee gemütlich gemacht, die Segel stehen, wir kommen zumindest vom Fleck. Und von Osten her nähert sich markantes Gekräusel.

Als wir in die Genner Bugt abfallen, sind wir beinahe schon wieder zu dicht zusammen – die Letzten werden warten müssen, bevor ihr Gate frei wird. Vor allem sind wir für meinen Geschmack erheblich zu schnell bei viel zu viel Wind, wenn es darum geht, mit achterlichem Wind einen neuen, engen, möglicherweise überfüllten Hafen anzulaufen. Im Approach wird es trichterförmig enger und enger, am Ende lauert ein Damm zum Festland mit einer Straße drauf und ein bisschen Schlick davor – die klassische Legerwallsituation. Ich greife zum Hafenhandbuch.

Ich greife insgesamt fünfmal zum Hafenhandbuch, während ich immer mehr Details der Ansteuerung und der Stege erkenne. Zunächst hatte ich geplant, ähnlich wie gestern mit der Fock einzulaufen, dann vor Topp und Takel zu treiben und mir schließlich irgendeinen Pfahl zu schnappen. Jetzt scheint es mir viel schlauer, die Fock zu bergen und mit dem Groß reinzusegeln, denn: Der erste Stegkopf ist von einer halbkreisförmigen Pfahlanordnung umgeben. Die Liegeplätze sind sogar leer. Egal, ob wir dort liegen werden oder woanders, die Pfähle bieten sich total an für einen Aufschießer. Wir sind dann schön in Luv des Hafens und können in jede hinterste Ecke treiben. Ich kann mich erstmal umgucken. Vor allem aber kann ich auch wieder rauskreuzen, wenn mir etwas missfällt.

Der Aufschießer gelingt vorzüglich. Der Hafenmeister ist auch vorzüglich: Er hat einen schönen, kleinen Platz für uns am hintersten Steg. Ich erkläre ihm, dass wir sechs Boote sind. Kein Problem, findet er, da sind auch drei freie Plätze, und für den Rest finden wir eine Lösung. Ich stoße Paula ab, wir treiben los, und ja, da sind drei Plätze auf der Nordseite des Steges. Die anderen beiden ergattern sich Oli und Liv.

Die rührige Hilfsbereitschaft des Hafenmeisters wird jetzt zum Störfaktor in unserem bewährten Ablauf: Er hat es eilig und ruft Anweisungen vom Steg. Natürlich kann er das alles nicht wissen: Dass wir Absprachen und seit dem morgendlichen Briefing einen Plan haben (der unter anderem darin besteht, die Südseite des letzten Steges mangels Wassertiefe zu meiden – aber genau da müssen drei von uns hin). Dass wir per Funk kommunizieren. Und dass da Einhandsegler und wenig erfahrene Crews dabei sind, die auf meine klaren Anweisungen und absolute Ruhe angewiesen sind. Im Augenwinkel sehe ich, dass zwei meiner Boote mit Vollzeug vor den Stegen herumsausen. Die eine ist Salty – Andreas hat sich genau wie ich vorgenommen, den Außenborder nur in Ausnahmefällen zu benutzen. Mit Frieda wird es beim Segelbergen ein bisschen eng. Dann ruft der HafenmeisterAndreas kennt ihn nicht und ignoriert in, treibt erstmal hinter uns her in die Gasse und an die Pfähle. Endlich kann ich ihm in Ruhe erklären, wo Salty hin soll – und das klappt dann auch tadellos, allerdings dann doch mit Außenborder.

