Paulas Törnberichte | ||||||
Im
Sommer ist Nacktbaden verboten
Ich finde, man muss auch mal eine Insel komplett umrunden. Dieses Jahr
ist das bisher zu kurz gekommen, es fehlten immer diverse Meilen, um
den Kringel zu schließen. Jetzt, auf der zweiten Etappe
Sommerreise, wollen wir es angehen: Die Insel nicht nur runden, sondern
die herrlichen Kreidefelsen sowohl von See als auch beim Landgang
genießen. Ob das klappt? Die Witterung bleibt
unbeständig – Gehirnschmalz ist gefragt.
Juli 2024
Als
grobe Richtung finde ich das Smålands Fahrwasser naheliegend.
Zu
Beginn werden wir mit kräftigem Westwind gut vorankommen, den
Rückweg werden wir in kürzeren Schlägen gut
schaffen
– wenn nicht Starkwind und Westwind abwechseln, sondern wir
auch
mal eine andere Windrichtung bekommen. Hannes und Simone waren letztes
Jahr mit Martha dabei, als wir es entgegen jeglicher Wahrscheinlichkeit
gegen den Wind pünktlich von Simrishamn nach Svendborg
schafften.
Segeln muss ich ihnen nicht beibringen, aber eine Kreuz bei weniger als
sechs Windstärken oder den Einsatz des Fockausbaumers bei mehr
als
einer würden sie bestimmt begrüßen. Sie
kennen die
Gegend, die ich ausgewählt habe, vom letzten Jahr. Aber da
sind
einige sehenswerte Orte aus Zeitgründen liegengeblieben, die
wir
gerne nachholen – ich möchte ja
Stammgästen gerne
immer wieder Neues bieten, um die Spannung hochzuhalten. Und
wenn es klappt, ist Møns
Klint nicht zu toppen.
Wolfgang
und Anja sind für dies alles offen. Sie können als
Folkeboot- und Ostsee-unerfahren gelten, waren letzten Herbst zum
ersten Mal dabei, als wir von Svendborg an die Schlei
zurückkehrten. Salty stellt sich gerne für ihre neuen
Abenteuer zur Verfügung. Sandy und Dirk haben schon mehrfach
gechartert. Die Belgier sind experimentierfreudig wie ich, kommen dabei
auch mal fest, aber Oli hat sie fest in ihr Herz geschlossen. Sie sind
zunächst nicht sicher, ob sie sich der Flottille
anschließen
oder ihr eigenes Ding machen. Sie wählen schließlich
einen
gelungenen Kompromiss: Als sich der Samstag als Anreise- und
Einweisungstag erweist, segeln sie schonmal ein Stück voraus,
um
uns später wiederzutreffen. Wolfgang und Anja nutzen den
mäßigen Wind zu einer Übungsrunde in der
Lunkebugt.
Hannes und Simone sitzen da noch im Flieger nach Kopenhagen und treffen
erst abends ein. Das gibt mir und Frieda genug Zeit zu einer
gründlichen Einweisung für Martin. Annette liegt
infolge
einer Infektion nach einem Behandlungsfehler noch im Krankenhaus und
kommt Dienstag nach, bis dahin ist ihr Segelpartner einhand unterwegs.
Hat er noch nie gemacht, aber er traut es sich zu – und ich
merke
gleich: Er kriegt das hin.
Ich
finde, wir haben den Tag ausgezeichnet genutzt. Sonntag geht die
Reise dann für alle richtig los. Und zwar bei Südwest
4
Böen 5-6 - kein Schönwettersegeln unter dem
Cumulus-durchtränkten Himmel. Wir kreuzen aus dem
Thurø
Bund, sausen hoch am Wind in die Lunke Bugt und fallen ab. Vorm Wind
geht es zum Smørstakke Løb vor Lohals und weiter
zur
Nordspitze Langelands, bevor wir uns dem nächsten
Programmpunkt
widmen: Weg T. Ein nordgehender Frachter ist schon durch, zwei
südgehende beschäftigen uns. Hinter dem Heck des
zweiten
gehen wir durch. Wind und Seegang sind beträchtlich, und im
Omø Sund müssen wir vorübergehend
ordentlich Höhe
laufen. Alle vier Boote sind dicht beieinander – toll! -und
Oli
meldet sich aus Sakskøbing. Auch toll.
Die
Omø-Fähre kommt auf. Ich vermute, sie wird die
Betonnung ausfahren, während wir die Abkürzung auf
vier
Metern Tiefe nehmen. Wir fallen ab und kreuzen rechtzeitig den Bug der
Fähre. Hannes denkt das Gleiche und folgt uns – doch
die
Fähre hält beharrlich auf uns zu! Simone kommt es vor
wie in
einem Horrorfilm, in dem das gruselige Monster nicht
lockerlässt,
sondern dem panisch Flüchtenden auf den Fersen bleibt. Nachdem
die
Fähre überholt hat, wird ihre Anwesenheit zum
Vorteil: Wir
segeln ihr einfach hinterher in dem Wissen, dass es dort auch
für
uns tief genug ist. Beim Anlegen zeigt sich, dass sich schon wieder so
ein benzinsparendes Szenario abzeichnet wie mit der letzten Gruppe: Aus
unterschiedlichen Gründen kommen alle mehr oder weniger
souverän segelnd an ihren Liegeplatz. Nach dem Aufklaren gehen
wir
Fisch essen im Restaurant.
Das
Auslaufen am Montag – zwölf Uhr - ist bewusst
getimt:
Zu Beginn haben wir noch sechser Böen, im Laufe des Tages
nimmt
der Südwest kontinuierlich ab und dreht abends über
Nord auf
Ost. Unser Ziel ist Skåninge Bro an der Nordseite von
Bogø. Ich war da selbst noch nie, und der Hafen ist dem
NV-Verlag keine Erwähnung im Hafenhandbuch wert, aber es ist
offensichtlich, dass wir da außen liegen werden und es nur
bei
ruhigem Wetter oder ablandiger Richtung kein Geschaukel gibt. Wir
müssen also die Strecke schaffen, ohne zu früh
– bei
mordsmäßig auflandigem Wind – ans Ziel zu
kommen,
wollen aber nicht zu spät – nach Flaute und Kreuzen
eintreffen. Deshalb nehmen wir die ruppingen Böen zu Beginn in
Kauf.
Es
ist ein bemerkenswerter Segeltag. Zunächst gibt es neben
reichlich Speed und prächtiger Welle von der Seite jede Stunde
eine Kardinaltonne zu sehen als Indiz, dass wir auf dem richtigen Kurs
sind. An der Størstrøm Bro ist der Wind schon
erheblich
ruhiger. Westlich der bröckelnden alten Brücke ist
eine neue
im Bau als Teil der künftigen Fehmarnbelt-Querung. Man segelt
nicht täglich durch eine Brückenbaustelle - es ist
durchaus
aufregend. Hinter der alten Brücke geht es über
flaches
Terrain zu einer weiteren Brücke, der zwischen
Sjælland und
Bogø – wir sind angekommen im Revier mit den
vielen
Brücken. Der Wind hält, Oli erwartet uns schon.
Ihre
Schwestern folgen genau den Anweisungen aus dem Briefing: Hinter
der Brücke sofort anluven auf Südkurs, Wassertiefe
ignorieren, bis es wirklich tief wird (knapp zehn statt gut zwei
Meter), dann der Rinne folgend abfallen und zum Hafen hinsegeln. Diese
tiefe Rinne in flachem Wasser war früher durchgängig
segelbar, aber dann wurde diese Brücke gebaut, und es ist im
Grunde nur eine halbe Brücke: Bogø ist recht flach,
auf
Sjælland trifft die Brücke auf eine
Steilküste. Der
höchste Punkt der Brücke ist also nicht in der Mitte,
sondern
gleich am nördlichen Ufer – und dort befindet sich
auch die
betonnte Durchfahrt.
Vorläufig
ist es noch recht schaukelig, doch abends beruhigt
sich die Welle. Wir sind sozusagen an die Badestelle gesegelt und
umgeben von plantschenden Kindern und schwimmenden älteren
Damen.
