Paulas Törnberichte nicolas thon: fotografie -schreiben - segeln
home fotos
texte
segeln über mich kontakt & impressum

zurück zur Übersicht

Fockausbaumerei

Ich mag Probleme. Manche, wie einschlafender Wind und alte Welle lassen sich mit dem Fockausbaumer lösen. Hauptsächlich mag ich Lösungen: Kleine, kreative Ideen, an denen ich mich erfreuen kann. Wenn gar kein Problem jemals aufträte,  liefe ständig alles nach Plan und wäre total langweilig. Im vollen Hafen von Sejerø müssen wir unsere eigenen Liegeplätze basteln, dazu brauchen wir Fenderbretter - und ich schnitze sie aus einer Einwegpalette aus dem Müll der Fischer - perfekt. Beim Ablegen klemmt Paulas auf Slip gelegte Achterleine – und lässt sich von Bord aus mit dem Bootshaken befreien - super. Ein gelungener Törn trotz schwierigem Wetter ist mir wesentlich lieber als gedankenlos-unbefangenes Schönwettersegeln. Ja: Kein Problem ohne Lösung. Vor allem aber: Leider keine Lösung ohne Problem! Ein solches Problem wollte ich allerdings nicht herbeireden.

Juli 2025

…für das wir alle gemeinsam auch eine Lösung finden. Doch lasst uns von vorne beginnen: Wir liegen in Grenaa, das Schärenabenteuer liegt hinter uns, ich habe längst den Überblick verloren, was gestern und vorgestern los war, sondern konzentriere mich aufs Heute und Morgen. Ein neuer Trend schleicht sich nun ein: Segeln nur am Nachmittag. Ich genieße den Luxus, uns in relativ kurzen Schlägen die schönsten Orte recht frei aussuchen zu können. Zwei Wochen sind reichlich Zeit, um von Grenaa nach Svendborg zu kommen. Das Wetter der ersten Woche pendelt zwischen pustig und flautig, zwischen kühl und schwülheiß-gewittrig.

Samstagnachmittag sind die bisherigen Gäste abgereist, nach dem Regen zeigt sich die Sonne. Es pustet tüchtig aus Nordost – heute ist nur Bettenwechsel. Großes Hallo, die neue Gruppe trifft ein: Sandy und Dirk (Oliese) sowie Anja und Wolfgang kennen sich vom letzten Sommer. Sie haben ein paar Tage in Aarhus verbracht und sich zufällig im Restaurant wiedergetroffen. Finns Folkeboot-Begeisterung stammt aus diesem Frühjahr, recht spontan hat er die zwei Wochen noch gebucht und damit einen Crewwechsel so weit im Norden ermöglicht. Martha wird eine Woche in Grenaa bleiben, bevor bewährte Stammgäste sie nach Svendborg segeln.

Über Grenaa habe ich schon oft geschrieben, dass man hier eigentlich nicht hinwill und immer wieder hier landet, sich also besser mit dem Hafen anfreundet. Ich habe viele tolle Erinnerungen an ihn. Diesmal ist es eher nervig, und das liegt nicht an dem merklichen Schwell: Das Musikfestival am Strand beginnt frühnachmittags mit gnadenlosem Techno in unvorstellbarer Lautstärke. Und ich mahne die Gäste, mit dem restlichen Wasser in den Kanistern hauszuhalten und auf keinen Fall nachzufüllen. Ich habe die recht neuen Schläuche im Verdacht: Was aus ihnen rauskommt, riecht und schmeckt nach künstlichem Pfefferminzaroma. Der Siedepunkt des Zusatzes liegt etwas unter dem des Wassers, beim Kochen sprudelt und brodelt und schäumt es über. Kaffee und Hauptgericht schmecken eklig nach Pfefferminze. Das ist ein dicker Minuspunkt, die Musik hingegen wird zum Abend hin leiser und gefälliger.

Ein Nachteil Grenaas als Crewwechselort: Es gibt knapp dreißig Meilen nichts und nur eine sinnvolle Richtung, nämlich nach Süden. Dazu muss erstmal der Wind passen, und häufig läuft dort eine nordgehende Strömung. Sonntag wollen wir das angehen, aber noch nicht bei siebener Böen. Morgens beim Briefing ist draußen noch alles voller Schaumkronen, südlich des Hafens wirft sich die Brandung grimmig auf den Strand. Vom Wind her sind wir ab dreizehn Uhr im Limit. Dem Seegang geben wir eine extra Stunde Zeit, sich zu beruhigen. Es bleibt aber dabei, dass wir im Hafen die Segel setzen und dann rauskreuzen müssen. Ideal ist das nicht, bedeutet es doch, auf den ersten hundert Metern am meisten auf Zack zu sein, anstatt sich allmählich wieder an Bord einzugewöhnen. Ich hege ein gewisses Vertrauen in die Gäste. Wir lassen uns viel Zeit mit dem Ablegeprozedere, und dann kriegen es alle super hin.



Draußen erweckt es schnell den Anschein, dass wir zu lange gewartet haben. Die Welle ist moderat, doch bei auf einmal nur noch drei Windstärken klaut sie uns allen Druck aus den Segeln. Mit um die vier Knoten droht es ein zäher Dämmertörn zu werden. Nicht zum letzten Mal sind es die Fockausbaumer, die den Tag retten.

Bei nachlassendem Wind und reichlich Geschaukel in der alten Welle ist oft die ausgebaumte Fock das einzige Segel, das kontinuierlich steht. Das zeigt sich auch heute. Paula setzt den Trend und ist sofort erheblich schneller. Die Chartergäste folgen unserem Beispiel. Ganz risikofrei ist das Manöver nicht, vor allem einhand: Im Seegang läuft das Boot unweigerlich aus dem Kurs, darf aber nicht allzusehr anluven und auf keinen Fall halsen, während niemand am Ruder ist. Die drei heißen Tipps, die ich Finn vorher nicht gegeben habe, lauten: Vor dem Weg zum Vorschiff kurz warten und beobachten, wie das Boot giert und schlingert. Vor Ort immer im Dreieck stehen, das die Schotparten bilden. Bei Winddrehern Richtung Halbwind bewahrt dann ein Schrick auf die Schot die Fock vorm Einfallen. Muss man richtig tief segeln, ist das Einfallen der ausgebaumten Fock ein prima Indikator für die bevorstehende Halse.

Beinahe noch mehr als den Gästen vertraue ich allerdings der Prognose von DMI. Und richtig: Es kommt eine schöne Brise auf. Dass sie von Schauern hervorgerufen wird, die um uns herum lauern, habe ich nicht erwartet, sondern mit einem sonnigen Abend gerechnet. Doch wir nehmen das, wie es kommt – und haben gehörig Glück: Der Schauer über dem Kattegat zieht treuherzig neben uns her und weiter nach Samsø. Wir hingegen biegen ab und runden mit an die sechs Knoten die Halbinsel, die die Ebeltoft Vig vom Kattegat trennt. Zur vernünftigen Uhrzeit von neunzehn dreißig berge ich die Fock.

