Paulas Törnberichte | ![]() |
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Sommerreise,
Teil 1: Es geht um die Wurst
Keine Schären diesen Sommer: In zwei Wochen von Arnis nach
Thurø ist die einzige Vorgabe. Das ginge notfalls an einem
Tag, aber natürlich habe ich ein bisschen mehr vor: Viel zu
segeln, ohne uns mit endlos langen Schlägen zu
überfordern, und dabei nur die schönsten und
allerschönsten Häfen abklappern. Wo ginge das besser
als im Lille Belt und weiter nach Samsø? Dort werden wir
sehen, wie wir uns am geschicktesten nach Svendborg hangeln. Doch
wieder einmal gestaltet das Wetter den Absprung aus der Schlei ein
wenig mühsam. Ich ahne nicht, dass ich später von
unserer bisher gelungensten Reise sprechen werde!
Juni 2024
Bevor
wir ablegen, geht es um die Wurst: Karsten hat seinen mit Vorfreude
angelegten Vorrat im heimischen Kühlschrank vergessen. Ich
fahre sowieso noch Proviant einkaufen und bringe ihm gerne etwas mit -
ein Sortiment großer und kleiner Salami gehört auch
zu
Paulas Standardrepertoire für den Fall, das
zwischendurch der Magen knurrt. Die Sommerreise 2024 beginnt am Freitag
um 19 Uhr. Hä? Warum denn am Freitag? Die haben doch erst ab
Samstag 9 Uhr gechartert!?! Ja, aber Boote und neue Gäste sind
angenehm früh vor Ort. Ein kurzer, ruhiger
Dämmertörn nach Maasholm ist allemal ein besserer
Auftakt als Bleiben: Samstag Dauerregen und Starkwindböen,
abends Hafenfest in Arnis und Sonntag dann erst noch die
Klappbrücke vor der Nase. Wir wählen lieber den
Dämmertörn, verzichten aufs Fest und können
mit den
ersten vier Meilen von der Uhr am Sonntag beliebig früh
starten.
Kurz
nachdem wir in der Modersitzki-Werft entspannt angelegt haben, wird
draußen vor Schleimünde „The
Run“ gestartet. Die jährliche Nachtregatta ist der
Auftakt der Classic Week, die diesmal in Aabenraa startet. Martha nimmt
daran teil, nicht an unserer Sommerreise. Auch nicht an „The
Run“, Gerhard ist letzten Sonntag aufgebrochen, um bei
widrigem Wetter rechtzeitig vor Ort zu sein, um sich mit 200 anderen
Booten und ihren Crews zu tummeln und die Holzboot-Community
kennenzulernen. Ein anderes Sportereignis ist besser hörbar in
Form von entferntem Torjubel – die Fußball-EM
beginnt, und
auch sie wird uns allenfalls am Rande tangieren.
Die
Gruppe ist erneut eine, auf die ich mich gefreut habe: Ernst ist unser
treuester Stammgast, diesmal begleitet von Frieda und seinen
Geschwistern: Inge darf weiterhin als segelunerfahren gelten, aber ihre
Begeisterung ist mitreißend, und ihr Bruder der perfekte
Erklärbär. Nach der ersten der beiden Wochen wird sie
abgelöst von Bruder Eckehard, der letztes Jahr den Auftakt
machte auf dem Weg nach Blekinge. Oliese ist mit Karsten und Angie
unterwegs, ebenfalls bewährte Stammgäste, denen ich
letzten Herbst das Boot überlassen habe, ohne auch nur in der
Nähe zu sein zur Übergabe. Thomas war vom ersten
Flottillentörn dieses Jahres so begeistert, dass er nach ein
paar Tagen anrief und nach mehr verlangte – und wegen einer
Stornierung aus beruflichen Gründen war Salty gerade wieder
freigeworden.
Die
Kuchenbuden sind aufgebaut, die Reißverschlüsse zu
– der große Regen nebst Gepuste kann kommen. Als es
Samstagabend aufklart, machen wir Briefing: Es geht in die
grüne Idylle des Haderslev Fjords. Vierundvierzig Seemeilen
bei Gewitterwarnung für den späten Nachmittag
– wir müssen uns absichern: Durch frühes
Auslaufen. Und durch die Möglichkeit, den Segeltag zu
kürzen, wenn wir nicht gut genug vorankommen oder das Wetter
sich verschlechtert. Fyns Hav liegt auf halber Strecke und bietet diese
Möglichkeit.
Sonntagmorgen
kurz vor sechs geht die Sommerreise so richtig los. Ablegen mit
Motorunterstützung? Vor Topp und Takel aus dem Hafen zu
treiben, finden alle viel einfacher. Die angepeilten fünf
Knoten können wir zunächst gerade so halten, doch ich
bin nicht glücklich. Paula rollt in der Dünung, und
im Schapp klötert etwas gewaltig: „Klick“
– „Bamm“ –
„Klick“ – „Bamm“.
Beim zweiten Nachsehen finde ich die Ursache: Die
Bratölflasche ist umgefallen und rollt zwischen den
Töpfen. Wenn verfügbar, bevorzuge ich Bratöl
immer in eckigen Flaschen – endlich kenne ich den Grund
dafür. An der Ostseite von Als schwächelt der Wind
erheblich, aber niemand plädiert fürs Anlegen in Fyns Hav,
alle möchten
weitersegeln. Für diese Entscheidung werden wir reich belohnt
mit einer Spur mehr Wind, satter mitlaufender Strömung und
einer Prise Surfen. Über das offene Wasser nach
Aarøsund sausen wir mit um die sechs Knoten. Der Himmel
klart auf, als wir in den Haderslev Fjord rauschen. Da ist ja schon
unser Ziel: Stagodde, einer dieser gemütlichen, liebevollen
dänischen Vereinsstege mitten in der Natur.
Paula
fährt einen butterweichen Aufschießer in die
Abdeckung, an dem es wirklich ganz und gar nichts auszusetzen gibt. Oli
und Frieda segeln gleich durch bis zum Steg –
darüber habe ich ein bisschen Redebedarf, das kann
nämlich im großen Stil schiefgehen, wenn das Boot
zunächst verhungert und das Groß
anschließend wieder Druck bekommt. Und es erzeugt
unnötige Hektik, wenn der Rudergänger im Vorbeifahren
die Achterleine schaffen muss. Ansonsten bin ich ausgesprochen
glücklich: Auch Salty legt unter Groß an, keiner hat
heute den Außenborder gebraucht. Das schöne Ritual
des Anlegebiers, diesmal von Inge serviert, ist bereits fest etabliert.
Es kann eigentlich nur eine
grandiose Sommerreise werden. Hilfreich wäre eine etwas
stabilere Witterung – und die zeichnet sich
tatsächlich ab.