Die Gäste schließen sich da gerne an. Ansonsten
befinden wir
uns mitten im Grünen und haben alles, was wir brauchen: Kein
Landstrom heute, kein Supermarkt und auch kein Restaurant, aber
dafür Ruhe und Frieden. Hannes amüsiert sich
über ein
Hinweisschild: Nacktbaden ist im Sommer verboten! Das kann man
unterschiedlich interpretieren: Im Winter wäre es erlaubt?
Oder
bezieht sich „Sommer“ vorwiegend auf die
Ferienzeit, wenn
viele Kinder anwesend sind, die sich in Anwesenheit fremder, nackter
Erwachsener unwohl fühlen könnten? Zum Glück
haben alle
ihre Badesachen mitgebracht.
Dienstag
müssenwir
weiter.
Nieselregen und ein schwacher
Ostwind laden nicht zwingend dazu ein, nach Osten zu segeln. Doch
mittags, nein, nachmittags, oder vielleicht auch erst abends, wird es
gewittrig mit kräftigen Böen aus Südwest
– dann
wird es hier wieder schaukelig. Außerdem reist Annette heute
an.
Bogø ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln eher
mühsam
zu erreichen, und sie hat nun Bahn und Bus nach Stege gebucht, also
sollen wir da auch hin. Zunächst hoffen wir auf einen
zeitigen Winddreher vor den Gewittern, doch er
verspätet und
verschiebt
sich, also laufen wir aus und kreuzen. Das ist nicht ganz trivial
zwischen Bogø und Tærø, wo es
nördlich und
südlich der erstaunlich tiefen Rinne enorm flach wird. Viel
kritischer scheint uns aber der anschließende Teil, der uns
östlich von Tærø wieder zum
Hauptfahrwasser bringen
soll: Spärlich betonnt und kriminell flach. Selbst im
Fahrwasser
gibt es eine Stelle mit nur 1,90 m Tiefe. Und als wir dort eintreffen
und auf einen Anlieger hoffen,
hat der Wind gerade auf Nordost gedreht. Höchste Konzentration
ist
gefragt, ständiger Blick aufs Echolot und immer wieder in der
Seekarte orientieren. Als wir die Tonnen erstmal im Blick haben und die
beiden wichtigen roten gut anlegen können, stellt es sich als
relativ einfach heraus.
Bis
Kalvehave ist es eine Kreuz, die Koster Rende nach Stege
können wir hingegen weitgehend anlegen, und dann sind wir da:
Der
Hafen ist nicht toll, der Ort eher nichtssagend, aber als abends das
Wetter schlechter wird, sind wir zufrieden damit, an einem ruhigen
Platz unter der Kuchenbude zu sitzen. Paula und ich waren hier schon
vor fünfzehn Jahren nicht begeistert. Immerhin kann man
einkaufen,
essen gehen, duschen. Baden ginge auch. Die Alternativen? In Kalvehave
ist der Hafen größer und voller und blöd,
das Dorf auch
nicht einladend. Auf Nyord befürchte ich bei Südwest
unruhiges Liegen. Also alles richtig gemacht. Folkeboot Louise gesellt
sich zu uns und findet auch noch einen schönen Platz
–
Susanne ist zum ersten Mal einhand unterwegs und auf dem Weg nach
Kopenhagen. Letzte Woche noch zu Besuch bei uns in Thurø,
segeln
sie und Louise nun in Begleitung eines weiteren Folkebootes, einer
Zufallsbekanntschaft aus Marstal mit dem gleichen Fernziel. Heute und
morgen möchte sie aber stattdessen mit uns ein Abenteuer
erleben.
Ein
Abenteuer bekommt sie! Neben vielen anderen Kriterien ist
Stege ein guter Ausgangspunkt für einen Schlag durch den
flachen,
mäandrierenden Bøge Strøm und weiter
nach
Præstø. Dort soll es sooo idyllisch und sehenswert
sein.
Bisher hat es nie geklappt, doch ich habe mir in den Kopf gesetzt, auf
dieser Tour endlich dorthin zu kommen. Mittwoch ist der Tag, an dem es
in den Törnplan passt. Vielleicht habe ich mich ein bisschen
zu
doll darauf versteift – der Wind pendelt zwischen West und
Südwest, und das ist genau gegenan in einer Rinne von drei
Seemeilen, die die Seekarte und das Hafenhandbuch als „sehr
eng“ beschreiben. Was ich nicht finde, ist eine Solltiefe
innerhalb des Fahrwassers. Die Betonnung scheint eher spärlich
zu
sein, häufig nur einseitig. Zweifellos ist es dort leichter,
festzukommen als durchzukommen beim Kreuzen. Eigentlich müsste
man
hier, ähnlich wie nach Haderslev und Sakskøbing,
mit achterlichem Wind rein- und am nächsten Tag nach
dem Dreher auch mit achterlichem Wind wieder raussegeln
–
aber das können wir uns nicht aussuchen. Entweder heute oder
nie,
trotz gegenan. Alle sind guter Dinge, vor allem Susanne, die dort ihre
Freundin Ute mit ihrem Spitzgatter zu treffen hofft.
Wir
sind klar zum Auslaufen, als ein heftiger Schauer alles
durchnässt, legen dann bei leichtem Regen ab.
Allmählich
klart es auf, und die weiteren Schauer suchen sich einen Weg um uns
herum. Durch den Bøge Strøm und um diverse
Untiefen herum
zum Anfang der Rinne nach Præstø ist es nicht ganz
anspruchslos mit reichlich Tonnensuchen, Halsen und
Kursänderungen. Bei West 4-5 geht es jedenfalls gut voran.
Dann
beginnt der spannende Teil. Als Oli als Erste die Rinne erreicht, bin
ich beruhigt: Sie fährt ihre Schläge zumindest
mehrere
Sekunden aus – ich hatte befürchtet, alle zwei
Bootslängen wenden zu müssen. Wir überholen
an der
Ansteuerung schnell noch Salty und reihen uns hinter Frieda und Martha
ein. Louise folgt in geringem Abstand. Schnell wird klar: Zumindest am
Anfang ist es im Fahrwasser überraschend tief, um die acht
Meter.
Jenseits der Fünfmeterlinie muss man zügig wenden,
wenn man
es vor der Zweimeterlinie schaffen will – hier ist also eine
steile Kante, die man auch am Wellenbild markant erkennt. Die Betonnung
ist für uns nur schmückendes Beiwerk, wir segeln nach
Echolot. Außer diesem braucht man vor allem hundertprozentige
Konzentration über eine gute Stunde hinweg.
Wir
hätten zur Not den Außenborder. Bei 2-3
Windstärken wäre es kein Problem, doch es brist auf
mit
sechser Böen. Ich lasse Paula so viel Höhe laufen,
dass
gelegentlich die Segel schlagen, damit wir nicht so schnell sind, ich
mehr Reaktionszeit habe und wir ein paar Wenden weniger hinlegen
müssen. Olis in der Wende schlagende Segel verscheuchen eine
lustige Kuhherde, die neben einer Sandbank im Wasser steht.
Martha
steht auf einmal hoch und trocken. Wir kreuzen vorbei –
ich kann jetzt hier nicht ans Funkgerät, um Hannes und Simone
Mut
zuzusprechen oder schlaue Tipps zu geben. Das müssen sie
selbst
regeln, oder wir später vom Hafen aus. Hinter der Stelle mit
der
Kuhherde gibt es als Bonus zwei Inseln, die man auch nördlich
passieren könnte durch zwei betonnte Rinnen mit 1,60 m
Solltiefe,
aber segelbaren Kursen. Der NV-Verlag empfiehlt sie nur Ortskundigen
– drumherum liegen Steine. Es wäre eine echte
Option, wir
haben ja nur wenig Tiefgang – aber Oli kreuzt wacker und
erfolgreich weiter, und Paula findet, wir machen das auch. Ein Schauer
zieht dicht südlich vorbei, der Wind legt zu.