Jetzt kommt Frieda. Jörg hat inzwischen die Segel unten und am Funk verstanden, dass er auf die Südseite des letzten Steges kommen soll, dort aber dicht an den Pfählen bleiben muss anstelle eines weiten Bogens. Ihm fehlt die Routine, die mich in den letzten zwanzig Minuten vorm Einlaufen bewogen hat, fünfmal unter verschiedenen Aspekten ins Hafenhandbuch zu gucken und mir unter anderem einzuprägen, wo es wie tief oder flach ist. Das ist ihm nicht vorzuwerfen – unter dem Aspekt des Lernens ist es ein schönes Thema fürs nächste Briefing. Vielleicht muss ich mir auch ein Codewort wie „Hafenmeisteralarm“ überlegen – letzten Sommer in Hanö war das ja auch schon so, dass ein überaus freundlicher, lieber, fürsorglicher, emsiger, kundiger, total toller Hafenmeister es gut mit uns meinte – und dabei alles durcheinanderbrachte. Man muss aber auch sagen, dass wir dem jedem derartigen Hafenmeister den Schwung nehmen, wenn wir in größeren Abständen einlaufen – das haben wir grundsätzlich auch so gebrieft, aber hier ist jetzt die Frage: Wo ist „im Hafen“ und wo ist „draußen“? Es gibt keine Mole und keine Einfahrt. Es gibt offenes tiefes Wasser und schönstes Segeln, und plötzlich ist man da und mittendrin und in Sicht- und Rufweite des Hafenmeisters. Hm. Ich lerne nie aus, kann jedes Briefing immer noch verfeinern.

Dicht an den Pfählen bleiben, lautet also Jörgs Auftrag – und er macht etwas Naheliegendes: Er holt weit aus, um nicht rechtwinklig abbiegen zu müssen. Es gibt dabei ein Problem, und es ist vom Steg her viel besser zu erkennen als aus dem Cockpit: Es wird flach. Frieda kommt fest. Und gegen den Wind per Rückwärtsgang auch ganz bestimmt nicht wieder frei. „Mach mal erstmal nix, wir regeln das“, empfehle ich Jörg. Wir winken erstmal Martha ran. Und dann auch gleich wieder ab. Brigitte und Andreas möchten bei Bergemanövern lieber nicht dabei sein und steigen ab. Gemeinsam mit den Feuerwehrleuten übernehme ich mal kurz die von ihnen gecharterte Martha. Wir vier genießen den Spezialauftrag – Joe sagt etwas von „Abenteuer“.

Ich finde das immer ein bisschen heikel, mit dem gleichen Tiefgang an den Grundsitzer ranzutuckern, aber hier ist sonnenklar, wo es tief und wo es flach wird. Joe wirft die Schleppleine rüber, Jörg stülpt sie in Windeseile über Friedas hintere Klampe. Ohne komplett aufzustoppen – das dürfen wir nicht, wir würden sonst vertreiben – schaffen wir es, sanft anzutauen, bevor ich die Drehzahl erhöhe. Frieda rührt sich nicht. Mehr Gas. Vollgas. Friedas Außenborder hilft im Rückwärtsgang, Jörg turnt ein bisschen herum. Frieda dreht sich ein Stück – das lässt hoffen, aber der Speed verharrt bei null. Und dann – es war ja nur eine Geduldsfrage – kommt sie frei und wir fahren los, noch ein Stück in ringsum tiefes Wasser, dann muss Jörg alleine weiterkämpfen und dreht am besten erstmal eine Ehrenrunde und lässt zuerst Martha anlegen.

Klar wäre auch diese Grundberührung vermeidbar gewesen – aber ich habe gar nichts daran auszusetzen. Die Gesamtsituation hat sie herbeigeführt, nicht ein einzelner Fehler eines Einzigen. Als Gruppe konnten wir uns helfen, es hat riesigen Spaß gemacht, und ich betrachte es als wertvoll, vor lauter Aufschießer und Segelmanövern bei so etwas nicht aus der Übung zu kommen. Gleichwohl sage ich, als ich von Martha auf den Steg steige: „Was ist mit dem Anlegebier?“