Noch
nicht jedoch am Montag. Da sitzt uns eine Gewitterwarnung ab mittags
ein bisschen im Nacken. Wir laufen also erneut früh aus. Um
ein bisschen Zeit zu sparen, drehe ich Paula in der Box,
während die Anderen an
die Pfählen Segel setzen. Als sie weg sind, erledige ich das
in der Abdeckung schnell vorm Wind. Paula segelt elegant aus der Box,
ohne mit einem der Pfähle zu kollidieren, und ich bin
rechtzeitig im Cockpit, um die Großschot einzufangen, bevor
sie hängenbleibt. Mit lustigen viereinhalb Knoten segeln
wir aus dem Fjord. Als wir uns nördlich von Aarø
ins Fahrwasser einfädeln und auf Nordkurs abfallen, wird es
ruhig, beschaulich und etwas langweilig – mit mal drei, mal
vier und manchmal nur zweieinhalb Knoten geht es platt vorm Laken
schnurgeradeaus den Charterbooten hinterher. Ich vertreibe mir die Zeit
mit Törnplanung und Aufräumen.
Als
wir Snævringen erreichen, kommt Leben in den Segeltag: Paula
ist von einer quirligen Schweinswalschule umgeben. Im Regenradar ist
der Aufzug von Schauern und Gewittern schon sichtbar, wir haben es also
ein bisschen eilig. Um gegen die Strömung zügig
voranzukommen, muss man sich gut überlegen, wo man langsegelt.
Dicht am Ufer von Fæno ist die Strömung
schwächer als mitten im Fahrwasser, aber ich muss
ständig auf die Wassertiefe achten. Vor der Kongebro scheinen
die Charterboote in der Strömung fast stehenzubleiben. Paula
versucht es dicht am Ufer, wo wir zwar sporadisch keinen Wind, dann
aber kräftige Drücker haben – sowie
anderthalb Knoten Neerstrom. Die Stromkante ist gut erkennbar dicht an
Backbord. Zuerst holen wir deutlich auf, dann endet unser
schöner Neerstrom, und ich erkenne zu spät, dass die
Strömung insgesamt kentert. Bei Stauwasser muss man dann doch
eher dort segeln, wo der meiste Wind ist. Martha, Oli und Frieda warten
auf uns. Ich habe vor dem Einfluss der Strömung beim Anlegen
gewarnt und probeweises Annähern empfohlen. Jetzt traut sich
keiner in den Hafen. Von weiter draußen sehe ich dunkle Bewölkung
– wir haben vielleicht zwanzig Minuten, bis das Gewitter bei
uns ist.
Paula
segelt problemlos in den Hafen. Sofort rufe ich die Anderen herbei,
damit wir alle trocken in die Box kommen. Das klappt auch irgendwie -
Paulas Kuchenbude steht schon, als Frieda das Großsegel
birgt. Das Anlegebier verschieben wir auf nach dem Schauer, doch
während es über Jütland donnert und prasselt
wie der Teufel, scheint bei uns nach zwanzig Regentropfen wieder die
Sonne. Ich halte den Kongebro Havn für den schönsten
Hafen Middelfarts, und er kommt auch bei den Gästen gut an.
Wetter wieder gut, Stimmung prächtig, wir gehen einkaufen:
Eine Viertelstunde durch den Wald und eine weitere Viertelstunde durch
die sehenswerte Stadt in markanter Lage am Wasser - es ist schlicht
schön hier. Abends sitzen wir lange zusammen und bestaunen,
was sich uns bei kaum Wind und reichlich Strömung darbietet:
Gegen den Strom wird rückwärts gesegelt. Mit dem
Strom sausen Boote und Traditionssegler wie Dartpfeile durchs Bild.
Ständig schnappt hier oder dort ein Schweinswal nach Luft.
Nur
Karsten ist unglücklich: Was ich ihm an Snacks mitgebracht
habe, ist inzwischen verspeist. Der wunderbare Wurstladen mit seinem
verlockenden Schaufenster hat ausgerechnet heute Ruhetag und macht am
Dienstag erst um neun Uhr dreißig wieder auf. Da wollen wir
aber schon auf dem Lille Belt zumindest in der Strömung
treiben, wenn nicht sogar segeln. Denn nun beginnt der spannende Teil
– auf Hjarnø war ich selbst noch nie.
Wahrscheinlich ist die kleine, flache, dem Horsens Fjord vorgelagerte
Insel nichts Besonderes. Aber einen neuen Hafen zu ticken, ist ja immer
schonmal gut, und eine kleine Insel, wo niemand hinsegelt, bevorzugen
wir alle gegenüber den ausgetretenen Touristenpfaden. Es kann
also nur gut werden. Wenn wir überhaupt ankommen. Endlich mal
keine Gewitterwarnung, aber es könnte zwischendurch mangels
Windes ein bisschen zäh werden.
West
3-4 und mitlaufende Strömung – durch Snaevringen
fliegen wir mit sieben Knoten eher, als dass wir segeln. Als der
Trichter sich öffnet und der Einfluss der Strömung
schwächer wird, halten wir lange noch die fünf
Knoten. Das Wolkenbild ist eindeutig: Je dichter am Land, desto mehr
Wind – Paula luvt ein bisschen an und holt den
Rückstand auf Oli und Frieda beinahe auf. Kurz vor Juelsminde
erreichen die beiden vor uns ein Windfeld – schon sind sie
wieder weg. Es ist ein kurzweiliger, angenehmer, sonnig-warmer
Segeltag, wie er schöner nicht sein könnte. Erst
recht nicht, als Paula auf dem nächsten Teilstück
nochmal den gleichen Trick anwendet und am letzten Wegpunkt dicht
hinter den Anderen auftaucht. Sie macht das oft so: Hält sich
nach dem Auslaufen erstmal zurück, lässt den Abstand
zu den Schwestern eher größer werden, aber kurz vorm
Zielhafen sind wir plötzlich wieder da.
Jetzt
wird es sportlich: Vier Böen fünf war so nicht
angekündigt. Und so schön es ja ist,
Hjarnø früh zu erreichen, bin ich mir
überhaupt nicht sicher, ob es bei diesen Bedingungen ratsam
oder möglich sein wird, dort einzulaufen. Das Becken ist klein
- womöglich ist gar kein Platz für einen Aufschießer,
oder um das Boot in den Wind zu drehen. Das Hafenhandbuch warnt vor
kräftiger Querströmung vor der Einfahrt. Einlaufen
vor Topp und Takel will gut überlegt sein. Außerdem
ist es auch noch voll von einheimischen Booten. Im Vorbeirauschen
erkenne ich einen einzigen freien Längsseitsplatz an der
Innenseite der Außenmole, der nach Augenmaß gerade
so groß genug sein dürfte für Paula. Die
anderen können dann ins Päckchen. Die
Strömung ist spürbar, aber moderat. Der Wind
lässt eine Spur nach - wenn wir nicht gerade eine Bö
erwischen, wird es gut gehen. Ich berge das Groß. Paula nimmt
Kurs auf den Fähranleger, von wo wir uns von Wind und
Strömung reinspülen lassen wollen. Fock runter, volle
Konzentration. Zweimal Vollruder in beide Richtungen befreit uns von
einem halben der drei Knoten. Ich bin ein bisschen angespannt, Paula
bleibt absolut cool.