So weit ich mich erinnere und nachvollziehen kann, war ich mit Paula zweimal in Ebeltoft, und zwar im Abstand von zwei Tagen im Sommer 2009. Jeweils haben wir im Museumshafen bei der Fregatte Jylland gelegen. Jetzt haben wir uns für den Yachthafen entschieden, der auch für mich neu ist. Kurz vorm Einlaufen verrät ein kurzer Blick über die Mole: Da ist Abdeckung, innen an dem einen Steg liegen kleinere Segelboote, und zwischen ihnen sind Lücken – das dürfte alles genau für uns passen. Anlegen klappt super. Nur Frieda motort in den Hafen – für Finn ist die Idee von Hafenmanövern unter Segeln noch Neuland, er wird das hier tunlichst nach seiner Fasson machen. Das Ambiente ist gefällig, die Gruppe trifft sich zum Anlegebier nach einem überaus gelungenen ersten Segeltag.

Außer für das Museumsschiff ist die Kleinstadt Ebeltoft für seine alte Bausubstanz bekannt. Neben klassizistischen Bauten aus dem frühen 19. Jahrhundert, die auch für Kopenhagen so prägend sind, stehen hier jede Menge deutlich ältere Fachwerkhäuser. Das ist alles überaus sehenswert, ein Stadtbummel vorm Weitersegeln also Pflicht. Dirk und ich sind uns aber hinterher einig, dass die gepflegten Fassaden und belebten Gassen allzu sehr den Charakter eines leblosen Museumsdorfes erwecken. Die vielen Menschen sind allesamt Touristen. Es gibt Dutzende von Cafés und Boutiquen und Ständen mit Sonnenbrillen. Eine Bäckerei suchen wir vergebens. Die Jylland ist übrigens ein Segelschiff mit Dampfmaschine und hatte ihren - zumindest moralisch - wichtigsten Einsatz in der Schlacht von Helgoland 1964.

Ich bin trotzdem gut zufrieden mit dem kulturellen Rahmenprogramm und vor allem meinem shopping haul. Zuerst komme ich im Hafengelände an einem Bootsausrüster vorbei und besorge eine Handvoll 16-Ampere-Stecker, wie Martha und Salty sie bei Gelegenheit für ihre provisorisch geflickten Landstromkabel brauchen. Im Museum der Jylland – für eine sicherlich lohnende Besichtigung der Fregatte bleibt mal wieder keine Zeit - ergattere ich vier wundervolle Bücher: Eines über das Schiff. Dann ein dänisches, sehr fundiertes Buch über Bootsbau, von dem ich gewiss einiges lernen werde. Und schließlich zwei Kinderbücher der Reihe „Opa und Oma sind Segler“, die meine Sprachkenntnisse garantiert erheblich verbessern werden. Kinderbücher sind relativ leicht zu lesen, sie sind mir in der Regel ausgesprochen sympathisch, und hier dürfte ein Schwerpunkt auf dem relevanten Fachvokabular liegen.

Vor der ersten Lektüre legen wir allerdings zur Mittagszeit ab. Im Hafen ist es brütend heiß, draußen weht ein schöner Wind, der hoffentlich die ganze Strecke über halten wird. Versprochen habe ich einen der schönsten Häfen Dänemarks. Dirk hat sich vor der Reise auf google earth alles angeguckt, was es hier so Interessantes gibt, und äußert eine Vermutung: „Erinnert mich das an ein Kaninchen?“ Ich brauche einen Moment, bis der Groschen fällt. „Nein, wir fahren nicht nach Bugs Bunny“, sage ich. Aber natürlich, er hat ja völlig Recht, Langør bedeutete Langohr, und die beiden Zipfel nördlich und südlich der beliebten Ankerbucht sehen auf der Seekarte aus wie die Löffel eines Hasen.

Wir haben nicht vor, dort zu ankern, wenn keine halbe Seemeile weiter ein wunderschöner Hafen ist. Als Option ist die Bucht beruhigend für den Fall, dass der Hafen überfüllt ist. Erwarten tue ich das nicht: Grenaa war nicht voll, Ebeltoft war nicht voll, wir hätten durchaus auch stadtnah bei der Jylland liegen können. Mir scheint, der durchwachsene Sommer hält Viele vom Segeln ab, oder jedenfalls von Abstechern so weit nach Norden. Zunächst müssen wir die zwanzig Meilen nach Süden aber schaffen. Das läuft anfangs grandios, bis sich direkt vor uns zwei der Katamaran-Schnellfähren begegnen, die Odden auf Sjælland mit Aarhus verbinden. Sie pflügen sich mit technokratischer Rücksichtslosigkeit nicht etwa nur durch eine Ansammlung von Wassermolekülen - sondern durch ein Ökosystem mit Fischen, Mikroorganismen, Seegras und vielem mehr, das hier alles im Halbstundentakt wie im Mixer geschreddert wird. Es wirkt so, als würde selbst der Wind geschreddert – plötzlich ist er Weg, und wir schaukeln mit zwei Knoten Restfahrt in der Dünung.

Vielleicht liegt es nicht ausschließlich an den Fähren, vielleicht stimmt einfach die Prognose, dass es zwischenzeitig ein bisschen mau wird. Paula nutzt die Gelegenheit zu einem Trick. Frieda und Oli sind ein ganzes Stück voraus. Jetzt fallen wir ab, bis wir die Fock ausbaumen können und damit ein Segel haben, dass im Gegeige kontinuierlich steht. Später luven wir unausgebaumt an, um die Kursänderung auszugleichen, und haben damit per se einen schnelleren Kurs. Im Ergebnis läuft Paula als Erste in den wunderschönen Stevns Fjord ein, um unsere Liegeplätze auszukundschaften. Schon das Fernglas verrät zweierlei: In der Ankerbucht ist dicht-an-dicht. Der Hafen ist lange nicht voll. Woran ich das erkenne? Der südliche Steg hat beiderseits Liegeplätze. Wäre er voll, müsste da eine Doppelreihe Masten sein. Ist aber nicht. Letztlich finden wir alle Unterschlupf in zwei benachbarten Doppelboxen.

Langør auf Samsø gehört seit Jahren zu unserem Standardprogramm. Egal ob Fyn rund oder auf dem Weg nach Norden, fast jede Saison kommen wir hierher. Und ich kann gar nicht genug davon bekommen – der flache Stevns Fjord mit seinen vielen eigentümlich geformten Inselchen ist wirklich schön. Der Hafen ist gut ausgestattet und urgemütlich, die Stimmung immer entspannt und freundlich. Der Weg zum Klo mag weit sein, dafür ist die Badestelle ganz nah. Ohne Stadtbummel wären wir schneller angekommen, doch ich hatte auch nachmittags mit stetigerem Wind gerechnet. Immerhin sind wir angekommen, konnten es sogar genießen. „Sorry about that“, entschuldige ich mich für den trägen Segeltag.