Joe gesteht, dass er damals, als er zum ersten Mal ein Folkeboot gechartert hat, auch auf den Internetseiten der Kollegen gestöbert hat. Bei mir dachte er: „Der Kerl hat n Knall!“ – und deshalb hat er gebucht. Mittags ausgelaufen, reichlich Flaute, grandiose Hafenaction und ausgiebiges Anlegebier – ich weiß gar nicht wie, aber finde sogar noch Zeit und Ruhe, Kalvø zu erkunden. Das ist relativ einfach, es dauert dreißig Minuten einmal ganz herum, wenn man die Kamera dabeihat und Fotos knipst. Wirklich schön, wirklich sehenswert – den Hafen möchte ich auch noch einmal erleben, wenn nicht Pfingsten ist. Nur das Hotel hat eindeutig ruhmreichere Tage gesehen: Joe ist enttäuscht von seiner trockenen Scholle – der Burger wäre wohl die bessere Wahl gewesen.

Montagmorgen, neun Uhr: Ich habe schlecht geschlafen und wirr geträumt. Nebenbei habe ich mich auch vom Wunschdenken – Middelfart! – verabschiedet und für eine realistische, altersgerechte Törnplanung entschieden: Wir fahren die gleiche Strecke zurück! Eine harmonische Runde ist immer mein Ziel, aber wichtiger sind schöne Segeltage anstelle vom Kampf und Krampf – bei wahlweise schwachem oder stark böigem Ostwind kommen wir nicht nach Osten. Wir kämen nach Norden – aber dann womöglich nicht wieder zurück. Salty-Andreas hat eine zweite Woche gebucht – wir schicken ihn nach Aarø, von wo er es nach Middelfart schafft vor dem Starkwind. Fyn rund wird es wohl nicht werden, aber zumindest sollte er uns nicht zurück in den Als Fjord begleiten.

Der Rest holt nach, was am Pfingstmontag wieder erträglich leer sein dürfte: Stevning Nor. Wieder wird es ein bemerkenswerter Segeltag, fast noch besser als gestern, obwohl es wieder „nur“ fünfzehn Meilen sind: Wir legen ab um zwölf. Kaum sind die Segel gesetzt, kommt ein schwaches Brischen aus Ost auf. Vor uns bleiben die zuerst Ausgelaufenen stehen – Paula und Oli wenden. Dann immer die See beobachten: Wo ist Gekräusel? Wo ist glattes hellblau? Auch das Echolot: Festkommen kostet erheblich Zeit, man darf hier nicht stehen bleiben. Auch nicht in der Flaute. Sich so zweieinhalb Stunden lang aus der Genner Bugt zu mühen, könnte mit nur dem eigenen Boot ziemlich öde sein. Doch in der Gruppe ist es hochspannend und lehrreich. Es ist keine Regatta, niemand verliert, sondern alle gewinnen, und ich genieße es zutiefst, dass alle so munter dabei sind.

Vor Barsø bekommen wir stetigen Wind. Frieda, Paula, Martha und Oli segeln fast nebeneinander her. Wer überholt wird, korrigiert den Trimmfehler und kommt wieder auf – manchmal werden schlaue Tipps rübergerufen. Salty ist nach Norden abgebogen, Liv ein gutes Stück zurück. Doch als es wie vorhergesagt auffrischt, profitiert sie als erste davon und kommt wieder in Sichtweite. Die zweite Kreuz des Tages – im Als Fjord bei Ost 4-5 – ist Paulas und meine Spezialität: Wir hängen die Anderen nicht komplett ab, aber wir lassen auch keinen mehr ran. Ich gucke weder auf den Kompass noch zum Verklicker, sondern steuere nach Ruderdruck. Bei Schwachwind, ohne überhaupt irgendwelchen Ruderdruck, geht das nicht – bei dem hier sind Paula und ich schon Hunderte von Meilen geradeausgesegelt – ich denke noch nichtmal drüber nach.