Wir
sind im Becken. Ich drehe Paula mit Vollruder in den Wind. Mit
eineinhalb Knoten treibt sie auf den freien Liegeplatz zu. Die Poller
stehen in günstiger Arbeitshöhe, da werde ich die
Restfahrt aufstoppen können. Brauche ich gar nicht –
Paula kann butterweiche Aufschießer auch ohne Segel. Ich muss
nichts abhalten, lege einfach nur die Vorleine auf den Poller, fertig.
Die Charterboote folgen unserem Beispiel und meinen Hinweisen per Funk.
Zuerst Oli. Klappt perfekt. Dann Frieda. Der Platz zum Drehen und Fahrt
Abbauen ist natürlich um zwei Bootsbreiten kleiner geworden.
Beide Segel sind unten, Frieda steht fast, Ernst wriggt, um nicht in
der Strömung zu vertreiben. Ich gucke mir das vom Molenkopf
an. Es kommt eine Bö, Frieda wird wieder richtig schnell.
Ich
könnte sie, kommt mir spontan in den Sinn, von hier aus an
einer Achterleine abbremsen. Soll ich das Ernst und Inge
zubrüllen? Oder lenkt das ab und stiftet Verwirrung? Ich sehe,
wie Ernst die StB-Achterleine klariert – wir haben beide im
gleichen Moment dieselbe Idee. Die Leine fliegt, ich fasse zu, Frieda
bleibt fast stehen und treibt mit dem Mychen Restfahrt an Olis Seite.
Mit Salty machen wir es genauso. Bei reichlich Wind so hier rein ist
ein bisschen wie Bungeejumping, nur nicht so individualistisch, denn
wir helfen uns ja gegenseitig.
Hat
sich der Aufwand denn gelohnt? Oh ja, das hat er: Wir liegen in einem
gemütlichen Hafen, die Umgebung ist malerisch, die Insel nicht
spektakulär, aber in den lieblichen Details wirklich
sehenswert. Unter Anderem steht auf Hjarnø
Dänemarks zweitkleinste Kirche, es gibt ein Café
und einen Kro/Burgerbude, wo die locals sich zuprosten. Es gibt auch
Fundstellen aus der Steinzeit und Grabstellen der Vikinger, aber um die
auf die Schnelle zu erkunden, ist die Insel tatsächlich eine
Nummer zu groß. Es gibt aber auch Details wie die zwei
Schweine irgendeiner seltenen Rasse, die sich vor ihrem
„Hotel“ langweilen und gerne in die Kamera grunzen.
Die Fähre rüber nach Snaptun verkehrt laut Wikipedia
fünfundzwanzig Mal am Tag, es fühlt sich eher so an
wie alle drei Minuten. Der Fährmann ist zunächst ein
bisschen unglücklich mit uns, weil die Warteschleifen des
einen oder anderen Boots ohne klaren Kurs durch seine
Fährstrecke geführt haben. Als ich mit ihm rede,
werden wir gleich Freunde – er hat „vor hundert
Jahren“ auf einem Folkeboot Segeln gelernt. Fazit: Der
Abstecher ist ein voller Erfolg, auch wenn Karsten weiterhin mit
köttbuller
statt Würsten Ruder gehen muss. Wobei der
ja behauptet, er habe abends nur noch ein Schwein
gesehen, und welche
Wurst wohl aus dem zweiten geworden sei…
Mittwochmorgen:
Fünf Windstärken stehen auf der Hafeneinfahrt. Lange
habe ich sie vor mir hergeschoben und nur gedacht, es werde schon
klappen – jetzt steht sie im Raum, die Frage, wie wir hier
rauskommen. Die Ausfahrt ist ganz in Luv, das Becken eng, und vor uns
liegt eine einheimische Yacht im Weg. Sollen wir mit dem
„Hanö-Manöver“ rauskreuzen?
Ernst, Angie und Karsten waren letztes Jahr dabei - es wäre
ziemlich exakt das Hanö-Manöver,
aber mit zwei
entscheidenden Unterschieden: Auf Hanö ist das Hafenbecken
viel größer – es wäre
möglich gewesen, abzudrehen, einen Kringel zu segeln und einen
neuen Anlauf zu nehmen. Auf Hjarnø? Keine Chance, es muss
auf Anhieb klappen oder geht im großen Stil schief.
Draußen jedoch ist hier kein Meter Seegang, sondern
überhaupt keiner, und auch keine Legerwallsituation am Strand,
sondern man könnte, wenn man erstmal die Einfahrt passiert
hat, gefahrlos einfach lostreiben und bei Gelegenheit das eine oder
andere Segel setzen. Also rausmotoren? Keine Chance! Nicht, weil es
unmöglich, riskant oder sonstwie unpraktikabel wäre
– die Gäste möchten das nicht. Sie
möchten eine seglerische Lösung für ein
seglerisches Problem, notfalls eine unorthodoxe.
Ich
fühle mich auf angenehmste Weise umgeben von Menschen, die
sich meine Art des Segelns längst zu eigen gemacht haben. Und
auf dem Rückweg vom Klo kommt mir die Idee zu einem
Leckerbissen für Freunde kreativer, kontrollierter,
gemeinschaftlicher Hafenmanöver: Wir ziehen das ganze
Päckchen an die Kranpier. Wie? Ich werfe von dort eine lange
Leine zu unserem Molenkopf. Jemand muss mal kurz das Nachbarboot
betreten, um die Leine außen herum zu führen, dann
knüppert Ernst sie an Olis Bugklampe an. Holt sie stramm
durch, bis Paulas Vorleine Lose bekommt.
Ich
werfe alles los, was das Päckchen noch mit dem Land verbindet
und springe auf. Ernst und Karsten ziehen an der langen Vorleine, die
Boote nehmen Fahrt auf. Allerdings eher auf Halbwindkurs - vier
Langkieler im Päckchen verhalten sich deutlich anders
als ein einzelnes Boot. Wer nicht
an Leinen zerrt, steht irgendwo bereit zum Abhalten, weswegen niemand
eine Hand freihat für Fotos und
Videos, was schade ist, denn es werden nicht jede Woche
Viererpäckchen durch den Hafen gezerrt. Saltys Bug erreicht die
Kranpier. Als jedes Boot eine
eigene Vorleine hat, an der es geduldig auswehen kann, lösen
wir das Päckchen auf. Paula liegt jetzt der Ausfahrt am
nächsten, also bin ich heute der erste, der das Groß
setzt, die Vorleine löst, abstößt
– und weil die Pinne schon liegt und die Großschot
schon dicht ist, segelt Paulchen souverän aus dem Hafen. Ich
bleibe gleich am Mast und setze die Fock.
Der
anschließende Segeltag ist großartig. Der Wind
übersteigt nie die Prognose von maximal fünfer
Böen, schwächelt manchmal gar, aber niemals
nachhaltig. Die achtzehn Meilen nach Tunø schaffen wir in
drei Stunden vierzig Minuten, das ist schon wieder ziemlich genau im
Fahrplan. Paula kreuzt in die Abdeckung des Hafens, der um diese Uhr-
und Jahreszeit reichlich Platz bietet. Wieder erreichen wir butterweich
einen Pfahl. In die Doppelbox passen nachher dreieinhalb Folkeboote
locker rein. Es zeigt sich dann aber, dass zum gelungenen Anlegen unter
Segeln mehr gehört als der Wunsch, auf den
Außenborder zu verzichten: Unter anderem reichlich Erfahrung.