Dann
sind wir nach siebzig Wenden auf drei Seemeilen im Hafen. Also
Oli, Paula und Frieda sind da. Hut ab, Gratulation, das war eine echte
Herausforderung. Saltys Crew versteht meine Beschreibung dessen, wie
sie am besten hier unter Segeln anlegen, nicht richtig. Ich bin auch
nicht ganz bei der Sache, sondern verhole Paula gerade zu einem freien
Liegeplatz in Lee. Salty rauscht an, viel zu früh geht das
Groß runter, sie droht an unsere unabgefenderte Seite zu
treiben
oder, schlimmer noch, mit gehörigem Speed in Paulas Heck. Ich
brülle rum, mische mich ein, gebe Anweisungen, die Wolfgang
kaum
versteht und die ihn verunsichern. Am Ende wäre das
Manöver
wahrscheinlich besser gelungen, wenn ich meine Klappe gehalten
hätte. So geht es ein wenig unsanft gegen die Pier, aber das
ist
auch alles, was es zu bemängeln gibt. Ich
beschließe,
möglichst vorher klarere Informationen zu geben, mich dann
aber
rauszuhalten – Anja und Wolfgang machen das schon, und
blankliegenden Nerven in einem müden Kopf helfen Anweisungen
vom
Steg nie und nimmer. Ich sage nur, dass sie mit nur einer Achterleine
anlegen sollen, damit Louise später noch zusätzlich
in die
breite Box kann.
Da
schaltet sich jetzt auch noch eine Stimme vom Steg aus ein: Was
denn mit der zweiten Achterleine sei? Bringt die doch mal aus und so -
"ach, das schafft er wohl nicht".
Ich behaupte ja, nervige Freizeitkapitäne sind durchweg
deutsche
Männer. Dies ist jetzt eine deutsche Frau, und auch sie darf
gerne
ihre Klappe halten. Als Salty wunderbar in ihrer Box liegt an Paulas
Seite, und ich schlechte Laune habe, weil ich Wolfgang und Anja zu doll
reingequatscht und sie verunsichert habe, anstatt ihnen durch Ruhe zu
helfen, bespricht die Frau das Manöver mit ihrer Tochter:
„Und er hätte doch…. Aber nein, der da
hat
gesagt…und falls da noch so ein Boot reinsoll oder
so.“
Die beiden können sich meinetwegen ihr Maul
zerreißen, wie
sie wollen – aber in Hörweite, drei Meter neben uns?
Ich
sage ihnen, was ich davon halte. „Wir hatten selbst mal ein
Folkeboot“, bekomme ich zur Antwort, „und wir
wollten ja
nur helfen.“ Eine Entschuldigung für schlechten
Charakter
ist das
nicht. Aber ich kenne das schon: Deutsche Freizeitkapitäne
sonnen
sich ständig in ihrer unermüdlichen
Hilfsbereitschaft, aber
wenn diese Hilfe gar nicht nötig ist, sind sie beleidigt.
Martha
meldet sich über Funk. Sie sind freigeschleppt worden,
doch dann ging der Motor aus, und sie sind erneut festgekommen. Von
Ute, Susannes Freundin mit dem Spitzgatter, neben dem wir liegen,
erfahre ich: Louise musste einer rücksichtslosen, Schlenker
fahrenden Motoryacht ausweichen und steckt auch fest, und zwar
gründlich. Martha befreit sich diesmal aus eigener Kraft. Eine
halbe Stunde später kommt sie angesegelt. Alles scheint gut,
topp Aufschießer, doch
dann geht das Großsegel nicht runter. Ich ahne es,
obwohl es gar
nicht
möglich ist: Das Fall klemmt zwischen Holz und Fallscheibe.
„Könnt ihr hierher längsseits
kommen?“, flehe
ich. Hannes verholt Martha zum Mastenkran. Simone ist fix und fertig
und verlangt nach einem Hafentag. Sie ist mitreißend in ihrer
Begeisterung, wenn es läuft – aber Pannen sind ihr
zuwider.
Schmollend sitzt sie auf der Backskiste. Egal, wir haben genug helfende
Hände. Ich frage ein dänisches Ehepaar auf
Dänisch erfolgreich nach einem Bootsmannsstuhl – ich
vermute, sie können gut Deutsch, aber dieser sprachliche Weg
ist
sicher der bessere. Der Mastenkran kann auf eigene Gefahr
selbständig benutzt werden. Hannes fährt mich hoch.
Als
Erstes öffne ich den Schäkel, das Groß
rasselt
runter. Dann prokele ich mit einem großen Schraubenzieher das
Fall frei. Es geht gut bis zu dem Punkt, wo ich tief zwischen Holz und
Scheibe eindringen müsste. Hannes fährt mich wieder
runter
– ich brauche jetzt den kleinen Schlitzschraubenzieher. Es
ist
wirklich erstaunlich: Ein 8mm Fall passt dazwischen, obwohl da nur drei
Millimeter Spiel sind, zu viel für das bisherige breite
Werkzeug.
Der Mastenkran hat genau die richtige Höhe, ich hänge
an den
letzten dreißig Zentimetern Kette. Und ich schaffe es: Das
Fall
läuft wieder, ich bringe den Schäkel zurück
zum Boden.
Eigentlich
wollte ich mir ja die wunderschöne Kleinstadt
angucken. Die meisten Gebäude sind um 1840 entstanden. Damals
war
Præstø eine bedeutende Handelsstadt, reichlich
alte
Lagerhäuser sind erhalten. Man darf vermuten, dass mit der
Dampfschifffahrt und dem größeren Tiefgang der
Frachter
schon zum Ende des 19. Jahrhunderts der Niedergang einsetzte, denn die
Rinne war zu flach und ein Ausbaggern zu aufwändig.
Spätestens der LKW machte den Ort als Umschlagplatz obsolet.
Wir
haben einigen Aufwand betrieben, um hier her zu gelangen –
nun
ist die alte Bausubstanz ganz hübsch und die touristische
Erschließung gelungen, aber ein bisschen mehr davon
hätte
ich mir schön erhofft. Absolutes Highlight ist die Werft in
einem
alten Pakhus: Sie wird von einem Verein betrieben, der sich der Pflege
alter Handwerkskunst verschrieben hat. Ein deutscher Tischler hat dort
schon zwei regionaltypische Boote gebaut und hofft auf eine
Festanstellung, denn die Gemeinde will das Projekt als
Berufsfindungsmaßnahme für Arbeitslose
fördern.
Was
aber mit Marthas Großfall? Wenn es einmal aus der Scheibe
hüpft, kann das auch mehrmals passieren, und nicht immer wird
der
Aufschießer mehr oder weniger direkt zum Mastenkran
führen.
Ich krame aus der Backskiste ein zehner Tau, bändsele es an
und
ziehe mit dem alten Fall das neue durch. Eigentlich ist es zu dick, es
reibt gewaltig und erfordert erheblich mehr Kraftaufwand beim Setzen
– keine Dauerlösung also. Aber bis Saisonende wird
es so
gehen, besser jedenfalls, als wenn ständig im Hinterkopf die
Angst
ist, Marthas Großfall könnte heute wieder
festklemmen.
Während ich die Kausch einspleiße, kommt ein
Schlauchboot
der dänischen Seenotrettung in den Hafen, gefolgt von
Folkeboot Louise.
Sanne
ist jetzt wieder happy. Sie hat ein Abenteuer erlebt. Diverse
Motoryachten haben ihr Winken ignoriert oder sind einen extra Schlenker
gefahren, um mehr Schwell zu erzeugen (ich kenne das von Motorbooten
auch anders, nämlich rücksichtsvoll und hilfsbereit,
aber wer
weiß…). Die Retter kommen ganz aus Vordingborg,
weil es
bisher hier in der Nähe keine Station gibt –
eineinhalb
Stunden mit dreißig Knoten. Sie haben Louise freigeschleppt,
dann
ist einer übergestiegen. Er habe mal auf einem
Folkeboot
segeln gelernt und würde so gerne Ruder gehen, sagt er - die
Jungs
haben erkannt, wie fix und fertig die Einhandseglerin nach diesem
Erlebnis war. Nun drehen es in Richtung bewältigtes Abenteuer,
schöne Begegnung, wertvolle Erfahrung – und gehen in
Ruhe
essen, bevor sie zurück zur Basis rasen.