Verkehrssprache Englisch – das machen wir vorwiegend, um Sandy nicht abzukoppeln. Ihre Muttersprache ist französisch bzw. wallonisch. Mit Dirk spricht sie hauptsächlich Niederländisch. Dirk kann ausgezeichnet Deutsch, aber beide haben auch perfektes Englisch im Gepäck. Für den Rest ist es eine willkommene Gelegenheit, ihre Kenntnisse zu entrosten. Was an Fachbegriffen beim Briefing nicht verstanden wird, übersetzen wir, ohne dass ein heilloses Sprachchaos dabei herauskommt.

Der Dienstag beginnt mit Flaute und Gewitterwarnung. Die Wetterlage ist interessant: Die Annäherung der Kaltfront wird uns zunächst einen passablen Südwest bescheren, der dann beim Frontdurchgang auf West dreht und ein wenig aufbrist. Während über Samsø, Jütland, Djursland und Sjælland Schauer und möglicherweise Gewitter sich austoben, wirkt offenbar Samsø als Barriere fürs Wettergeschehen: Östlich davon sehen wir in der Prognose - hoffentlich stimmt sie! - keinen Grund, nicht zu segeln. Kurz vor dreizehn Uhr setzt die schöne Brise aus Südwest ein, und wir legen ab. Dann allerdings treiben wir bei schwüler Hitze nur in der Strömung, die gleich darauf kentert und uns im leisen Lüftchen, das uns antreibt, sofort ausbremst. Das führt dazu, dass alle vier Boote dicht an dicht mal treiben, mal segeln, und ständig die Positionen wechseln in der Formation. Bei einem halben Knoten Fahrt von Boot zu Boot zu plaudern oder in einer Tour Fotos zu knipsen, ist ganz witzig.

Als dann Wind aufkommt, setzen wir das bei vier bis fünf Knoten einfach fort in einem flachen Gewässer, wo man durchaus festkommen kann. Oder miteinander kollidieren. Nicht zuletzt sind bei den Winddrehern und Kursänderungen auf etliche Fockausbaumermanöver gefragt, bei denen Frieda und Paula ohne Rudergänger immer mal deutlich aus dem Kurs laufen können. Doch alle sind auf Draht und sausen einfach bunt und kurzweilig durcheinander. Als wir zum ersten Mal am Fünftknoten kratzen, entfernen sich die Boote auf sichere Entfernungen voneinander und gehen auf Ostkurs. Weg T queren wir nördlich des Verkehrstrennungsgebietes mit knapp sieben Knoten über Grund.

Die Prognose stimmt: Kein Blitz, kein Donner. Der Schauer über Samsø verbleibt über Samsø. Der Schauer über Kalundborg hängt lange über Kalundborg. Er dehnt sich aus über Sejerø, entlang dessen leichter Regen fällt, doch die Sicht bleibt gut, und es kommen keinerlei ruppige Böen. Kurz nach fünf segeln Oli und Paula in den Hafen, und der Regen hört auf. Dabei überholt uns mit Vollgas eine dänische Yacht, die schon die ganze Zeit bei schönster achterlicher Brise motort ist und offenbar darauf hofft, statt uns den letzten freien Liegeplatz zu ergattern.

Auf Sejerø gibt es außer zwei Stegen mit Boxen jede Menge Längsseitsplätze. Schon von draußen war ersichtlich, dass da teilweise im Dreierpäckchen gelegen wird. Wir könnten uns separieren und jedes Boot für sich zu irgendwelchen Fremden ins Päckchen gehen, wo wir dann über den hohen Freibord raufklettern und über diverse Seezäune klettern müssten, um an Land zu kommen. Die Fremden könnten supernett sein – doch es gibt reichlich Gegenbeispiele. Für mich ist das alles keine Option. Bevor wir das machen, würde ich eher weitersegeln ins nahe Nekselø. Oder meinetwegen nach Kopenhagen. Oder ganz zurück nach Schweden. Doch das brauchen wir nicht, denn es gibt einen Joker.

Die Innenseite der Außenmole ist zum Steg ausgebaut bis auf Höhe der Bunkerpier gegenüber. Südlich davon halten Holzpfähle die Steinschüttung zusammen. Hier kann man zumindest mal erstmal einen Aufschießer fahren, das Boot festbinden und das restliche Tuch bergen. Und man kann auch längsseits an die Steinschüttungspfähle gehen mit der Bugspitze ans Stegende, wie Paula das nun macht. Oli legt sich direkt dahinter. Salty geht ins Päckchen, überlappend mit beiden Booten, so dass für Sandy und Dirk der Weg an Land über Salty und Paula führt. Frieda geht längsseits an Salty. Als wir das alles gut vertäut und abgefendert haben, bin ich nur mit einer Sache unzufrieden: Olis und Paulas Fender rutschen zwischen die Pfähle an der Steinschüttung. Bisweilen, zum Beispiel im Schraubenwasser der Fähre, schubbert die Scheuerleiste, und der Druck des ganzen Päckchens lastet darauf. Ich muss ja sowieso zum Hafengeldautomaten, also mache ich einen Spaziergang durch den schönen, gemütlichen, entspannten, großen Hafen.

Bei der Müllsammelstelle der Fischer finde ich, was ich suche: Eine Einwegpalette. Daraus bastele ich zwei Fenderbretter. Und schon liegen auch Oli und Paula bestens abgefendert und super geschützt im aufbrisenden Wind. Mir gefällt es sehr gut, unsere eigenen Liegeplätze selbst gebaut zu haben. Das Klettern auf den nassen, rutschigen Steinen hatte durchaus einen Touch von Schweden. Sejerø ist vor allem eine sehenswerte Insel. Paula und ich sind zum sechsten Mal zusammen hier: 2009 auf dem Weg von Odden nach Ebeltoft (es gab auf die Mütze). 2010 auf dem Rückweg vom ersten Ausflug in die Schären. Dann wieder 2018 mit den Charterbooten auf dem Weg nach Göteborg (es gab auf die Mütze). 2021 auf dem Weg zum Limfjord (es folgte eine Nachtfahrt nach Grenaa). Und schließlich 2022 vor den 56 gemütlichen Meilen direkt nach Anholt. Erstmals ist die Insel jetzt nicht pragmatische Durchgangsstation, sondern auserwähltes Ziel und östlichster Punkt unserer Reise.