Die Gäste fangen gerade erst an, sie zu sammeln –
und heute ist eine neue Situation.
In
Stagodde mussten wir einfach vom Fahrwasser auf den Steg zu fahren und
rechtzeitig die Großschot öffnen. In Middelfart war
so wenig Wind, dass man die letzten Meter wriggen konnte. Auf
Hjarnø dann der Rückenwind. Hier muss man durch
eine auch nicht sehr breite Einfahrt kreuzen – und die
Gäste sind darauf nicht eingestellt. Sie nehmen sich auch die
Chance, sich per Funk über die Gegebenheiten zu informieren:
Als ich noch mit Anlegen beschäftigt bin, kommt Frieda schon
hinterher. Für sie ist das Einlaufen ein Anlieger, offenbar
kam sie mit mehr Schwung als Paula. Oli und Salty versuchen dicht
nacheinander ebenfalls, die Wende in der Einfahrt zu vermeiden. Im Wind
stehend treiben sie mit der nächsten Bö
längsseits ans Gebälk. Aber das macht nichts, wieder
war es ein grandioser Tag. Ich beginne allmählich, diese als
unsere bisher gelungenste Sommerreise zu begreifen.
Wer
auf sommerliche Hitze und Badewetter gehofft hatte, wird dem nur
bedingt zustimmen – abends ist es wieder einmal recht
kühl. Ich baue unter wolkenlosem Himmel die Kuchenbude auf, um
den Wind auszusperren – jetzt finde ich es angenehm. Ernst
geht einen Schritt weiter und kramt den Heizlüfter hervor. Ich
bin aber froh, dass mir nicht schon vom Nichtstun der Schweiß
ausbricht, und beim Segeln habe ich schon in jedem Kalendermonat
Wollpullover und Strickmütze getragen, diesmal bleiben sie
bisher unter Deck. Wir hatten aber auch hauptsächlich
Rückenwind. Dank der Witterung sind die Häfen recht
leer, das ist auf jeden Fall ein Vorteil. Und das Vorhaben, uns nur
schöne Orte aussuchen, klappt bisher. Tunø zum
Beispiel ist eine hübsche Insel, im Sommer voll, jetzt
erträglich leer, und es gibt einen Kaufmann. Im Hafen steht
anstelle eines Spielplatzes ein Balancier-Parcours mit teilweise
festen, teilweise schwingenden Rundhölzern, auf denen man sich
halten muss. Eine ausgezeichnete Idee: Balancegefühl ist
unglaublich wichtig für sicheres Bewegen an Bord. Ich mache
gleich mal den Test – und kann es noch.
Donnerstagmittag
werden wir auf eine weitere Tugend hin getestet: Heute steht die
obligatorische Geduldsprobe auf dem Programm. Aus anfänglich
vier Knoten werden zwei, dann einer, schließlich ein halber.
Eine fiese Strömung versetzt uns um vierzig, fünfzig
Grad Richtung Samsø – wir müssen
aufpassen, nicht auf Legerwall zu geraten. Die Segel schlabbern
träge in der Dünung, der Verklicker huscht in einem
Hunderachtziggradsektor hin und her. Weil der Wind voraus immer
schwächer wird, holen die letzten die zuerst abgelegten Boote
ein, wir treiben im Pulk. Es ist T-Shirt-und-barfuß-Wetter.
Paula
findet, dass das ein achterlicher Wind ist. An kaum etwas ist das
festzumachen, außer der Prognose von Südwest 2-3,
aber sie hat Recht, im Schnitt zeigt der Verklicker eher
schräg nach hinten. Ich baume die Fock aus. Sofort haben nicht
nur wir wieder zwei Knoten, sondern auch die anderen drei Boote, obwohl
die noch gar nicht ausgebaumt haben. Aus den zwei Knoten werden drei,
dann vier, dann dreieinhalb, und die genügen, um zur roten
Tonne an der Nordspitze Samsøs zu kommen. Weg mit dem
Ausbaumer, wir luven an – und haben auf einmal
Südwest 4-5. Höhe laufen ist gefragt. Die rote Tonne
an der ersten Untiefe des Stavns Fjord ist noch gar nicht in Sicht,
doch ich bin sicher, sie gerade so eben anlegen zu können.
Barfuß ist mir zu kalt. Beim Schuheanziehen läuft
Paula für zwanzig Sekunden nach Lee aus dem Kurs. Die Tonne
verpassen wir um
die dabei verschenkten fünfzig Meter. Ein kurzer Holeschlag
also, dann sausen wir
weiter in den Stavns Fjord.
Der
Hafen ist wie erwartet recht leer. An der Innenseite der Ostmole liegt
noch überhaupt niemand. Klug wäre, ganz nach Luv
durchzusegeln zur Südmole und von dort zu einem
schönen Liegeplatz zu verholen. Es ist aber zu verlockend,
entlang der langen Pfahlreihe einen Aufschießer zu fahren und
Paula da, wo sie stehenbleibt provisorisch anzubinden. Erst jetzt
realisiere ich, dass der Wind genau entlang der Pfähle weht.
Von Hand durch Abstoßen von Pfahl zu Pfahl kommen wir nicht
nach Luv – ohne Ruderwirkung würden wir
zwangsläufig von den Pfählen weggepustet. Hm. Das
Groß ist ja noch oben. Ich nehme die Schot dicht,
löse die Vorleine, stoße den Bug ab, und wir kreuzen
ein Stück weiter in die Ecke, in die ich möchte. So
richtig zu Ende gedacht habe ich es aber nicht. Letztlich liegen wir am
falschen Pfahl. Ich stoße zu zaghaft ab, um den richtigen zu
fassen zu kriegen. Schnell die Achterleine drauf scheitert daran, dass
sie am Heck bereitliegt und ich auf dem Vorschiff stehe. Paula treibt
zur Seite, erreicht den Steg, aber ohne Achterleinen. Das ist kein
Problem, es dauert nur ein bisschen: Ich ziehe sie am Steg entlang ein
Stück gegen den Wind, wo wir drei kürzere
Pfähle haben, an denen wir uns nochmal raushangeln
können für die Achterleinen. Der
äußerste, wo ich eigentlich die Luvleine drauflegen
will, wackelt bedenklich – bei vier Windstärken von
der Seite bezweifle ich, dass er die ganze Nacht durchhält.
Also einen weiter, Achterleinen auf solide Pfähle, dann
hangeln wir uns zurück.
So
schön es ist, dass kein Boot zurückfällt,
sondern wir jeden Tag gleichzeitig ans Ziel kommen, und dass die
Gäste so angenehm selbstbewusst agieren – es
führt erneut dazu, dass sie zu früh, zu dicht
nacheinander und ohne Funkberatung einlaufen. Sie imitieren meinen
Fehler, halten an Pfählen weiter in Lee provisorisch an.