Jetzt
müssen wir nur noch Simone zurück in die Spur
bringen. Ich kann ihre Stimmung gut verstehen, mir ist es
nämlich
auch lieber, wenn es störungsfrei läuft. Immerhin,
sie sind
im Hafen, das Segel ist unten, das Fall ist erneuert, damit das Problem
nicht erneut auftritt. Das Versagen des Motors lag daran, dass Hannes
die Belüftungsschraube am Tank nicht aufgemacht hat. Das erste
Festkommen war zweifellos ein Navigationsfehler. Man könnte
sich
auch fragen, ob es wirklich eine clevere Idee war, die
Gäste eine so enge Rinne
aufzukreuzen zu lassen. Doch hier geht es nicht darum, wer welchen
Fehler gemacht
hat oder wessen Idee das Ganze war, sondern: Der
Wohlfühlfaktor
ist im Keller.
Ich
treffe Hannes und Simone beim Klogebäude. Simone berichtet,
dass Hannes nach der zweiten Grundberührung nackt ins Wasser
gestiegen ist und Martha freigeschoben hat – und danach, es
war
ja zwischen all den Wenden kaum Zeit, sich abzutrocknen und anzuziehen
- nackt weitergesegelt ist! Ich kann da eine Geschichte zu beitragen
– ich bin nach einem ähnlichen Missgeschick nackt
vor den
Villen im Svendborgsund vorbeigesegelt. Dann sage ich: „Man
gut,
das ist nicht vor Bogø passiert – dort ist
Nacktbaden im
Sommer verboten!“ Schallendes Gelächter, Simone ist
wieder
klar und geht mit Hannes ins Restaurant. Vorher machen wir schnell noch
das Briefing für den Donnerstag.
Ablegen
unter Segeln ist bei West 5-6 auch wieder nicht ganz trivial.
Die
Rinne ist mir
bei diversen Halsen und brachialem Speed auch vorm Wind nicht geheuer
– gestern war jedenfalls eindeutig, wo das tiefe Wasser ist,
nämlich dass man wenden muss, wenn es flacher wird. Jetzt
bleiben
wir bei Rauschefahrt theoretisch im Fahrwasser, aber die Tiefe variiert
erheblich. Als wir den
Kram endlich hinter uns haben, lässt die Böigkeit
nach, und
wir segeln ausgebaumt nach
Møns
Klint. Die Klippen sind auch unter bedecktem Himmel schön
anzusehen, kommen aber nicht perfekt zur Geltung. Der Wind dreht
vorübergehend auf Südsüdwest, wir beginnen
zu kreuzen.
Mit drei bis vier Windstärken gegen eine von fünf
Windstärken aufgetürmte Welle ist das kein
Spaß, und
als die Brise zurück auf West dreht, stampfen wir bei den
Holeschlägen genau gegen die See.
Gleichwohl
erreichen wir gegen siebzehn Uhr Klintholm, erstaunlich
gut gelaunt. Martha als Erste, Simone fragt gleich den Hafenmeister
nach Liegeplätzen. Der schlägt verzweifelt die
Hände
überm Kopf zusammen, als er hört, dass wir um diese
Zeit an
einem Donnerstag mit so vielen Booten hier eintreffen. Er findet aber
Plätze. Paula treibt an ihren, der deutsche Nachbar bietet
Hilfe
an, ich sei ja ganz allein. „Nein nein“, sage ich,
„ich bin mit Paula.“
„Wer
ist denn Paula?“ Ich klopfe an mein Boot und
lege
an. „Folkeboot Paula?“, fragt er, „hast
du das Buch
geschrieben? Bist du Nicolas?“ Es stellt sich heraus, dass er
gerade mit einem Freund telefoniert, der momentan mit seinem Folkeboot
in Norwegen unterwegs ist und sofort diese Assoziation
bereithält. Ich kenne flüchtig dessen Sohn, und
er
hat scheinbar ein untrügliches Gedächtnis
für Boote,
ihre Eigner, Voreigner und Schwiegereltern. Der Nachbar selbst hat das
Buch auch gelesen. Weil er seit Tagen auf seinem Boot hockt und bisher
vergeblich auf ein Ersatzteil für den defekten Diesel wartet,
lädt er mich zum Rotwein ein. Wir unterhalten uns prima, es
wird
mächtig spät.
Wir
sind bisher stramm durchgesegelt bei reichlich Wind und
teilweise anspruchsvoller Navigation – eine Pause wird uns
guttun. Es wäre sowieso zu wenig Wind, um irgendwo anzukommen.
Wir
sind – nicht ganz zufällig, ich wollte es so haben
–
in Klintholm, wo es im Juli einen Fahrradverleih und einen Bus gibt, um
zu Dänemarks spektakulärster Landschaftsformation zu
gelangen: Møns Klint! Und nach all dem trüben
Wetter der
letzten Tage ist heute kein Wölkchen am Himmel – die
kräftigen Farben des Buchenwaldes und des grünen und
blauen
Wassers im Kontrast zu dem Weiß der Kreide werden
prächtig
zur Geltung kommen. Es ist der perfekte Hafentag!
Das
Problem ist nur: Ich verschlafe den Bus. Hannes, Simone,
Wolfgang und Anja ist neun Uhr fünfunddreißig auch
zu
früh, sie leihen sich Fahrräder. Auf diese gute Idee
komme
ich gar nicht, sondern gehe die sechseinhalb Kilometer zu
Fuß. Es
ist ein schöner Weg, aber bei Knallsonne recht anstrengend.
Beim
Geocenter angekommen, brauche ich erstmal eine Cola. Aber das ist kein
Problem, Kiosk und Café sind geöffnet und haben
Hochbetrieb. Ich war vor vierzehn Jahren schon mal hier, allerdings im
Mai. Da hatte ich ein Klapprad dabei, und ich war beinahe der einzige
Besucher. Letztes Jahr auf dem Weg nach Karlskrona waren wir auch in
Klintholm, und zwar im Juni: Vorsaison, kein Bus, keine
Fahrräder.
Ein Teil der Gruppe ging hin und zurück zu Fuß zu
den
Klippen. Mir war das zu anstrengend.
Jetzt
bin ich froh über die Hauptsaison: Die vielen
Touristen
bringen Leben in die Idylle, doch gleichzeitig verteilen sie sich so
weit, dass man einander nicht auf die Nerven geht. An einem Tag wie
diesem hat hier jeder gute Laune. Und so bedeutet es pure Euphorie, im
Buchenwald auf den Kreidefelsen zu stehen und von Aussichtspunkt zu
Aussichtspunkt zu schlendern, wo man über 100 Meter tief auf
den
Strand blicken kann. Davor ankern diverse Boote, unten sieht es nach
einem großen Happening aus. Auch ich steige die Treppe hinab
und
sehe mir das aus der Nähe an.
Die
Kreide wie auch die Flintzwischenlagen sind vor bummelig 100
Millionen Jahren von Mikroorganismen gebildet worden. An den ehemals
horizontalen Zwischenlagen sieht man gut, wie das Ganze unter Druck
geriet, verformt und gefaltet wurde. Die Eiszeiten haben die Kreide
freigelegt, hier wie auch gegenüber auf Rügen. Was
ich nicht
weiß, ist, ob der Grund der Kadettrende dazwischen auch aus
Kreide besteht, oder ob irgendein Gletscher sie dort komplett
abgetragen hat. Die Geschiebe der letzten Eiszeit haben zum Beispiel in
Ostholstein neben einem abwechslungsreichen, hügeligen Relief
für wertvolle, kalkhaltige Böden gesorgt, die im
feuchten
Klima erst allmählich versauern – Kalk ist
wasserlöslich und wird ausgewachsen. Und dieser Kalk
könnte
von hier stammen. Auf Møn zeugt die Vegetation von
ausgezeichneten Böden: Die Buche ist ein anspruchsvoller Baum
und
gedeiht prächtig. Auch Orchideen wachsen hier, Botaniker und
Liebhaber kämen auf ihren Genuss. Westlich der Klippen gedeiht
bestes Getreide, die Ernte hat gerade begonnen. Ander als Kalkgestein
ist Kreide weich, beinahe plastisch formbar und für Wurzeln
durchdringbar mit gutem Wasserhaushalt – also ist das hier
keine
karge, trockene Karstlandschaft wie in den Dolomiten, die ich mir
beinahe so vorstelle, als hätten dort nur die Orchideen eine
Chance.