Oder? Die Nachbarinsel Nekselø liegt noch eine Spur östlicher. Als das Gepuste am Nachmittag deutlich nachlässt, gönnen sich Paula, Salty und Frieda noch zwei schöne Stunden auf dem Wasser und segeln rüber. Oli bleibt zurück. Von Dirk und Sandy kenne ich schon das Bedürfnis, zwischendurch ureigenste Pläne zu schmieden, spontan zu entscheiden, und sich nicht die ganze Zeit einer Gruppe anzuhängen. Jetzt ist es wieder so weit, wir werden uns wiedersehen. Dirk ist erfahrener Segler und Segellehrer, er und Sandy ein eingespieltes Team – sie brauchen meine Unterstützung nicht. Dass sie sich überhaupt Flottillen anschließen, liegt eher daran, dass es ihnen einen größeren Radius erschließt – und dass wir einander so sympathisch sind.

Nekselø ist in Privatbesitz und schon im Vorbeisegeln wunderschön. Der Hafen ist miniklein, doch es gibt drei gute Gästeplätze an der Innenseite der Außenmole. Mitten in der Hauptsaison sind wir die einzigen Gäste. Vor drei Jahren hatte Ernst die Idee, Nekselø auszuprobieren, weil es uns zum Ende eines langen, anstrengenden Segeltages zwei Stunden sparte gegenüber Sejerø – und wir waren sehr angetan vom Hafen und der Insel. Zeit zur Erkundung hatten wir nicht. Wir haben sie auch diesmal nicht wirklich. Anja und Wolfgang unternehmen einen Dämmerspaziergang und zeigen sich beim Frühstück in der Morgensonne begeistert. Es ist alles klein und gemütlich hier. Es ließe sich bemängeln, dass knapp dreißig Euro Hafengeld happig sind angesichts dessen, was es hier nicht gibt: Kein Strom, keine Dusche, Plumpsklo zweihundert Meter entfernt an Land. Die Insulaner hätten aber auch jedes Recht zu sagen: Keine Gastlieger erwünscht. Der Steg, an dem wir liegen, musste gebaut und will unterhalten werden, und mit so wenigen Plätzen und seltenen Gastliegern soll das ja finanziell trotzdem irgendwie passen.

Ein richtig feiner Segeltag bringt uns die zweiunddreißig Meilen aus der Sejerø Bugt und über den Store Belt nach Korshavn an der Nordostspitze von Fyn. Einzig das Anlegen wird ein bisschen tricky: Die Plätze, in die man gegen den Wind anlegen würde, sind erwartungsgemäß belegt. Immerhin müssen wir nicht ankern, denn gegenüber am Mittelsteg sind noch reichlich freie Plätze. Die sind aber vor Topp und Takel anzulaufen. Ich berge das Groß, Paula segelt mit der Fock auf den Hafen zu. Weil noch zwanzig Sekunden Zeit sind, knote ich eilig Palsteks auf die Achterleinen - normalerweise bleiben die immer drauf, aber in Sejerø ging es nicht anders, als beide auf Slip zu legen. Salty bleibt uns auf den Fersen. Später werde ich bemängeln, dass sie uns so dicht gefolgt sind – erstmal gucken, was wir machen, und davon profitieren wäre besser gewesen, als uns beinahe ins Gehege zu kommen.

Früh nehme ich auch die Fock weg. Vier Windstärken von hinten schieben uns zügig hinein. Vollruder backbord, Vollruder steuerbord, nochmal von vorn – immerhin sind wir runter auf anderthalb Knoten. Vor uns eine freie Box, ich lege Ruder, Paula legt sich quer vor die Pfähle. Nun muss ich mir erstmal angucken, wie die arme Anja mit ihrer Vorleine die Fahrt aus Salty kriegt. Es muss klappen, es gibt keinen zweiten Versuch – und es klappt. Meine Kritik ist also keine Schelte, allenfalls ein Verbesserungsvorschlag. Frieda kommt ruhig und sicher an ihren Liegeplatz. Finn ist kein geübter Einhandsegler, gerät bisweilen in Hektik, doch er macht das auch jetzt wieder sehr gut. Nicht so gut ist einer meiner Palsteks. Paula läuft perfekt in die Box, ich habe die Leine zum Aufstoppen in der Hand - doch der Knoten geht auf, und der Vorsteven drückt gegen den Steg.

Wir gehen von einem oder zwei Hafentagen bei totaler Flaute aus, und somit reichlich Zeit zum Erkunden der Umgebung. Paula und ich sind zum neunten Mal zusammen in Korshavn, das darf wohl als „oft“ gelten. Der Naturhafen ist bemerkenswert für seine Strandwälle, Salzwiesen und lehmigen Steilküsten, vor allem entlang des Naturschutzgebietes Fyns Hoved. Jetzt allerdings beginne ich ihn auch mit schlechten Nachrichten zu verbinden. Im Schapp hat sich das Tape von der angebrochenen Reispackung gelöst. Vor dem Kochen muss ich erstmal alles ausräumen und die Körner zusammensammeln in der Hoffnung, noch eine sättigende Mahlzeit rauszukriegen. Während ich die Reiskatastrophe behebe, meldet sich das Telefon mit einer SMS. Sie kann nur von Oli kommen. Wir hatten gehofft uns hier zu treffen, und sie war nach frühem Auslaufen tatsächlich hier, doch Sandy und Dirk wollten bei der schönen Brise noch weitersegeln. Jetzt liegen sie bei Aebelø vor Anker – und melden ein gebrochenes Ruder.



Dass da ein solches Debakel lauert, war unter all den Antifoulingschichten nicht zu erkennen. Ironischerweise habe ich für den nächsten Winter eingeplant, alle Ruderblätter freizukratzen, zu begutachten und bei Bedarf aufzuarbeiten. Meistens bin ich mit solchen Aktionen dem altersbedingten Verschleiß ein gutes Stück voraus – aber wie wir sehen, nicht immer. Wie hilfreich ist da doch die Cleverness der Boote. Besonders Oli ist gut darin, sich für derartige Probleme einen möglichst günstigen Augenblick auszusuchen - wenn wir akzeptieren, dass diese Panne unvermeidbar war, ist genau jetzt der richtige Moment: Ohne Seegang geschützt im Lee der Insel. Fünf Meilen entfernt von einem Hafen, wo es einen Portalkran gibt und einen Baumarkt direkt am Wasser. Manche Crew wäre hilflos und geriete in Panik diese nicht. Dirk merkt, dass sich etwas komisch anfühlt, guckt nach, probiert dann herum, was noch möglich ist. Das Ruder hängt weiterhin zusammen und unterstützt Geradeausfahrt statt Vollkreisen. Unter Motor, der auch zum Steuern dient, läuft sie langsam nach Bogense.