Frieda kommt sogar mit zu viel Schwung, um sich hinten einzureihen,
sondern segelt noch um Oli herum. Nun beginnt ein
kräftezehrendes Manöver von Pfahl zu Pfahl: Thomas
belegt das Ruder hart backbord, stößt Salty ab,
läuft am Pfahl mit, gibt weiter Schub und drückt das
Heck nochmal weg, den Bug also ran an den nächsten Pfahl, wo
er schnell hinlaufen muss, um das Boot dort wieder zu sichern. So geht
das sechs oder acht Mal, Thomas kommt ins Schwitzen, aber er besteht
die Prüfung mit Auszeichnung. Frieda, Ernst und Inge haben den
Vorteil der zusätzlichen Person: Ernst beschleunigt, Inge
drückt das Heck weg, das geht mit weniger Lauferei als bei
Thomas und Salty, und ist letztlich erfolgreich. Angie und Karsten
finden nicht den gleichen guten Rhythmus wie die Geschwister. Als Olis
Bug zum dritten Mal von den Pfählen weggeweht ist und sie mit
dem Heck im Wind zu liegen kommen, schlage ich vor, dass sie einfach
zum Steg fahren und Ernst und ich Oli dann zu den Anderen ziehen. So
hätten wir das mit allen machen können, aber ich kam
bisher nicht zu Wort.
Endlich
können wir Anlegebier trinken und die wunderschöne
Landschaft bestaunen. Fast alle können wir das. Als wir
anschließend ins Restaurant gehen und uns die Bäuche
mit Makrele oder Lachs vollstopfen, kommt Karsten nicht mit. Er habe
über Tag sieben Würste gegessen und sei satt,
heißt es. Auf der Speisekarte steht sogar eine einzelne Wurst
mit Salat – aber selbst das kann ihn nicht locken. Ich
vermute eher, dass ihm das aus seiner Sicht misslungene Anlegen den
Appetit verdorben hat. Nun, er darf auch mal seine Ruhe haben wollen
oder einfach müde sein, wir respektieren das. Thomas und Ernst
haben sich noch nicht genug verausgabt. Nach dem Essen leihen sie sich
zwei Fahrräder und erkunden eine gute Stunde lang die
schöne Landschaft.
Karsten
müsste sich gar nicht grämen. Im direkten Vergleich
muss man Inge und Ernst loben, aber dann legen ja auch noch fremde
Boote an, manche souverän und vorbildlich, andere nicht ganz
so: Da wird zunächst zielstrebig eine erkennbar zu schmale Box
angesteuert. Der nächste Versuch scheitert an der Wassertiefe.
Im dritten Anlauf motoren sie in die Ecke mit dem wackligen Pfahl, den
ich vorher zwar nicht für standfest genug hielt für
unsere wichtigste Leine, der aber wichtige Dienste leistete beim
Verhangeln. Dieses Manöver geht nun nicht mehr: Die Yacht
räumt den Pfahl mit dem in Davits am Heck hängenden
Schlauchboot ab, er kippt einfach um. Der trockene obere Teil erzeugt
noch einen gewissen Auftrieb, die Spitze ragt aus dem Wasser. Das gibt
mir die Gelegenheit, mich bei dem Ding für seine letzte
Hilfestellung zu bedanken.
Während
wir am Donnerstagmorgen geruhsam auf Wind warten, bergen Thomas und ich
das gute Stück. Mit Paulas Enterhaken lässt er sich
mühelos ans Heck ranziehen und zum Steg führen, wo
Thomas schon eine Leine bereithält, mit der wir ihn auf den
Steg zerren. Karsten und Ernst sprinten gerade rechtzeitig dazu
– natürlich wird es immer schwerer, je weiter wir
den Pfahl aus dem Wasser hieven. Der wassergesättigte Teil hat
ein Mordsgewicht, und der trockene Teil liefert jetzt keinen Auftrieb
mehr. Wir packen den Brocken in eine Ecke am Steg und stellen beruhigt
fest, dass er genau am Grund abgebrochen ist. Da ragt also kein Stummel
ins Hafenbecken, sondern es fehlt einfach nur ein recht sinnloser
Pfahl. Ich biete ihn dem „Verursacher“ als Andenken
an – er hat nicht einmal gemerkt, dass er ihn umgelegt hat,
aber das ist auch nicht erstaunlich: Er war mit Anlegen
beschäftigt und der Kontakt nur sanft. Eindeutig waren
Bohrwurm und Bohrmuschel am Werk.
Dann
ist erstmal Briefing. Wo geht es hin? Ebeltoft war mal eine Idee, auch
Sejerø beziehungsweise Nekselø nebenan, aber in
Anbetracht der Wetterentwicklung verwerfe ich das alles. Heute nach
schwachbrüstigem Beginn ein schöner Nordost, Samstag
voraussichtlich Hafentag, Sonntag und Montag irgendwas Westliches und
danach für den Rest der Woche Südost – wir
können uns noch im Smålands Fahrwasser austoben,
aber nur, wenn wir rechtzeitig da sind. Ab heute geht es also nach
Süden. Die Strecke nach Korshavn briefen wir nicht nur auf dem
Wasserweg. Auch der Landweg ist diesmal wichtig, denn auf Frieda steht
der Crewwechsel an: Ernst bleibt, Inge steigt ab, Bruder Eckehard
löst sie ab. Er reist mit dem Auto an und muss wissen, wo er
uns findet. Karsten ist vorfreudig – die Kühlbox im
Auto enthält seine Wochenration Frankfurter.
Wir
legen gesittet ab (unkonventionell wie immer, wir segeln zwischen Steg
und Heckpfählen durch), kreuzen aus dem Stavns Fjord mit all
seinen Untiefen, wählen die Abkürzung auf zwei
Metern Tiefe zwischen Untiefen hindurch (Karstens Idee, sie spart uns
bei der schwachen Brise gegenan womöglich eine halbe Stunde)
und gehen auf Südkurs. Es beginnt langsam, wird schneller und
noch schneller und schließlich richtig schnell. Dann sind wir
da: Korshavn, der Naturhafen an der Nordostspitze von Fyn, immer einen
Besuch wert. Zeitgleich mit uns trifft Eckehard ein, aber wir
müssen erstmal anlegen. Die Liegeplätze, von denen
wir bei Westwind am besten wegkommen, sind heute nur vor Topp und Takel
zu erreichen. Je nach dem, wie früh man die Fock birgt, laufen
wir mit zwei bis zweieinhalb Knoten an die Pfahlreihe. Das kann man
nicht auf Anhieb aufstoppen, sondern sich mehrere Pfähle
hintereinander schnappen. Zwei Hecks ragen raus und müssen
umschippert werden.