Inzwischen
nagt das Meer an dem Kreideabbruch – im
Vergleich
mit vor vierzehn Jahren hat sich ihr Manches verändert. Gerade
die
Sturmflut letzten Oktober hat für einigen Wirbel gesorgt: Eine
der
Treppen wurde zerstört und bisher nicht repariert, die unteren
fünf Meter fehlen. Auch ein ganzer Hang ist abgerutscht,
komplett
mit den Bäumen, die jetzt tot aus dem seichten Wasser ragen.
Den
Strand habe ich deutlich breiter in Erinnerung, an einer Stelle muss
man barfuß waten. Das kann darauf hindeuten, dass in der
Sturmflut Einiges weggespült wurde, mehr als was von oben her
aufgefüllt wurde. Vielleicht haben wir aber auch einen sehr
hohen
Wasserstand – der starke Westwind der letzten Zeit ist
vorbei,
sondern bei einem leichten Ostwind schwappt das Ostseewasser aus dem
Baltikum zurück in diese Gegend.
Der
Bus fährt bald ab, und ich muss noch die Treppe
erklimmen
– es wird Zeit für den Rückweg. Neben
Kreidekrümeln und Flinten liegt auch reichlich
Kalksteingeröll herum. Hier müsste man
Versteinerungen
finden, denke ich, aber ich bin ganz sicher keiner, der Stunden damit
verbringt, jeden Stein umzudrehen auf der Suche nach einem besonderen
Fund. Gleichwohl gucke ich zu Boden – und hebe etwas auf, das
mir
ins Auge sticht. Gleich danach treffe ich Wolfgang, der mein Steinchen
begutachtet und ein Seepferdchen erkennt. „Da hast du aber
Glück gehabt“, sagt er. Kurz vor Ende der Treppe
fragt eine
Frau zuerst auf Schwedisch, dann, als ich zögere, auf
Englisch, ob
es da unten schön sei. Keuchend, japsend, völlig
außer
Atem flehe ich sie geradezu an, runterzusteigen und sich das anzusehen
– denn dies ist ein Aufwand, für den man reich
belohnt wird.
Gemeinsam
mit Olieses und Friedas Crews steige ich in den Bus. Es
ist grandios, wie sich das riesige Fahrzeug über die schmale
Schotterpiste zum Hafen quält. Dort stolpern wir neugierig in
den
kleinen street food market. Dirk, Sandy und ich sind uns einig: Wir
wollten nur mal gucken, haben genug Proviant an Bord, aber jetzt
können wir nicht widerstehen. Zwischen Burgern und
Fish’n’Chips fällt unsere Wahl auf
jamaikanisches
Curry. Empfehlenswert trifft es nicht ganz – es ist
köstlich! Fernab des Segelns unterhalten wir uns über
die
Klimaveränderung und gelungene oder gescheiterte
Entwicklungshilfeprojekte. Auch der Hafen hat jetzt, anders als meinen
bisherigen Besuchen in Mai und Juni oder im Juli bei schlechtem Wetter,
ein angenehmes Sommer-Ferien-Urlaubsambiente. Die Ferienapartements um
das Becken mit unseren Liegeplätzen fügen sich
harmonisch ein
und schirmen uns ab von jeglichem Trubel. Die Livemusik im
Café
ist zwar erst Samstag, aber wir finden uns trotzdem dort ein auf ein
Gläschen Rouge.
Besonders mag ich die Playlist: Musiik aus den
Sechzigern und Siebzigern, Beatles, Abba, Eric Clapton – kein
abgenundelter Kram, sondern ausgewählte Stücke, die
ich mir
gerne mal wieder anhöre. Fazit: Während man viele
Häfen
in der Hauptsaison tunlichst meiden sollte, gerät Klintholm
dann
in Topform!
Wir
gehen dann aber mal wieder segeln. Nicht allzu weit, denn
Samstag schwächelt der Ostwind weiterhin. Es macht aber
Spaß, nach den elf Meilen offenen Wassers in die Enge des
Bøge Strøm einzubiegen. Den Zielhafen haben wir
beim
Briefing gemeinsam diskutiert: Zur Wahl standen Harbølle auf
Møn, Bogø (diesmal Südseite) und
Gåbense am
Südende der Størstrøm Bro. Nicht:
Stubbekøbing – auf die langweiligste aller
langweiligen
Provinzstädte habe ich keine Lust. Harbølle ist
miniminiwinzig, potenziell hübsch, doch wir erreichen es
erwartungsgemäß schon um vierzehn Uhr und wollen das
unbeschwerte Schönwettersegeln gerne fortsetzen.
Gåbense
wiederum wäre eine Spur zu weit. Also Bogø: Eine
historische Fähre verkehrt nach Stubbekøbing,
überwiegend für die Touristen. Im Hafen gibt es eine
Pizzeria. Der Koch flaniert gerade über den Steg, als wir
anlegen
– Simone reserviert gleich einen Tisch. Ansonsten hat
Bogø
noch eine Windmühle von 1852 zu bieten, deren Holzteile gerade
komplett restauriert wurden. Im Sommer kann man sie täglich
besichtigen, allerdings zu Zeiten, zu denen wir gewöhnlich auf
dem
Wasser sind. Vor allem bei dem schönen Ostsüdost 3-4
am
Sonntag.
Das
Ablegen verläuft nur teilweise zu meiner Zufriedenheit.
Der
Wind weht vierkant aus der Box. Während das Boot abklappt,
muss
man hier erstmal die volle Länge der Großschot
fieren und
die Fock dichtnehmen – das hat etwas mit dem Segeldruckpunkt,
der
Gierachse/dem Lateraldruckpunkt und der daraus resultierenden
Luvgierigkeit zu tun. Martha segelt gegen einen Pfahl, weil Simone die
Großschot zu früh holt. Martha liegt aber auch am
weitesten
außen und hat nach dem Abfallen nur wenige Meter und
Sekunden,
bevor wir um den Stegkopf kreuzen müssen, beide Schoten also
dicht
sein sollten. Dirk holt Olieses Heck mit einer Achterspring an die
Pfähle, so dass das Boot parallel zum Steg liegt. Das
funktioniert, ist aber unnötig umständlich. Wolfgang
weise
ich dreimal darauf hin, „richtig Lose auf die
Großschot“ zu geben, sehe aber später ein,
dass das
nicht spezifisch genug formuliert ist: Ich meine ja die volle
Länge, also sollte ich das auch sagen. Auch Salty luvt an und
segeln gegen einen Pfahl. Paulas und meins ist souverän,
Friedas
kriege ich nicht mehr mit, scheint aber gut geklappt zu haben.
Das
Segeln ist toll: Raumschots bei mäßigem Wind
und
mitlaufender Strömung sind wir in Grønsund und
Stør
Strøm schnell unterwegs. An der Ansteuerungstonne der
Brückendurchfahrt schließt sich der Bogen, den wir
um
Møn gesegelt sind – endlich mal wieder eine Insel
komplett
gerundet! Ich beschließe, zum nächsten Briefing ein
Papiermodell eines Bootes mitzubringen, es an der Gierachse auf einen
Bleistift aufzuspießen und ein kleines Referat über
Luvgierigkeit und Drehmomente zu halten. Femø, eben noch
kaum
auszumachen, bekommt klare Konturen, die Untiefentonnen fliegen vorbei,
planmäßig um fünfzehn Uhr und gerade
rechtzeitig vor
der nahenden Fähre sind wir alle im Hafen.
Trotzdem
wundere ich mich: Wenn man unter Segeln anlegt, muss man unter Segeln
anlegen. Und
für den Fall, dass man nicht unter Segeln anlegt, gibt es
einen Außenborder. Auf einen Hafen zuzukreuzen, um den herum
gerade der meiste Wind des Tages weht mit 5 Böen 6, und gegen
den
Wind einen Liegeplatz zu suchen, kann doch wohl nur heißen,
im
Hafen weiterzukreuzen und möglichst weit in Luv einen Pfahl
anzusteuern. Ohne Antrieb durch den Hafen zu treiben und dabei zu
glauben, gegen den Wind ankommen zu können, ist keine gute
Idee. Martha birgt die Segel an der
Fährbox und treibt
ab,
Hannes startet den Motor. Oli birgt die Segel an der Fährbox,
legt
provisorisch an der Zwischenmole an und segelt mit der Fock weiter.