Ab achtzehn Uhr ist mit den ersten sechser Böen zu rechnen. Die könnten wir ab, aber in die enge Bucht kreuzen und anlegen tue ich lieber, solange es noch im Rahmen ist. Klappt exzellent: Planmäßig siebzehn Uhr berge ich die Fock, zwei Wenden später ist Paula angebunden, und ich berge das Groß. Pfingsten ist vorbei, reichlich freie Plätze auf genügend Wassertiefe – die Charterboote können kommen. Nach dem dritten abwechslungsreichen, großartigen Segeltag ist es die dritte Nacht in Stille und üppigem Grün. Fast wie Urlaub. Der Kuckuck ruft, der Mond ist fast voll, die Sonne geht allmählich unter, und die Stimmung ist bestens.

Aber das Wetter hält nicht. Dienstag droht es ab zehn Uhr mordsböig zu werden. Wenn das einzige sinnvolle Ziel nur sieben Meilen entfernt ist, müssen wir ja nichts riskieren oder es uns unnötig schwer machen: Wir laufen um sieben Uhr aus. Augenscheinlich sind sowieso alle immer früh wach, sogar ich nach einer zweiten Nacht mit wirren Träumen. Die Zeit ist bewusst gewählt – wir streben in Sønderborg die Brücke um 8h38 an, wollen in den Yachthafen. Wieder segeln wir unsere interne Quasi-Regatta – diesmal geht es vorwiegend darum, im Als Sund nicht in die Abdeckung zu geraten. Martha vorneweg stellt uns vor eine Aufgabe, Oli kommt prima durch, am Ende ist Paula doch als Erste an der Brücke – und es wird eine Punktlandung! Ein Kringel, dann segelt Paula durch. Der Außenborder läuft auf stand-by, ich kuppele nicht ein. Alle kommen durch, auch die, die sich betont zurückgehalten haben.

Ich will das nur mal kurz sagen, weil ich Wirklichkeit doch ein totaler Angeber bin: Ich habe diese Brücke schon oft knapp verpasst und an der Hochbrücke gedacht: Wenn ich jetzt den Motor anmache, kriegen wir sie – aber nein, wir machen nicht auf freier Strecke den Motor an, sondern leben mit den Konsequenzen wie zum Beispiel fünfzig Minuten Beiligen und Kreise segeln. Ich habe an dieser Brücke auch schon mehrere Punktlandungen geschafft, in dem Sinne, dass wir gesegelt und gesegelt und gekreuzt und gekreuzt sind, und dann machte die Brücke auf, der Außenborder ging an und wir sausten durch. Aber das war immer Zufall: Wir sind irgendwann irgendwo abgelegt und nach Sønderborg gesegelt, und zufällig hat es gepasst. Diesmal ist es kein Zufall: Sondern ich habe mich gefragt, wie lange wir für die sechs Meilen brauchen, bei vorhergesagtem Wind und durch die Abdeckung. Und es hat auf die Minute hingehauen. Ich hab mich da ein bisschen drüber gefreut.

Aus der Marina von Sønderborg (wo sich das Hafengeld nach der Breite des Liegeplatzes berechnet) lässt sich berichten: Die mit 2,10m Breite gekennzeichneten Boxen sind wirklich nur 2,10m breit. Nicht 2,20m wie ein Folkeboot. Mit Kraft und gutem Willem ginge das wohl, aber wozu, wenn gegenüber 3,20m-Boxen frei sind? Zum Beispiel eine einzelne für Paula und dann drei nebeneinander für die vier restlichen Boote? Die Gäste haben es mit dem Hafenmeister ausgehandelt, dass unser platzsparendes Verhalten honoriert wird, indem wir alle nur die günstigste Kategorie von 2,90 Breite bezahlen müssen – fair enough.