Paulas
Anleger ist wieder sauber, kontrolliert und überaus gelungen
– aber kriegen die Gäste das hin? Thomas ist
einhand, Ernst und Karsten müssen am Ruder bleiben, Inge und
Angela haben nicht geübt, kräftig zuzufassen und
rechtzeitig wieder loszulassen, sondern sie brauchen klare Anweisungen,
und die kann man hier nicht wirklich geben. Und wie soll ich das alles
erklären, wo der Liegeplatz ist und wo die Hecks rausragen,
wenn die das noch gar nicht erkennen und optisch nachvollziehen
können? Der Weg zum Liegeplatz führt am Stegkopf
vorbei. Ich könnte mir wieder Achterleinen geben lassen und
daran bremsen, aber heute mache ich etwas anderes: Ich steige bei jedem
Boot auf und kümmere mich um die Pfähle.
Souverän legen wir ein Boot nach dem anderen an. Dann ist
erstmal Umarmung mit Eckehard dran.
So,
wie es hier aussieht, hat auch Korshavn in der Sturmflut stark gelitten
– so weit nördlich hätte ich das gar nicht
gedacht. Alles ist wieder heile, neu und schön,
außer dem halben Fischersteg. Mehr Erkundung ist nicht, der
Regen setzt ein. Eher zum Zeitvertreib fahre ich den Rechner hoch und
werfe einen Blick aufs Wetter – ich möchte nur
bestätigt wissen, was sich seit zwei Tagen angedeutet hat,
nämlich den morgigen Hafentag bei Pustefix. Doch was sehe ich?
Die siebener Böen fallen komplett aus. Morgens
schläft die jetzige Brise erstmal komplett ein, gegen zehn
entfaltet sich ein schöner Nordwest 4 mit Böen 5
strichweise 6.
Der
wird uns ein schönes Stück voranbringen. Ich finde
den Store Belt vergleichsweise arm an Sehenswertem. Die wenigen
Häfen sind erträglich, aber nichts Besonderes. Das
größte Highlight ist Musholm, aber das ist dann
schon wieder sehr spartanisch. Agersø hingegen
erfüllt alle Bedingungen: Siebenunddreißig Seemeilen
sind heute überaus machbar. Die Insel ist überaus
sehenswert, der Hafen hat Charme – und er bietet bei
reichlich Westwind perfekte Abdeckung. Ich klopfe mit dem Bootshaken an
die benachbarten Boote. Köpfe recken sich in den Regen, ich
kündige an: „Wir segeln morgen, Briefing um
neun.“
In
Korshavn fährt man am besten mit dem Fahrrad zum Klo. Um
sieben Uhr tun wir das bei Flaute und dichtem Nebel. Fyns Hoved
hätte bei schönem Wetter durchaus einen Besuch
gelohnt, es ist eine traumhafte Landschaft. Der Naturhafen selbst ist
ringsum von einem Kiesstrand umgeben, an dem nicht gerade eine
Blütenpracht gedeiht: Hier überleben nur
salzvertragende Ruderal- und Pionierpflanzen. Das sorgt für
eine gewisse Melancholie – und die kommt im Nebel
hervorragend zur Geltung. Die Gäste sind noch ein wenig
skeptisch, was der Tag bringen wird. Ich bin motiviert wie selten.
Während des Briefings kommt ein Brischen auf, der Nebel
lichtet sich. Kurz nach zehn legen wir ab – es beginnt ein
Spektakel, über das allein sich schon ein
ausführlicher Törnbericht schreiben ließe.
Voilá,
gleich sind es 4-5 Windstärken. Die Richtung passt so gut,
dass wir aus dem Hafen sausen und nach einer einzigen Wende zur
Nordspitze segeln können. Dort fallen wir ab und fahren an
Romsø vorbei einundzwanzig Meilen schnurgeradeaus. Das
könnte langweilig sein. Aber nicht bei 4 Böen 6 im
Store Belt: Ein bisschen Surfen, ein bisschen mitlaufende
Strömung, dazu immer noch die Melancholie einer scheinbar
endlosen, wolkenverhangenen, diesigen Landschaft.
Vor
der Store Belt Bro passieren wir den Tiefwasserweg, dicht hinter dem
einen Frachter und rechtzeitig vor dem folgenden. Ein guter Meter Welle
steht hier, die beiden Halsen, die zu fahren sind, sind durchaus
anspruchsvoll. Und die Boote bleiben die ganze Zeit extrem dicht
zusammen. Dauernd surft eines los und schießt
dreißig Meter voraus, dann surft sich das nächste
wieder heran. Es ist fast ein bisschen zu eng, weil sich ein tierisches
Anluven nicht in jeder höheren Welle verhindern
lässt. Es ist noch keine siebzehn Uhr, als wir in
Agersø in die wohltuende Abdeckung des Hafens segeln.
Liegeplatz vorm Fischlokal – das Abendprogramm ist schnell
beschlossen. Genauso schnell ist beschlossen: Wenn wir Sonntag segeln
wollen, anstatt in der Flaute zu dümpeln, sollen wir gegen
acht Uhr dreißig auslaufen.
Leider
kostet das den Gästen die Inselerkundung, beschert uns aber
neunzehn gemütliche Seemeilen weiter
südöstlich einen ganzen Nachmittag auf
Femø. So richtig kommt es wieder nicht zur Inselerkundung,
und das liegt am Anlegen. Wir haben beinahe den meisten Wind des Tages,
als wir platt vorm Laken in den noch komplett leeren Hafen
schießen. Paula fährt zwei Wenden und einen
wunderbaren Aufschießer im westlichen Becken. Hinter uns legt
die Fähre an, gefolgt von Frieda. Per Funk warne ich vor dem
Schraubenwasser und verspreche tolle Bedingungen fürs Anlegen.
Doch
Ernst lässt Eckehard das Groß zu früh bergen. Frieda
steht im Wind und verhungert, es fehlt mehr als eine
Bootslänge zum ersehnten Pfahl. Ernst wriggt mit aller Wucht,
aber gegen vier Windstärken rührt sich wenig. Ich
rate ihm, abzufallen und in die Ecke zu treiben, aus der ich Frieda an
der Vorleine zu Paula führe. Inzwischen ist auch Salty im
Hafen. Thomas lässt das Groß oben, öffnet
aber die Schot zu früh – ihm fehlt ein halber Meter.
Salty fällt ab, nimmt Fahrt auf – zum Glück
bekommt Thomas einen Pfahl zu fassen, und gemeinsam können wir
die zwei noch gar nicht richtig angelegten Boote stabilisieren, bis
alle Segel geborgen, alle Achterleinen ausgebracht sind. Oli treibt mit
offener Großschot an die Bunkerpier. Ernst treidelt sie von
dort zum Liegeplatz.