Frieda birgt die Segel noch vor der Fährbox. Martin wriggt und
wriggt, aber Frieda vertreibt. Sie vertreibt komplett nach Lee, findet
dort ein freies Plätzchen, während Paula neben Martha
ganz in
Luv anlegt. Hinter uns segelt auch Salty einen souveränen
Aufschießer.
Als
Martin und Annette zum Anlegebier erscheinen, bezeichne ich sie
als die Vertriebenen. So richtig nach Witzen ist ihnen nicht zumute
– sie haben auf ihrem Weg vor Topp und Takel das Schlauchboot
einer luxuriösen Motoryacht irgendwie berührt, und
der
dänische Eigner erweckt einen unsympathischen Eindruck und
möchte am liebsten sofort die Versicherungsunterlagen sehen.
Egal
wie superreich oder unsympathisch, hat er ja aber doch einen Anspruch
darauf, dass sein Schlauchboot heil bleibt – nur ist es gar
nicht
doll beschädigt, ein neuer Kratzer neben vielen alten, das ist
wirklich Kleinkram. Ich setze mich gleich mal die Schadensmeldung,
überlasse das Einholen der nötigen Informationen aber
den
Gästen, die es vermasselt haben.
Ich
dachte, wir
hätten das beim Briefing ausreichend besprochen –
aber ich
merke jetzt, dass ich da auch ein bisschen laut gedacht habe, als es um
den perfekten Liegeplatz ging, anstatt klare Anweisungen zu geben. Ich
habe nämlich darüber spekuliert, ob das nordwestliche
Becken
nicht das beste sei, um später bei Südenwind wieder
auszulaufen. Ist es nicht, das lässt sich im Nachhinein sagen,
und
vor allem war es beim Einlaufen weitgehend voll und im
südöstlichen Becken noch genug Platz für uns
alle
– das kann ich natürlich nicht briefen, sondern man
muss es
vor Ort erkennen. Bei den Gästen ist aber angekommen, dass sie
von der Fährbox aus nach Lee vertreiben können zu
unseren Liegeplätzen.
Briefen
sollte ich tunlichst, dass der beste Weg erstmal ganz nach
Luv führt und wir von dort sondieren, wo wir liegen
können. Nachdem bisher alles motorlos gut geklappt hat,
täuschen wir uns vielleicht alle in den Fähigkeiten
der
Gäste – sie sind nicht so souverän, wie sie
selbst und
ich es gerne hätten. Kann nicht überraschen
– wie
sollten sie das Boot so gut kennen wie ich? Wir sind ja wieder in
Femø – wo wir vor vier Wochen aus gegebenem Anlass
den
Nachmittag mit Übungsmanövern unter Segeln verbracht
haben.
Heute machen wir das nicht, sondern die Gäste gehen baden und
ich
widme mich der Schadensmeldung und dem Bootsmodell. Danach ist
regnerisches
Gepuste aus Nordwest, also machen wir Hafentag. Unser neuer Freund mit
der Motoryacht und dem verkratzten Schlauchboot läuft im
morgendlichen Regen aus, ohne seine Personalien zu hinterlassen.
Annette hat ihm eine schöne Flasche Wein besorgt, mit dieser
Beute
ist er offenbar zufrieden.
Auf
Femø bin ich zum fünften Mal, und ich bin
meistens
im Hafen geblieben. Einmal habe ich es zur nahegelegenen Kirche
geschafft. Die Insel ist sehr populär. Als der Regen
aufhört,
schnappe ich mir ein Fahrrad und radele einmal ringsum. Es geht auf und
ab, gegen den Wind ist es anstrengend, insgesamt auch eine recht weite
Tour – und außer dem alteingesessenen Kro finde ich
beim
besten Willen nichts Reizvolles. Am interessantesten finde ich noch,
dass sich im verregneten Frühjahr in jeder kleinen
Senke des lehmigen Bodens das Wasser
sammelte und nicht ablief, so dass die Saat nicht aufging –
jetzt
finden sich zwischen reifem Roggen grüne,
gräserne, krautige
Inseln. Vielleicht kommen wir hier eher nicht wieder hin.
Beim
Briefing führe ich mein Bootsmodell vor und
verkünde
ohne allzu schmückende Worte unser nächstes Ziel. Es
ist
einer der schönsten Häfen und Orte
überhaupt: Bisserup.
Nicht nur hat man hier eine außergewöhnliche Idylle
direkt
am Liegeplatz. Es gibt Restaurants, Strand, einen 800 Meter entfernten
Brugsen und kostenlose Fahrräder – und den tollsten,
hilfsbereitesten, sympathischsten Hafenmeister, den ich kenne. Er hilft
beim Anlegen, gibt Tipps zur Strömung, weist bei Bedarf
Liegeplätze zu, rollt auch mal dreißig Meter Kabel
aus,
damit wir alle Landstrom haben. Und er redet kein dummes Zeug, sondern
gibt wichtige Informationen. Natürlich ist er zurecht stolz
darauf, dass der schöne Hafen so gut ausgestattet ist
– und
Gastlieger dürfen das alles unbefangen nutzen.
In
den letzten beiden Jahren sind wir jeweils zweimal hier gewesen.
Es war immer bei Ostwind. Das ist wichtig, denn es ist kein einfacher
Hafen: Bisserup liegt an der schmalen Einfahrt in einen flachen Bodden,
wo im Gezeitenrhythmus reichlich Wasser ein- oder ausströmt.
Die
Strömung ist bisweilen kriminell, und das völlig
unabhängig vom Wind. Leider gibt es keinen Tidenkalender, man
merkt erst in der engen Baggerrinne, wie er gerade läuft. Der
Hafen ist eher winzig. Davor ist die Zweimeterlinie gut mit
Bojen
markiert, und es gibt viel mehr Platz, als das Hafenhandbuch vermuten
lässt. Aber üppig ist das nicht, und dann gurgelt da
ja auch
die Strömung. Bei Ostwind kann man einen Aufschießer
in die
Abdeckung fahren, darf aber nicht erst in der Einfahrt die Schot
öffnen, sondern muss bis dahin schon ordentlich Fahrt abbauen.
Bei
starkem Westwind dürften hier gar nicht hin. Ich will den
Gästen aber diesen wundervollen Ort nicht vorenthalten, und
wir
haben ja Südwind. Wie viel Wind und welche
Strömungsrichtung,
sind entscheidende Informationen für die Wahl der Beseglung,
mit
der wir da reinfahren.
Quer
durchs Smålands Fahrwasser geht es erstmal prima
voran.
Mir gefällt die Bewölkung überhaupt nicht,
aber da sind
zumindest keine Blitze und kein Donner. Kurz vor der Fischzucht
südlich der Ansteuerungstonne erwischt uns der erste Schauer:
Große Regentropfen prallen in die sanfte Dünung, wie
immer
erinnert mich das an ein Gemälde Caspar David Friedrichs, aber
ich
möchte es nicht fotografieren, um nicht die gute Kamera zu
ruinieren. Der Wind schläft fast ein und dreht auf West. Als
der
Schauer durch ist, geht es bis zur Ansteuerungtonne (einem
großen, rotweißen Ball, auf dem heute eine
Möwe
Ausschau hält) wieder passabel voran. Frieda ist vor uns da
und
segelt rein, birgt auf halber Strecke das Groß, der
nächste
Schauer zieht über uns.
Paula
liegt bei. Ich möchte wissen, was hinter dem Schauer
passiert. Innerhalb so einer Schauerwolke steigt in der Regel die Luft
rapide auf. Damit kein Vakuum entsteht, saugt sie allseitig Luft an, so
dass in Überlagerung mit dem Gradientwind an einer Seite
Flaute
entsteht, gegenüber aber eine ruppige Bö. Bei West 4,
hab ich
ja schon geschrieben, möchte ich da am liebsten gar nicht
reinfahren, schon gar nicht mit gesetztem Groß. Als der
Schauer
durch ist, haben wir schlicht und einfach fast gar keinen Wind mehr.