Ich bin jetzt nicht mehr ganz so guter Dinge, obwohl nur ein bisschen Reis in den Ritzen der Bilge aufquillt, während eine ausreichende Menge inzwischen köchelt. Ich überbringe Finn, Wolfgang und Anja die schlechten Nachrichten: Wir müssen nach Bogense, einundzwanzig Meilen wahrscheinlich ohne Wind und mit Motor, Auslaufen um elf mit der vagen Hoffnung auf eine Thermikbrise unter Land. Kurz vor neun will ich mich schon ins Bett schleichen, doch die Nachbarn aus Odense laden mich ein auf ein Bier. Es werden mehrere daraus, und als ich nach unruhiger Nacht um sieben erwache, bin ich groggy. Es weht eine schöne Morgenbrise. Ich vergeude ungern schöne Morgenbrisen an Tagen mit knappem Wind. Außerdem lässt mir Olis Ruder keine Ruhe. Elf Uhr ist vereinbart. Kurz nach zehn legt Paula ab. Den Anderen erkläre ich die Strecke und den Zielhafen, dann überlasse ich sie ihrem eigenen Timing. Die schöne Morgenbrise hat auf West, also gegenan, gedreht. Wir segeln mit dreieinhalb Knoten erstmal latent in die falsche Richtung. Es ist aber wichtig, die Bucht zu queren, um in den Genuss eventueller Thermik zu kommen. Es gibt auch eine Gewitterwarnung, die werden sich aber eher über Land austoben.

Die Windrichtung wird nördlicher und nördlicher, günstiger und günstiger. Die Windgeschwindigkeit lässt nach. Die Brise dreht östlicher und östlicher, statt Kreuzen ist der Fockausbaumer gefragt. Wir gewöhnen uns daran, uns über zweieinhalb Knoten zu freuen und auch darüber, dass wir nie komplett stehenbleiben. Schweinswale fischen um uns herum, Frieda und Salty folgen uns in der Ferne, eine prächtige Cumulonimbuswolke entwickelt sich über Kalundborg und zieht südlich an uns vorbei Richtung Odense. Ich wäre jetzt gut zufrieden damit, die halbe Strecke gesegelt zu sein, bevor ich den Motor anreiße. Doch auf einmal kommen wir mit vier Knoten voran. Westlich von Aebelø mit Kurs auf den Hafen sind es sogar viereinhalb. Unser Gewitter ist inzwischen in Kolding angekommen, wir befinden uns auf seiner Rückseite.

Zwei Meilen vorm Hafen steht Paula im Wind. Es entwickelt sich daraus ein schwacher Westwind – na gut, dann eben halber Wind von der anderen Seite. Gegen achtzehn Uhr segeln Paula und eine dänische Bianca 28 nebeneinander in den Hafen. "Das geschieht nicht so viele Male“, rufe ich rüber, „dass zwei Boote gemeinsam in den Hafen segeln.“ Dirk und Sandy haben uns schon den Liegeplatz verraten und erwarten uns winkend. In Bogense war ich auch schon acht Jahre nicht mehr. Es ist ein schöner, gut ausgestatteter Hafen, aber darüber hinaus gibt es recht wenig Ort. Lobenswert sind unbedingt die inneren Stege mit begrenzter Wassertiefe, wo große Yachten keine Chance haben und zwischen den unvermeidlichen Motorbötchen einige Lücken bleiben. Es ist aber auch insgesamt nicht völlig voll. Von Boot zu Boot plaudernd, verbringen wir einen gechillten Abend.

Am Samstag steht dann aber ein strammes Alternativprogramm an: Eine provisorische Reparatur von Olis Ruder, das sie zumindest durch die Saison bringt. Gekrant wird erst wieder am Dienstag. So lange können wir nicht warten. Ich pumpe das Schlauchboot auf, um endlich den Schaden aus der Nähe zu begutachten. Es sieht schlimm aus: Offene Leimfugen, verbunden durch einen chaotischen Riss durchs morsche Holz, bis zum mittleren Ruderlager ein ganzes Stück unter der Wasserlinie.

Wir versuchen, das Heck mit reichlich Gewicht auf der Bugspitze aus dem Wasser zu krängen: Rettungsinsel, Außenborder, sechzig Liter Wasser in Kanistern, dazu Finn, Sandy, Wolfgang, Anja und im Wechsel Dirk und ich, während der andere im unruhig hin und her treibenden Schlauchboot probiert, was sich da machen lässt. Wir sind uns einig: Vom Schlauchboot aus nicht viel. Trotzdem ist es ein gutes Experiment, denn es bringt uns auf die Idee, die Slipbahn zu nutzen und Oli zu beachen. Mit dem ganzen Gewicht auf dem Bug ziehen wir sie schwungvoll rückwärts, bis sie festkommt. Es ist halbe Tide ablaufend bei einem Tidenhub von einem halben Meter – in den nächsten sechs Stunden haben wir gute Arbeitsbedingungen, in neun Stunden wird sie wieder schwimmen.

Als ich mit zwei breiten, festen, supergeilen Robinienbrettern aus dem Baumarkt zurückkehre, liegt das Ruder an einem schattigen Platz an Land – Dirk ist getaucht und hat unter Wasser das Schloss unter dem unteren Ruderlager demontiert. Wunderbar prima – wir können in Ruhe arbeiten. Oli hängt die ganze Zeit kopfüber auf der Slipbahn fest. Sie wirkt stoisch und voller Vertrauen. Vermutlich ist es so besser, als wenn sie am Kran hinge mit dem Feierabend des Hafenmeisters im Nacken. Von mir kennt sie es ja schon, dass ich sie und ihre Schwestern immer wieder flottkriege: Ausgerauschtes Großfall? Ausgerissene Mastgöhl? Leckage? Jedes Boot hatte schonmal solche Wehwehchen und konnte einen Tag später weitersegeln.

Diesmal habe ich gute Unterstützung: Dirk ist ein exzellenter Handwerker mit viel Holz- und noch mehr Segelerfahrung und guten Ideen. Doch alle machen mit, leisten ihren Beitrag, genießen das seltene Erlebnis: Sandy bohrt, Wolfgang sägt, Anja schraubt, Finn kocht Kaffee und fasst mit an, wo er gebraucht wird. Große Unternehmen zahlen viel Geld für Team-Events, wir erledigen diesen Punkt nebenbei. Eine junge Frau, die mit ihrem Freund nebenan ein Stahlschiff restauriert, bietet uns Werkzeug und Unterstützung an.