Wir
finden, dass das alles nicht so gut gelungen ist wie erhofft. Karsten
fragt, ob wir nicht gemeinsam ein bisschen üben
können. Und natürlich können wir das, Thomas
macht auch mit. Wir fangen an mit meiner Demonstration
„Verhangeln entlang der Pfähle“, bis wir
eine Position haben, an der wir mit gesetztem Groß ablegen
und abfallen können, ohne dass es kracht. Dann drehe erstmal
ich eine kleine Hafenrunde und segele Oli an einen Pfahl –
ich kann gar nicht genug davon kriegen, durch den Hafen zu segeln und
gelegentlich irgendwo anzudocken. Aber jetzt ist Thomas dran. Und weil
wir ein bisschen mittig zu liegen gekommen sind und wieder das Problem
mit dem rechtzeitigen Abfallen haben, verordne ich uns
Rückwärtsablegen mit backstehendem, weit
rausgedrücktem Groß. Das ist ein großer
Spaß – beim ersten Mal schaffen wir es,
im Bogen rückwärts zu segeln bis zur Halse. Olis Bug zeigt zur
Ausfahrt des Beckens, der Baum kommt über, sie fährt
los. Wer das selbst ausprobieren will, sollte wissen: Das Heck wandert
zu der Seite, zu der der Baum zeigt. Auch die Anleger machen jetzt
– bei erheblich weniger Wind – einen deutlich
besseren Eindruck. Karsten fährt zwei, Angie einen, zum
Schluss nochmal ich. Nach dem zweiten Anlegebier robbe ich in die Koje
zur Mittagsstunde.
Montag
ist zu wenig Wind für einen langen Schlag. Dazu passt gut,
dass ich finde, wir haben in der letzten Zeit genug Wasser bis zum
Horizont gesehen. Wir wählen also ein Kontrastprogramm: Zuerst
beschäftigen wir uns mit Tonnensuchen im seichten Terrain
zwischen Askø und Lolland, dann segeln wir auf einem Fluss
durch den Wald – unser Tagesziel ist Sakskøbing.
Da war ich auch noch nie, aber es verspricht nett zu werden. Es wird
sogar grandios!
Doch
bevor es so weit ist, legen wir erstmal ab. Karsten schlägt
vor, am Pfahl das Groß zu setzen und die Achterleine vorerst
auf dem Pfahl zu belassen, um das Abfallen zu unterstützen.
Nur mit der Fock funktioniert das – denn dann liegt der
Segeldruckpunkt deutlich vor der Gierachse. Nur mit Groß hat
Gerhard es vor zwei Jahren auf Sejerø auch schon
ausprobiert, längsseits an der Pier liegend. Und was
passierte? Martha dampfte in die Achterleine ein und klebte
förmlich an der Pier, anstatt abzuklappen. Nur mit
Groß liegt der Segeldruckpunkt nämlich weit hinter
der Gierachse. Und so fürchte ich, das würde auch
heute schiefgehen. Oli treibt los, Angie setzt zuerst die Fock.
Ernst
und Eckehard sind inspiriert von unserem
Rückwärtssegeln, möchten das auch
ausprobieren – und dabei entdecken sie versehentlich ein neues
Manöver: Frieda
hängt mit der Vorleine am Pfahl, das Groß ist
gesetzt und flattert in der Morgenbrise. Ernst drückt den Baum
raus und erwartet, dass das Heck nach Steuerbord wandert. Eckehard hat
aber die Vorleine noch gar nicht gelöst. Das backstehende
Groß drückt das Heck nach Backbord, bis Frieda
parallel zu den Pfählen liegt.
Rückwärtsfahren fällt aus, Frieda kann jetzt
gefahrlos anfahren und hat reichlich Platz zum Abfallen. Ich muss das
unbedingt selbst mal ausprobieren.
Nach
diesem Experiment gelebter Physik segeln wir schön durch den
wolkigen Morgen, kommen mit um die vier Knoten gut voran, finden die
Tonnen der ersten Rinne, wo die zwei Meter Solltiefe nicht
überall erreicht werden. Als wir uns in den
Sakskøbing Fjord einfädeln, ist die Morgenbrise
vorbei, und der Wind macht Pause. Eine Stunde später segeln
wir majestätisch durchs Grüne. Das Fahrwasser ist
deutlich enger, als selbst das des landschaftlich vergleichbaren
Haderslev Fjords. Es wird schöner und schöner, hier
steht ein Schloss, dort gibt es einen verlockenden Steg, und zuletzt
erreichen wir die Kleinstadt. Sakskøbing ist ein bisschen
lustig mit dem chaotischen Wechsel von Neu- und Altbauten. Angie findet
den SuperBrugsen „gefährlich“ –
offenbar hat Karsten am Wurstregal zugeschlagen. Wir liegen ruhig am
Rande der Innenstadt, die Gäste plaudern gerne mit den
Flaneuren.
Wir
dürfen gerne das Vereinsschiff betreten, die Toilette und den
Salon benutzen, sogar den Grill. Wir machen also Briefing im
maritimsten Ambiente, seit wir Briefings machen, an Bord eines alten
Fahrgastschiffes. Die Hafengeldbezahlerei per App war vielleicht ein
bisschen mühsam, aber Sakskøbing ist eine
Wohlfühlidylle – vielleicht, weil sich
völlig zu Unrecht selten jemand hierhin verirrt. Mit
Westenwind rein, mit Ostenwind raus - es wird vielleicht nie wieder so
ideal passen. Das enge Fahrwasser aufzukreuzen, riecht nach einer
vierstelligen Anzahl von Wenden. Der versprochene Ostenwind trifft
pünktlich ein.
Die Sonne knallt, es
ist sommerlich warm bis heiß, Wind schwach bis
mäßig und weiterhin – wie schon die ganze
Reise - achterlich. Wir üben uns weiter im Tonnensuchen, dann
geht es an der Nordseite Lollands entlang auf Kursen, die uns
zuverlässig von Untiefen freihalten, nach Onsevig. Nur bis
Kragenæs wäre heute zu kurz gewesen und morgen zu
lang. Um mit der schönen Abendbrise noch einen weiterzusegeln,
sind wir zu ausgelaugt von Knallsonne, Schwebfliegenschwärmen
und Schwachwindgedödel. Außerdem war ich da noch nie
und möchte es gerne ausprobieren. Also legen wir an.
Zuerst
ist meine Euphorie gedämpft. Ich hätte es mir denken
können, dass hier – in der Nähe des
früher so fischreichen Langelands Belt – jenseits
nenneswerter Ortschaften nur ein schraddeliger Angelboothafen sein
kann. Vermutlich war es früher ein Fährhafen, jetzt
ist hier viel Beton und Teer. Karsten vermutet schon, dass ich hier nie
wieder hinfahren würde. Doch nein: Auf den zweiten Blick hat
das alles durchaus Charme, vieles ist liebevoll hergerichtet
für die Gäste mit Boot, Wohnmobil oder vor allem
Kajak, wofür diverse Shelter aufgestellt sind. Die
Gebäude sind einheitlich blau mit weißen
Türen. Es gibt alles, was wir brauchen
einschließlich eines grandiosen Blicks aufs Wasser, und vor
allem haben wir total unsere Ruhe.