Kein Anlegebier morgens um neun. Stattdessen Segelpacken, Aufklaren, Mittagsstunde, Büroarbeit: In der Yacht erscheint demnächst mein Artikel über die Sommerreise letztes Jahr, da galt es noch den Törnverlauf nachzuliefern. Und dann: Stadtbummel. Drei Tage im Grünen waren schön, jetzt mischen wir uns wieder unter die Leute. Der Weg vom Yachthafen ins Zentrum führt entlang der Skulpturen an der Promenade, dem Sandstrand und dem Schloss zum Stadthafen, oberhalb dessen die Fußgängerzone liegt. Ich treffe alle außer Jörg: Andreas und Brigitte flanieren Hand in Hand am Hafen. Christian und Matthias schlendern durch die Fußgängerzone. Joe und Bernd schlabbern Eis am Strand. Und ich mache mal wieder ein paar Bilder, auf denen nicht nur Wasser und Boote und Himmel zu sehen sind. Richtig fiese Böen registriere ich hier in der Abdeckung erst am frühen Abend – aber wir alle finden die Tagesplanung genau richtig.

Mittwoch machen wir Hafentag. Donnerstag und Freitag geht es bei wenig Wind zurück an die Schlei und, mit Zwischenstopp in Schleimünde, nach Arnis. So ergibt es sich oft am Ende eines Flottillentörns, wenn der Wind am Freitag nicht für eine Rückreise von weiter entfernt genüg als von Schleimünde. Doch diesmal ist es in verschiedener Hinsicht besonders: Es ist unser erster Besuch seit der Sturmflut, die Schäden sind per Crowdfunding weitgehend repariert, aber es ist keineswegs selbstverständlich, dass man hier überhaupt wieder anlegen kann. Und dann ist ja Samstag Folkeboottreffen. Pommery und Lilla Flicka haben sich schon vorab in der Schlei getroffen, nun sind wir in Schleimünde zum Grillen verabredet.

Der Tag beginnt mit Dauerregen und zwei bis drei Windstärken aus West. Wir laufen um zehn aus – auf ein Ende des Regens zu warten, würde eine zu späte Ankunft bedeuten. Und ich finde ja, wenn es nunmal regnet, macht auch alles andere keinen Spaß – wer unternimmt schon in Gummistiefeln und Ölzeug einen Stadtbummel? Da kann man also auch segeln und sich hinterher freuen, wenn der Himmel aufreißt. Das tut er, nachdem wir Falshöft passiert haben. Paula ist wie immer als Letzte ausgelaufen und hat Liv, Martha und Frieda schon hinter sich gelassen. Oli ist weit vor uns – es ist der einzige Tag der Woche, wo große Abstände zwischen den Booten entstehen. Im Regen die Küste entlang ziemlich allein mit Paula zu sein, ist angenehm melancholisch und erholsam. Der Wind dreht ein bisschen – der Ausbaumer bringt uns entscheidend voran, doch zweimal muss ich ihn zwischendurch einpacken und die Schoten dichter nehmen.

Zwei Meilen nördlich von Schleimünde holen wir Oli ein. Sie segelt weiter draußen, wo weniger Wind ist als dichter am Strand. In der Schlei fallen mir zwei kleinere Segelboote in geringem Abstand auf. Es ist plausibel, dass das Lilla Flicka und Pommery sind – wenn sie nach den letzten Regentropfen gleich in Grauhöft ausgelaufen sind, könnten sie sich jetzt Schleimünde nähern. Und weil sie uns dort noch nicht sehen, kommen sie bestimmt auf die Idee, uns entgegenzusegeln. Die beiden Boote passieren den Leuchtturm. Der eine Rumpf könnte blassgrün sein, der andere ist auf jeden Fall leuchtend rot. Pommery luvt an, fünf Minuten später treffen wir uns und segeln gemeinsam zurück. Erik berichtet, dass die Strömung gewaltig ausläuft – die Einfahrt in den Hafen kann also spannend werden.