Als wir soweit fertig sind, ist das Ruder zwar mächtig schwer und hat nicht mehr ganz so ein stromlinienförmiges Profil wie vorher, doch es macht einen richtig soliden Eindruck. Finn und Dirk tragen es rüber zum Stahlschiff. Dort werden mal eben die Schraubenüberstände bündig geflext, dann hobeln wir eine Fase an unsere Aufdopplung, damit man künftig Ruder legen kann, ohne gleich gegen den Heckspiegel zu stoßen. Jetzt sind wir bereit für den großen Moment! Dirk und ich steigen in knietiefem Wasser auf die rutschige Slipbahn und balancieren das Ruder in die grobe Richtung seiner drei Lager. Die ersten Versuche funktionieren nicht, doch indem wir das mittlere Lager die zwei Umdrehungen lösen, die ich es vorher im Übereifer angezogen habe, bringen wir alle drei in Flucht – die Zapfen flutschen in die Löcher, der Einbau ist gelungen. Tauchend schraubt Dirk das Schloss fest, damit das Ruder nicht nach oben abhauen kann.

Wir schaffen es sogar, Oliese lange vor dem Hochwasser von der Slipbahn zu zerren und zum Liegeplatz zu verholen. Wir wissen noch nicht, was bei sechs Knoten sein wird, doch bei langsamer Fahrt im Hafen gebärdet sich alles wie ein ganz normales Folkeboot-Ruder – leichtgängig bis zu Vollausschlag, man könnte wriggen, das Boot folgt gierig den Impulsen. Dies wird Fahrt kosten, noch mehr, wenn erst die Seepocken vom unbehandelten Holz Besitz ergreifen, und ich werde es jede Woche checken, bevor ich es im Herbst zum Sperrmüll gebe und ein neues Ruder baue. Ich habe schon alles Mögliche gebaut, Vor- und Schiebeluks, Niedergangstüren und Achterdeckschubladen, noch nie ein Ruder. Für jetzt zählt: Gemeinsam Schritt für Schritt ans Ziel, auch das unkundigste Auge findet ein Detail, an das sonst niemand gedacht hat, jeder hat eine Aufgabe, Menschen arbeiten zusammen, und im Ergebnis eine gelungene Problemlösung – ich habe mir diesen Tag so nicht gewünscht, doch ich möchte ihn nicht missen. Familie zutraulicher Schwan ist ganz meiner Meinung – und macht es sich mit vier Küken auf der Sliprampe bequem. Ich muss aber aufhören zu schreiben. Mir scheint, die Gäste haben den Grill in Gang.




Grillen war super, Stimmung ist bestens. Wir verlagern nun das Segeln auf den Vormittag: Auslaufen um neun Uhr dreißig zum großen Test fürs reparierte Ruder. Kommt es bei viel Fahrt zu Vibrationen, bei Schräglage erhöhten Ruderdruck? Es wird Oli langsamer machen, doch ist es erträglich, oder bleibt sie fast stehen? Vielleicht sollte ich mich erstmal darauf konzentrieren, wo ich Paula hinsteuere. Die roten Pfähle im Hafen auslaufend an Backbord zu lassen, ist zum Beispiel keine gute Idee. Der Fehler lässt sich kurz vorm Festkommen gerade noch so mit einem Kringel korrigieren. Draußen dann bleibt Olis Vorsprung die ganze Strecke über in etwa gleich – ein gutes Zeichen. Wir haben Geschwindigkeiten zwischen einem und sechs Knoten sowie ein paar Drücker mit mächtig Schräglage, ein perfektes Testszenario also. Dirk wird berichten, dass er überhaupt keinen Unterschied zu vorher gespürt hat.

Ich habe ja inzwischen außer Kolding auch Fredericia ausprobiert und stelle fest: Middelfart ist die sehenswerte der drei Städte. Ich habe auch alle vier Häfen ausprobiert, die es in Middelfart gibt – und Kongebro ist mit Abstand der reizvollste. Der Nyhavn ist zentral, laut und schrecklich. Die Marina ist von A bis Z komplett indiskutabel. Der Gamle Havn ist stadtnah und urig, doch durch Schwell und Ausflugsdampfer ein wenig unruhig. Vor allem ist er eher für größere Wasserfahrzeuge geeignet, vom Deck eines Folkebootes müsste man mächtig klettern, um an Land zu kommen. Der Kongebro Havn ist nicht ohne Nachteile: Der Landstrom ist zu schwach abgesichert für einen Wasserkocher – aber ich kriege meinen Kaffee ja auch anders heiß. Man hört die Züge über die Brücke rumpeln - die nachts aber kaum noch verkehren. Der Weg zum exzellent sortieren Kvickly ist lang – doch es ist ein schöner schattiger Weg durch den Wald und die historische Altstadt. Es gibt nur ganz wenige freie Liegeplätze – doch bisher sind wir immer etwas geworden, egal mit wie vielen Booten, während die großen Yachten per se draußen bleiben.

In Middelfart ist die Strömung immer ein großes Thema, selbst jetzt, wo sie gerade erst einsetzt oder gekentert ist und jedenfalls nicht dazu führt, dass man irgendwo komplett stehenbleibt. Um halb eins sind wir vorm Kongebro Havn. Einlaufen unter Segeln ist hier potenziell immer ein bisschen tricky. Wir segeln entlang der Außenmole, bei böigem Rückenwind und mit der Strömung. Dann gebe ich einmal Vollruderlage um den Molenkopf herum in den Aufschießer - total einfach, wenn man es richtig anfängt. Wir treffen genau zur richtigen Zeit ein, kurz nach uns bevölkern mehrere Boote den Hafen, ohne einen Liegeplatz zu finden. Das liegt allerdings hauptsächlich daran, dass es ab einer gewissen Länge und Breite hier sowieso keinen passenden Platz gibt, egal wie leer der Hafen ist. Eine halbe Stunde mühen wir uns mit der neuen, supermodernen, leider vorne und hinten nicht richtig funktionierenden Bezahlapp ab – die ist nun ein echter Nachteil des Hafens, doch besser, ich gewöhne mich an diesen Scheiß. Dann ist Zeit für Landgang. Oliese segelt nachmittags weiter zum Haderslev Fjord. Dirk und Sandy machen sowas: Anlegen, gucken, pausieren - und dann wieder ablegen. Ich wünschte, ich könnte das. Mein gefühlter Segeltag ist beendet, wenn das geplante Ziel erreicht ist. Nach Sonnenuntergang stehen Finn und ich noch lange an der Balustrade und genießen den Blick aufs direkt vor uns beginnende Wasser.