Frieda gibt aber durch, dass die Strömung mitläuft
–
wir treiben mit schlaffem Vollzeug rein. An der Sandbank kommt ein
bisschen Südostwind. Perfekt! Ich berge die Fock und freue
mich
auf einen schönen Aufschießer im Hafen. Wir
dürfen uns
nur nicht zu weit von der Einfahrt entfernen, dort muss ich dann
beherzt Ruder legen.
Auf
Kanal 72, unserem Stand-by-Kanal, unterhalten sich zwei
Holländer. Es ist laut und übersteuert, nervt total.
Ich
hopse unter Deck und schalte das Funkgerät aus. Als ich damit
fertig bin, sind wir dreißig Meter von der Mole entfernt,
null
Wind, die Strömung treibt uns zügig am Hafen vorbei.
Mit
hängenden Schultern starte ich den Außenborder.
Hannes
beobachtet den Fehler, vermeidet ihn und greift zum Stechpaddel
–
Martha schafft es ohne Motor an die Pier.
Atemlose
Gäste staunen, wo sie hier gelandet sind. Aber es
kommt noch viel besser: Der Hafenmeister bekommt mit, dass wir Fisch
essen möchten. Das Restaurant hat nur am Wochenende
geöffnet,
also ruft er den Fischer an, der auf ökologische Weise die
Zuchtbecken betreibt: Er ist zu Hause, und er hat frische Meerforellen.
Die Gäste radeln los und besorgen neben vier
riesigen
Fischen alles, was man zu einem perfekten Grillfest braucht. Sie
bringen auch eine Tüte Brennnesseln mit und den
heißen Tipp,
sie statt Alufolie auf den Rost zu legen. Also die Brennneseln. Nicht
die Plastiktüte. Nach dem letzten Schauer
kommt die Sonne raus, es ist angenehm warm, und es entfaltet sich ein
wundervoller Abend. Mit Brot, Kartoffeln, Reis, Kräuterbutter
und
verschiedenen Salaten haben wir ein Beilagensortiment, wie man es in
keinem Restaurant bestellen könnte. Martin und Anja haben bei
laufender Stoppuhr die Forellen auf den Punkt gewendet und gegart.
Wolfgang hat sie professionell filetiert. Köstlich
wäre das
falsche Wort, nur kenne ich nicht die Steigerung davon.
Als
die meisten schon schlafen, plaudern Annette und ich
über
unsere Lieblingsstädte: London vs. San Francisco. Mittwoch
haben
wir ein trockenes Zeitfenster mit Nordwest um die vier Beaufort mit
Böen fünf zunehmend sechs. „Zur Wahl stehen
Omø
und Agersø“, sage ich beim Briefing,
„Agersø
hat den Nachteil, dass wir da schon waren, und den Vorteil, dass wir da
zum Anlegen schön in die Abdeckung segeln“. Der
Hafen von
Omø ist auf der Nordseite, dort steht die volle
Dröhnung
drauf. Das letzte Stück kreuzen müssen wir in beiden
Fällen. Die Wahl fällt leicht: Ein zweites Mal zum
schönen Agersø finden alle gut.
Dazu
müssen wir aber erstmal aus dem Hafen, und das ist auf
den
ersten Blick schwierig mit Strömung und Wind und Friedas
defektem
Außenborder – ich habe sein gestriges Ausgehen
nicht ernst
genommen, stelle aber morgens fest, dass er scheinbar zu wenig Luft
bekommt. Martin und Annette kommen erfahrungsgemäß
gut ohne
ihn klar, also verschieben wir den Außenbordertausch auf
später auf Agersø, sondern legen jetzt erstmal ab.
Es wird
ein All-Hands-Manöver: Salty hat es relativ fluffig, wir
drehen
sie so, dass sie aus dem Hafen motoren kann, um draußen die
Fock
zu setzen und raumschots mit der Strömung in tiefes Wasser zu
segeln. Leider vergisst Wolfgang meinen Hinweis zur Strömung,
an
der Ausfahrt wird es ziemlich knapp – man darf nicht langsam
durch die Mitte fahren, sondern muss sich mit beherztem Speed in Luv
halten.
Auf
Frieda steige ich auf und verhangele sie entlang von
Pfählen, Festmachen, Heckkörben und aufgeholten
Außenbordern komplett durch den Hafen zur Ausfahrt
– das
wäre Martin und Annette, die sowas noch nie gesehen oder
gemacht
haben, vom Steg aus kaum vermittelbar gewesen. Sie setzen die Segel,
als ich abgestiegen bin. Frieda segelt ganz simpel los. Martha und
Paula verholen wir im Päckchen an diese Stelle,
müssen sie
dabei an einer langen Leine erst noch drehen. Skizzen würden
helfen, diese Manöver im Detail zu verstehen, doch vielleicht
muss
das gar nicht sein. Die Botschaft lautet: Wenn es eng und knifflig und
dazu pustig und strömig ist, geht es von Hand von Pfahl zu
Pfahl
oder mit klug ausgebrachten Leinen langsam, Schritt für
Schritt,
kontrolliert und sicher.
Der
Segeltag leidet ein bisschen unter der zu hohen alten Welle in
Relation zum Wind, den Winddrehern immer dann, wenn Paula sie auf der
Kreuz nicht braucht, sowie der kräftigen Strömung im
Agersø Sund, doch die Wolken verziehen sich, und es sind
bescheidene zwölf Meilen. Viereinhalb Stunden sind keine
Rekordzeit, doch ein Hoppeltag gehört auch mal dazu. Beim
Einlaufen bekomme ich aber kurzzeitig richtig schlechte Laune.
Oli
ist schon da. Dirk und Sandy kannten Bisserup schon, scheuten
vor dem heutigen Wind und sind gleich von Femø nach
Agersø gesegelt (haben also den phantastischen Grillabend
verpasst, dafür aber einen schönen Hafentag auf der
Insel
verbracht). Martha läuft souverän mit dem
Groß ein.
Paula überholt auf den letzten Meter Salty, auf der sich
Wolfgang
und Anja für Motoren entschieden haben. Frieda ist deutlich
vor
Paula am Hafen. Das Groß wird geborgen. Verstehe ich nicht:
Die
haben keinen Motor, und beim Briefing glaube ich deutlich gemacht zu
haben, dass man nicht mit der Fock in den Hafen kommt, sondern
ordentlich Schwung aufnehmen muss – oder in der Einfahrt zwei
Wenden fahren. Vielleicht gibt es ein Problem, über das wir
jetzt
per Funk kommunizieren könnten, aber da kommt nichts. Oder sie
wollen Paula vorlassen, denn Frieda segelt hin und her, auf und ab,
hühnert herum – und als Paula eintrifft und ich mich
aufs
nicht ganz triviale Reinsegeln vorbereite, segelt sie mit der Fock auf
die Einfahrt zu, verhungert erwartungsgemäß im Wind
und legt
am Molenkopf an.
Jetzt
segelt Paula hin und her, auf und ab, und wir
möchten,
dass Frieda endlich aus der verdammten Einfahrt gezogen wird, damit wir
dort wieder genug Platz haben. Eine gefühlte Ewigkeit
später
sind die Fender ausgebracht, und Frieda wird an einen Liegeplatz an der
Innenseite der Außenmole gezogen. Paula flutscht rein.
„Hallo“, ruft der Hafenmeister mit dem Daumen nach
oben,
„da lang sind vier Plätze für dich." Wir
haben hier
schon Stammplätze an der Kranpier vorm Fischrestaurant.
Salty
kommt angetuckert. Inzwischen geht das an Bord ruhig und, wenn
nicht souverän, dann zumindest wohlkalkuliert zu. Ich habe
aber
noch einen Spezialauftrag: Ich steige auf, wie fahren wieder
zurück zum Vorhafen. „Wir wollen euch
schleppen“, rufe
ich Martin zu. Der ist ein bisschen erstaunt: Frieda könne
dort
doch liegenbleiben – aber ich möchte die
Außenborder
tauschen, Paulas heilen mit Friedas kaputtem, und ich habe wenig Lust,
die jeweils durch den kompletten Hafen zu tragen.