Paula segelt daran vorbei, um mit der Strömung einzulaufen – immer die beste Taktik, wenn vor der Hafeneinfahrt eine kräftige Querströmung läuft. Pommery rauscht mit Vorhaltewinkel direkt rein, fährt einen eleganten Aufschießer – und trifft vierkant den Pfahl, an dem Erik sie anbinden will. Bevor er dazu kommt, biegt sich der Pfahl, richtet sich wieder auf und schubst das Boot zurück. Von draußen sieht das ganz lustig aus, wie Pommery – mit Vollzeug im Wind stehen – voll schnell rückwärtsfährt. Erik berichtet später von zweieinhalb Knoten.

Er hat nicht allzuviel Platz hinterm Heck, um Pommery wriggend zum Abfallen zu bringen, damit wieder Druck in die Segel kommt. Als es soweit ist, wird sie natürlich für mehrere Sekunden tierisch leegierig. Ich gucke mir das Ganz an und kann mir denken, dass Erik erstmal wieder ausläuft. Also versuchen jetzt Paula und ich unser Glück – und es gelingt besser. Im nächsten Moment ist Pommery dann auch neben uns. Segelbergen, vertreiben zur Ostmole – Freitag ist Ostenwind, da kommen wir von dort besser weg. Wir legen dann auch gleich mit dem Heck zur Mole an, um morgens einfach geradeaus losfahren zu können. Lilla Flicka motort in Kreisen im leeren Hafen herum und lässt uns erstmal machen.

Kopfschüttelnd sehe ich ein, dass wir im fast noch leeren Hafen einen ziemlichen Aufwand betreiben, um unnötig improvisierte Liegeplätze zu ergattern. Während ich überlege, wie ich es den Chartergästen ein bisschen einfacher gestalten kann, füllt sich der Hafen – da haben wohl ganz viele auf das Ende des Regens gewartet und treffen jetzt in dichter, durch die Brücke in Kappeln getakteter Folge ein. Dabei ist auch Lispeltute von unserem Steg in Arnis. Dabei ist aber auch eine Yawl, die zielstrebig in eine der kurzen Doppelboxen an der Meno- Brücke saust. Dahin wollte ich eigentlich die Charterboote schicken, es ist auch noch genügend Platz für sie, aber das Heck der Yawl guckt drei Meter aus der Box, der Besanbaum steht nochmal einen halben Meter über – das macht das Erreichen der benachbarten Box zum Abenteuer. Außerdem dampft die Yawl, schon vollständig festgemacht, mit reichlich Vorwärts nochmal ein, als Markus gerade mit Lilla Flicka rückwärts hinter ihrem Heck durchtreibt und den nächsten Pfahl zu ergattern versucht – er ist dem Schraubenwasser hilflos ausgeliefert.

Freitagmorgen: Wir verpassen alle die Brücke in Kappeln um mehrere Minuten. Ich probiere eine neue Wartetechnik: Gegenüber vom Tonnenhof findet Paula eine strömungsfreie Ecke, wo uns niemand ins Gehege kommt. Eine halbe Stunde lang fährt sie mit dichten Schoten und unveränderter Ruderlage einen Vollkreis nach dem nächsten: Sie wartet. Ich mach nix. Erik wirft ein Knoppers ins Cockpit, das er von Markus zugeworfen bekommen hat – Erik mag kein Knoppers. Ich lasse es erstmal achtlos liegen. Ich nämlich auch nicht.

Anlegen in Arnis. Aufklaren. Abschied von den liebgewonnenen Gästen. Joe werde ich wohl nicht mehr so oft sehen, jedenfalls nicht als Olieses Charterer: Er geht in den Ruhestand, zieht in den Norden und wird sich ein eigenes Boot kaufen. Kein Folkeboot, für länger als eine Woche hält das sein Rücken nicht mehr durch, sondern Stehhöhe unter Deck ist gefragt. Das ist nachvollziehbar, doch wir werden ihn und seine wechselnden Mitsegler vermissen.

Als alle abgereist sind, die Boote aufgeräumt und betankt, beginnt das Nächste: Das Folkeboot-Treffen 2024!



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