Montagmorgen gesteht Finn, dass er auch so gerne mal unter Segeln anlegen würde, sich bisher aber nicht traut. Hier hat er angesichts der Strömung im letzten Moment gescheut. Ich vertröste ihn auf die folgenden Tage. Ab heute ist das Wetter enorm schwierig einzuschätzen. Man merkt das schnell daran, dass sich dreimal täglich die Prognose für die nächsten Tage komplett ändert. Für heute erwarten wir einen schönen Südost zu Beginn, gegen Mittag dann etwas Regen (oder auch nicht), sowie einen Dreher auf Südwest, der relativ schnell von vier auf zwei Windstärken runtergehen und irgendwann weitgehend einschlafen wird. Wir beschließen, es zu nehmen, wie es kommt. Über Nacht hat es ein bisschen geregnet, ohne entscheidend abzukühlen. Um neun laufen wir aus. Es ist recht böig mit schwachem Mittelwind aus Südost. Im Südteil von Snævringen müssen wir kreuzen. Die Strömung an der Festlandseite geht nordwärts. Zwischen Femø und mindestens der Mitte des Fjordes zeugt eine steile, kabbelige Welle von einer südgehenden Strömung. Salty fährt die Schläge aus, bis es flach wird, und verliert ihren zehnminütigen Vorsprung, denn Paula und Frieda halten sich durchweg im Gekabbel. An der grünen Tonne südlich von Femø werden die Karten neu gemischt.

Stampfige Welle, recht wenig Wind – ich bin überrascht, dass wir dennoch mit um die viereinhalb Knoten vorankommen, wenngleich es kein Anlieger ist. Wir landen gegen Mittag in der Hejlsminde Bugt. Dort wollen wir zwar nicht zwingend hin, aber unser Ziel ist nicht mehr allzu weit, und vor allem können wir von hier aus mit dem zu erwartenden Südwest etwas anfangen. Es sieht nach Regen aus, ich ziehe das Ölzeug über. Prompt fallen ein paar Tropfen, danach bleiben wir für fünf Minuten stehen, bevor wir mit fünf Knoten auf die nächste Kardinaltonne zusegeln. Mir scheint übrigens, Hejlsminde – so dicht war ich noch nie ran - wäre in Zukunft durchaus einen Besuch wert. Eine Stunde später erreichen wir die Einfahrt in den Haderslev Fjord. Stagodde ist schon zu sehen. Es ist auch zu sehen, dass Oli ausläuft Richtung Haderslev. Und dass wir mit dem letzten Schluck stetigen Windes hier angekommen sind. Eine Meile Kreuz im engen Fahrwasser dauert fast eine Stunde, doch es ist keine Frage, dass wir das ohne Motor durchziehen. Finn bekommt sein Anlegen unter Segeln – und ist nicht gut zufrieden, war es ohne jeglichen Wind auf den letzten zehn Metern wirklich keine lehrreiche Herausforderung. Immerhin – Friedas Motor hat heute geschwiegen. Es fällt leichter Regen, wir klaren auf und verschwinden unter den Kuchenbuden.

Ich krieche erstmal in die Koje. Den einzigen segelfreien Tag der bisherigen Woche haben wir mit der Ruderreparatur verbraucht. Die Hitze hat Kraft gekostet. Die langen Klönschnackabende waren schön, aber unvernünftig – ich bin müde und ausgepowert. Und weil wir so oft erst spät gesegelt sind, fiel die geliebte Mittagsstunde bisher flach. Heute genieße ich sie zwei Stunden lang, und als ich wieder zu mir komme, legt Oli an. „Wir haben einen Spaziergang gemacht“, sagt Dirk. Ich finde das vollkommen schlüssig: Einen Waldspaziergang zu dritt. Weil Oli auf Waldwegen nicht gut vorankommt (die Sliprampe neulich war ja schon mühsam), nehmen Sandy und Dirk Rücksicht und benutzen lieber Olis bevorzugtes Medium für den kleinen Ausflug. Nach zwei Biegungen sind sie bei der Kirche umgekehrt. Wir machen es uns auf dem Steg bequem und albern herum. Bier, Rotwein und Kartoffelsticks werden gereicht. Finn setzt sich nach dem Joggen dazu, Wolfgang und Anja genießen ein paar Schwimmzüge im Fjord.

Manchmal hört man in der Ferne jubelnde Kinder, dort findet ein christliches Sommercamp statt, an dem Finn vorbeigejoggt ist. Ansonsten haben wir diesen friedlichen Platz komplett für uns. Stagodde ist perfektes Ankern am Steg. Warum hier kaum jemand anlegt, ist mir ein Rätsel, doch es soll mir recht sein – nur zu, bleibt weit weg von hier, drängelt euch in Aarøsund und auf Aarø, motort den ganzen Weg nach Haderslev oder ärgert euch im entsetzlichen Assens. Schon das Bezahlen des Hafengeldes ist in zwei Minuten erledigt und pure Erholung: Man geht an Land, steckt siebzehn Euro in einen bereitliegenden Umschlag, und auf der Schutzfolie des Klebestreifens steht handschriftlich der Toilettencode.

Freizeitkapitäne neigen im Allgemeinen dazu, wahlweise übers Wetter zu schimpfen – oder über die angeblich niemals korrekte Vorhersage. Um zu verstehen, warum wir momentan dreimal täglich komplett unterschiedliche Prognosen für den jeweiligen Ort aufgetischt bekommen, muss man nicht Meterorologie studieren, sondern nur einen Blick auf die Wetterlage werfen. In der Regel zieht ein Tiefdruckgebiet ostwärts, und die Fronten schwenken um es herum. Die mit ihnen verbundenen Wolken, der Regen, die Böen überqueren jeden Ort recht zügig. Das aktuelle Tief zieht allerdings langsam nach Nordwesten. Dadurch ist die Front stationär. Wo sie verharrt, hängt von der genauen Position und Bahn des Tiefdruckkerns ab, und da hat wohl lange jeder Modelldurchlauf zu einem anderen Ergebnis geführt.

So hieß es Sonntagmorgen: Dienstag überall Dauerregen und mäßiger Nordost. Sonntagabend: Dauerregen in Middelfart und nördlich davon, mäßiger Nordost. Seit Montagabend wissen wir: Das Tief zieht von Polen nach Sjælland, die Front verläuft in einem Bogen über Rügen, Lolland, Fyn und Midtjylland. Böigen, richtig ruppigen Wind gibt es im Haderslev Fjord erst gegen Abend. Dafür haben wir Dauerregen in ganz Dänemark, außer in Nordjütland. Kopenhagen bleibt lange trocken, bekommt ab dem späten Nachmittag aber zuerst den richtig heftigen Regen ab, der in der Nacht auch zu uns ziehen wird. Die Experten erwarten lokal Niederschläge, die dem Doppelten eines durchschnittlichen Juli entsprechen – also zweimal die Regenmenge des ganzen Monats in einer einzigen Nacht. Vom Wind her spricht nichts gegen Segeln. Im leichten Regen des Montagabend sind die Gäste noch recht motiviert, einen Ausflug in den Haderslev Fjord zu machen und dann wieder nach Stagodde zu kommen. Dienstag spricht niemand mehr davon. Ich finde, man kann auch mal einen Tag unter der Kuchenbude verbringen, sofern genug Proviant und Lektüre oder sonstige Beschäftigung an Bord ist.