Meine
Laune bessert sich im Laufe der Aktion: So sehr ich es hasse,
geradeaus zu motoren, so sehr liebe ich knifflige, anspruchsvolle
Manöver wie dieses. Ich halte es auch für wichtig, in
der
Übung zu bleiben, denn das hier lernt man in keiner
Segelschule,
sondern niemand im Hafen könnte es besser als ich –
so muss
es bleiben. Erstmal bringe ich Salty bei ordentlich Wind und einer
merklichen Strömung ganz langsam an Friedas Seite. Dann ziehen
wir
das Päckchen ein paar Meter zurück, bevor ich es von
der Mole
wegbringe und zurück in unser schmales Hafenbecken. Zuletzt
gehen
wir an den Liegeplätzen an die Pfähle. Nun ist es ein
All-Hands-Manöver, weil in Luv noch eine teure, unbemannte
Motoryacht liegt und die vier Folkeboote sich drei Boxen teilen
müssen – eine kleine Puzzelecke.
Es
kann jetzt wie auf einer großen Yacht nur einen
Kapitän geben, und der bin dann wohl ich. Ich bin aber
gewohnt,
spontan zu entscheiden und keine Kommandos zu geben – jetzt
muss
ich jede, von der ich etwas will, mit Namen ansprechen, damit es kein
Durcheinander gibt. Schritt für Schritt – alle
spielen
wunderbar ihre Rolle – kriegen wir zuerst Frieda an die Seite
der
Motoryacht und dann Salty zwischen Frieda und Martha. Jetzt noch
Aufklaren, Außenborder tauschen, Benzinvorrat
auffüllen,
einkaufen – und dann: Endlich Feierabend. Die Sonne scheint,
alle
steigen auf die Fahrräder, um nach der Langeweile
Femøs
wieder eine richtig rundum schöne Insel zu sehen. Beim Bier
erzählt Hannes seinen beruflichen Werdegang. Ich frage
tunlichst
die Gäste nie danach, sie machen ja gerade Urlaub davon, aber
für einen gelernten Schweißer habe ich ihn nicht
gehalten,
und es klingt durchaus interessant.
Für
den letzten Abend habe ich mir noch einen echten
Höhepunkt überlegt: Dageløkke. Da
müssen wir
erstmal hin – zwar sind es nur zwanzig Meilen, aber der
Nordwest
wird früh auf West drehen, dann ziemlich schwächeln
und
schließlich bei Südwest enden. Oliese läuft
schon um
fünf auf, die Anderen einigen sich auf sieben. Wir runden
Agersø nördlich und können die Nordspitze
von
Langeland zunächst gerade so nicht anlegen. Der
Wind ist aber
enorm unstet: Mal fahren wir tolle 250 Grad mit zügigen
viereinhalb Knoten, dann enttäuschende 220 Grad mit
unfassbaren
zweieinhalb Knoten. Die südgehende Strömung schiebt
uns durch
den Tiefwasserweg, versaut uns aber zusätzlich den Kurs.
Westlich
von Weg T ist auf einmal die alte Welle weg, und es läuft
wesentlich besser. Im Ergebnis landen wir um zehn Uhr und ohne
Holeschläge vor Lohals. Dort macht der Wind erstmal Pause,
bevor
sich, nein, kein Südwest entfaltet, sondern ein Süd.
Wir
segeln einen Schlag zum Leuchtturm Elsehoved auf Fyn, dann von dort in
einer Rutsche ans Ziel.
Dageløkke
gehört nun definitiv zu meinen
Lieblingshäfen. Normalerweise propagiere ich die ja nur
mäßig und bin froh, dass Paulas Blog nicht von
Zehntausenden
gelesen wird, damit wir auch in Zukunft jeweils noch eine Chance auf
einen Liegeplatz haben – hier sehe ich das anders: Die
Familie
braucht Gäste, um Geld zu verdienen. Also kommt nach
Dageløkke und berichtet all euren Freunden und
Liegeplatznachbarn davon! Beim Hafengeldbezahlen erinnert sich Kim
gleich an mich und freut sich, mich wiederzusehen in Begleitung
zahlender Gäste und schöner Holzboote. Diverse Leute
im Hafen
sprechen mich an, haben „Folkeboot Paula“
gelesen,
oder den
Blekinge-Artikel in der YACHT,
oder auch meinen Törnbericht
„Reise zur Kanalinsel“
vor ein paar Jahren
– mit
diesem mäßigen Level an Prominenz kann ich gut
umgehen. Nach
Anlegebier, Baden, Landgang oder Mittagsstunde versammelt sich die
wundervolle Gruppe im Restaurant zu einem
abschließenden
Gourmetabend mit Köstlichkeiten wie Wurstplatte,
Käseplatte
oder Salaten.
Es
dämmert schon, als ich Papa, vierzehnjährigem
Sohn und
elfjähriger Tochter beim Handballtraining zugucke. Wolfgang
ist
aufgeschlossen – er war lange Jahre Jugendtrainer im
Fußball. Die Mama spricht mich an, und ich gestehe, dass ich
ein
bisschen neidisch bin: Ich war als Jugendlicher in einem
Leichtathletikverein. Mit fünfzehn oder sechzehn spielten
viele
meiner Schulfreunde Handball, und ich wollte das unbedingt auch, hielt
mich aber für schon zu alt, um damit noch anzufangen
– es
blieb also bei Zugucken und Interesse. Das Mädchen spielt erst
seit einem Jahr. Ihre Wurftechnik sieht überzeugend aus. Dass
der
Spielzug mit dem Rückhandanspiel nicht gelingt, liegt daran,
dass
der große Bruder Volleyball spielt und den Handball wegwirft
statt griffbereit in die Höhe. Jedenfalls ist mir das Ganze
höchst sympathisch.
Auch
die letzten neun Meilen nach Thurø sind ein Genuss:
Zwei
Stunden entspannten, zügigen Segelns ohne Kreuz, ohne Hack,
ohne
Regen, gefolgt von stressfreiem Anlegen bei kaum Wind. Beim Aufklaren
trifft das Kuchenbudenwetter ein. Die Gäste verkochen
gemeinsam im
Clubhaus die Reste ihrer Vorräte. Ich halte mich raus und
besinne
mich auf morgen: Ich bekomme es mit lauter Neukunden zu tun, drei
gründliche Einweisungen und einmal ein zweitägiges
Training.
Ich kann aber Dirk, Sandy, Wolfgang, Anja, Hannes, Simone, Annette und
Martin gar nicht dankbar genug sein für die schöne
Zeit, die
wir gemeinsam hatten. Das Wetter war nicht einfach, aber wir haben es
geschickt genutzt. Die Törnplanung beinhaltete das eine oder
andere Spektakel - ich finde sie ziemlich gelungen. Und mit allen
Beteiligten würde ich jederzeit wieder auf Reisen gehen.
In
den nächsten Tagen haben Paula und ich erstmal frei. Der
Bart ist lang, Friedas Außenborder muss zur Reparatur,
ansonsten
können wir beliebig segeln, ohne dass ich den Großen
Zampano
spiele. Hm. Mal sehen, wie das gelingt. Ich könnte auch ein
Fazit
ziehen nach zwei kurzen Sommerreisen anstelle einer langen ganz nach
Schweden. Geliebäugelt hatte ich damit schon im Herbst, dann
hat
die Buchungslage so entschieden – und ich bin sehr
glücklich
damit. Wir hatten Zeit für Abstecher in bisher unbekanntes
Terrain
abseits der direkten Route ins Kattegat. Dadurch konnten wir viele sehr
schöne Orte, Inseln und Häfen erstmals erkunden.
Statt eines
Rückwegs unter Zeitdruck und mit Gegenwind sind wir jeweils in
kurzen Schlägen entspannt ans Ziel gekommen. In einem so
wechselhaften Sommer wären wir womöglich in den
Schären
nicht glücklich geworden und hätten uns eher nach
Hause
gequält.
Ich finde aber, nächstes Jahr steht mal wieder ein Besuch in
den Westschären an…
weiter: Dreizehn
zurück: Es
geht um die Wurst