Am Morgen nach einer etwas schaukeligen Nacht weht immer noch ein frischer Nordwind, der das Ablegen etwas herausfordernder macht, uns aber zügig über den Kleinen Belt schiebt. Die Traditionssegler-Regatta Fyn Rundt bietet auf ihrem Weg von Assens nach Faaborg für eine attraktive Kulisse, zumal sie im einzigen Streifen Sonnenlicht weit und breit unterwegs ist. Uns wieder ins Gebiet der typischerweise überfüllten Häfen zu begeben, ist nun zum Ende der Reise hin unvermeidlich. Wir haben uns für Dyreborg entschieden. Dort ist es genauso hyggeligt wie in Stagodde. Freie Plätze für uns alle erwarte ich im Hafen nicht – es gibt sowieso nur ein bis zwei Gästeplätze. Sowohl beim heutigen Nord als auch Donnerstag früh bei schwachem Südwest können wir aber gut in zwei Päckchen an der Außenmole liegen, wenn wir gelegentlichen Fährschwell tolerieren. Schon wieder mit dem letzten Schluck Wind segelt Paula um Knolden herum und zum Hafen.

Martha legt als erste an. Sie hat es - Hut ab! - in einer Woche weniger Zeit von Grenaa geschafft und sich in Middelfart mit Liv getroffen. Gestern im großen Regen sind sie nach Aarø gesegelt, ganz in unsere Nähe. Für heute sind wir sechs Boote, nicht nur vier. Es gibt viel zu erzählen, der Abend wird lang. Donnerstagmorgen – die Tradis tuckern vorbei zum Regattastart bei Lyø - schaffe ich es gerade noch pünktlich zum Briefing, aber als einziges Boot ist Paula noch nicht klar zum Auslaufen. Vielleicht spielt das keine Rolle. Laut Prognose haben wir gerade den besten Wind des Tages, ab mittags dann Flaute und für den Nachmittag Gewitterwarnung. Von einzelnen Kräuselfeldern abgesehen ist es aber weitgehend windstill – viel wird da nicht gehen, ganz bestimmt nicht der mal angedachte Ankerplatz in fünfzehn Meilen Entfernung. Ich zeige nach Osten. Korshavn ist zumindest zu erahnen.

Wir treiben, segeln, treiben und segeln. Zweimal kommt für eine Viertelstunde ein ernsthaftes Brischen, das bringt uns voran. Die Traditionssegler haben lange gestanden, jetzt bewegen sie sich. Ich freue mich auf die Brise, bis ich sehe, dass die meisten die Vorsegel geborgen haben - da laufen die Diesel, die Wettfahrt ist abgesagt. Geduldig treiben wir weiter. Auf die letzte Meile wird es eine Kreuz bei Windstärke drei. Oli segelt noch weiter nach Drejø, wir anderen sind zufrieden mit dem Tageswerk. Fünf Meilen in fünf Stunden, kein Boot hat den Motor benutzt. Auch nicht Finn, obwohl es diesmal wirklich anspruchsvoll war, in den engen Hafen zu segeln und auf den Punkt das Groß zu bergen. Als es von Fyn her gewaltig donnert, gehen überall in der Umgebung die Segel runter, und der Hafen füllt sich mit Booten auf der Flucht vor dem Unwetter. Ich denke mir gar nichts dabei, aber Finn fällt es sofort auf: In diesem Hafen gibt es nur kleine Boote. Zwei IFs und ein weiteres Folkeboot gehören dazu. Jeder hilft jedem beim Anlegen, die Stimmung ist entspannt. Das Unwetter bleibt aus. Mit dem tollen Blick aufs Wasser ist es ein würdiger letzter Abend.

Insgesamt sechs Wochen Sommerreise gehen für die Boote und mich zu Ende. Jetzt nur noch rüber nach Thurø - was bei Nordwest 3-4 kein erwähnenswertes Thema gewesen wäre. Doch wer vierzehn Meilen Geradeaussegeln als Herausforderung empfindet, sollte neu darüber nachdenken! Nach durchaus anspruchsvollem Ablegen schwächelt die Morgenbrise frühzeitig, was dazu führt, dass wir die günstige Tide im Svendborg Sund verpassen. Mit zwei Beaufort, die ständig um Halbwind herum pendeln, ist es gegen die Strömung eine echte Herausforderung, bei reichlich Verkehr nicht nur voranzukommen, sondern vor allem die Brücke zu passieren. Der Fockausbaumer macht den Unterschied, auch wenn ich ihn wegen der vielen Winddreher mehrfach ausbringe und wieder einhole und die meiste Zeit die Fockschot weit aufmache, um trotz Ausbaumer Höhe laufen zu können. Im Vergleich zu allen anderen Booten ist Paula superschnell, wenngleich wir kaum am Drittknoten kratzen.

Erst als wir mit 1,6 Knoten über Grund in Lee an Salty vorbeirauschen, kommt auch Wolfgang auf die Idee des Ausbaumens. Direkt vor und in der Brücke ist die Strömung besonders massiv, Paula wird (noch) langsamer. Salty kommt auf und klaut uns den Wind. Gegenverkehr haben wir auch – aber Paula segelt stoisch weiter und fährt mit der nächsten Bö Salty wieder davon. Zwischen Svendborg und Thurø kommt uns dann auch noch das komplette Regattafeld von Fyn rundt entgegen, durch das wir uns auf der Suche nach besserem Wind durchschlängeln. Die Boote der Schaulustigen, die sich nur aufs Fotografieren konzentrieren, sind eine weitere Herausforderung.

Dieser kurzweilige Segeltag – mit reichlich Gehirnschmalz, viel Lauferei und drei Stunden vollster Konzentration – ist ein würdiger Abschluss. In Thurø belegen wir unsere Lieblingsplätze rund um die Badeplattform und fühlen uns gleich zu Hause. Dirk und Sandy schwärmen von Hjortø, wo Oliese die Nacht verbracht hat (um sich eingangs des Svendborg Sunds wieder in die Flottille einzureihen). Annette und Martin sind zu Recht stolz darauf, den einwöchigen Kraftakt bestens gelaunt bewältigt zu haben. Finn ist besonders happy: Nicht nur war es sein dritter Tag in Folge ohne Motor. Bei zu dem Zeitpunkt noch richtig viel Wind hat er Frieda wunderbar abgelegt und aus dem Hafen gesegelt. Der Aufschießer in Thurø war völlig souverän. Und er berichtet, heute habe es sich richtig sicher und gut und vertraut angefühlt.

Frieda findet: Ist ein schönes Schlusswort.

weiter: Sauna is bad!
zurück: Goldmedaille und Juwel

** Die vier Bilder von der Ruderreparatur hat Sandy mit Dirks Kamera gemacht und sie mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt - ich hatte keine Ruhe, selbst zu fotografieren **