Das
eigentliche Ziel ist aber am Folgetag das sagenumwobene Albuen. Wir segeln erstmal
munter los, gehen nach Passieren diverser Wracks und Untiefen auf
Südkurs – und bleiben stehen. Segeln ein
Stück weiter, bleiben wieder stehen. Der Gradientwind aus Ost
und die Seebrise aus West rangeln miteinander, wir sind die
Leidtragenden. Eine Weile finden wir unser Wohl dichter unter Land, als
wir angesichts der Untiefen eigentlich sein wollten, dann sieht das
Gekräusel nach einem insgesamt stetigen Windfeld aus, doch die
Illusion trügt, sondern wir treiben wir nur noch. Ich
betrachte das als eine Aufgabe, die uns gestellt wird. Ernst kann es
nicht genießen – in der Flaute treiben
könnte er auch am Bodensee. Wir sind auf nur drei Meter
Wassertiefe - ich denke darüber nach, bis zur Abendbrise zu
ankern und mich in die Koje zu verkriechen in der Hoffnung, dass die
Mücken mir nicht folgen.
Doch
dann bringt uns ein Nordwest mit drei Knoten an die Einfahrt des
Naturhafens. Jetzt wird es mal wieder spannend – Paula ist
noch nie nach Albuen rein gekreuzt. Die Rinne am Anfang können
wir geraaaaaaade so anlegen. Im weiteren Verlauf gibt es furchtbar
wenig Wind mit kleinen Drückerchen aus allen Richtungen, dazu
Steine und Untiefen – und schließlich einen letztes
Jahr neugebauten Steg, der jetzt wieder hält, was er
verspricht. Die Charterer treffen fünf Minuten nach uns in der
Bucht ein und finden zunächst gar keinen Wind - bis der
Südost einsetzt: Schoten auf und los.
Wer
Albuen noch nicht kennt, hat bisher etwas verpasst - es ist ein
besonderer Ort. Eine lange Sandbank umhüllt den Naturhafen und
schützt ihn aus allen Richtungen (nur bei Südost, wie
wir ihn nun haben, liegt man ein wenig unruhig). Früher gab es
hier eine Lotsenstation und sogar eine Schule, heute eine
Komposttoilette für uns Gäste. Am Nachmittag sind
noch Tagesausflügler da, abends haben wir Albuen für
uns allein. Ein local gesellt sich dazu: Das gelbe Haus ist sein
Sommerhaus, eigentlich lebt er in Kopenhagen. Das Haus hat vorher dem
letzten Fischer von Albuen gehört, der 2002 gestorben ist. Der
alte Mann hatte große Angst vor Städten mit all den
Leuten und Autos, die er nur vom Hörensagen kannte –
bei Sturm mit einem kleinen Fischerboot auszulaufen, schreckte ihn
nicht. Die Straße nach Albuen ist seit der Sturmflut letzten
Herbst nicht mehr befahrbar, die Bewohner kommen per Motorboot zu ihrer
Behausung. Und offenbar freut sich der Mann über seine
hölzernen Gäste und ihre Crews.
Ich
checke das Wetter: Donnerstag Spätnachmittag kommt schon die
Kaltfront. Und zwar eine richtig ruppige mit Blitz und Donner, Hagel
und Böen von neun Beaufort. Aus Ankern im Lindelse Nor wird
also nichts, wir brauchen einen sicheren Hafen, den wir rechtzeitig vor
dem Unwetter erreichen und von dem aus wir am Freitag kommod nach
Thurø kommen, wo die Reise endet. Klar ist: Bei bis zu drei
Knoten nordgehender Strömung müssen wir
nördlich um Langeland rum. Mein Blick fällt auf das
kleine, unscheinbare Dageløkke. Heute dreißig
Seemeilen und morgen neun – das ist ideal. Von Erik
weiß ich, dass er da gerne hinsegelt, dass ein Folkeboot
reinkommt und dass letztes Jahr von neuen Betreibern alles neugestaltet
wurde. Bisher hatte ich den Hafen als schraddelig und unattraktiv
abgespeichert und bin nie hingesegelt – doch jetzt bietet es
sich an, und ich bin sowieso gerade im Erkundungsmodus. Mein
Gefühl sagt: Vielleicht haben wir uns das Beste zum Schluss
aufbewahrt.
Vielleicht
ist Auslaufen übertrieben früh, doch wir
dürfen nicht riskieren, vor dem Nakskov Fjord wieder Stunden
in der Flaute zu verbringen, sondern müssen die Morgenbrise
nutzen. Und genau zum Sonnenaufgang abzulegen, erweist sich als
großes Geschenk für alle, die ihn normalerweise
verschlafen. Der Wind hat auf Ost gedreht - die Bucht wird genauso ein
Anlieger wie der anschließende Weg nach Norden. Nur die enge,
schmale Rinne müssen wir aufkreuzen. Vor allem Karsten ist
nervös, er muss das als Erster probieren - aber alle schaffen
es, kein Boot kommt fest. Es geht sogar richtig gut –
vierkant gegenan in einer engen Rinne bedeutet, dass die einzelnen
Schläge viel länger sind, als die winzigen
Holeschläge bei einem Streckbug.
Bis
Tårs kommen wir mit gut fünf Knoten voran wie
erhofft (und viel schneller, als befürchtet). Die Morgenbrise
hält. Kurz nach der Fährstrecke bekommen wir einen
Eindruck, wie stampfig es sein könnte, wenn bei erheblicher
Dünung der Wind schwächelt, doch wir landen nie unter
dreieinhalb Knoten. Als wir das tiefe Wasser und somit die
Hauptströmung erreichen, wird es ein großer
Spaß: Bei vier Windstärken segeln wir entspannt mit
8 Knoten über Grund! Weg T überqueren wir ohne
jegliche Großschifffahrt in der Nähe. Um neun Uhr
sind wir an der Nordspitze von Langeland. Um halb elf erreichen wir
Dageløkke – und es wird erneut spannend. Der
Hafen, auf den wir zurasen, ist klein, die Einfahrt eng und mit Wind
genau gegenan, der Vorhafen stellenweise seicht, und wie es drinnen
aussieht, kann ich von draußen nicht erkennen. Da ist kein
einziger Mast, es wird wohl nicht voll sein mit Motoryachten, also bin
ich optimistisch, nehme aber früh die Fock weg und mit
offenerer Großschot ein bisschen Fahrt raus. Wir brauchen
allerdings genug Schwung: In der Einfahrt kann man garantiert keine
Wende fahren.
Es
klappt, Oli und Paula landen im Becken und legen an. Ich bin hellauf
begeistert! Der Hafen ist ein echtes Kleinod vor der Haustür,
inklusive gemütlicher Cocktail- und Tapas-Bar. Anlegen ist
kein Problem, das Einlaufen nur bei Ostwind so spannend, wenngleich ich
sofort verstehe, warum Erik das hier so gerne mag. Frieda verhungert
vor der Einfahrt, Salty verpasst sie und kommt fest, aber beide lassen
sich mühelos von Hand ins Becken treideln. Am späten
Vormittag beginnt nach Aufklaren und Anlegebier das Relaxen:
Mittagsstunde, Dusche, Strand. In Kombination mit dem
großartigen Segeltag haben wir uns das Beste wahrhaftig
für den Schluss aufgespart.
Dageløkke
gehört seit letztem Jahr einer Familie, die hier zu viert eine
Menge in Gang gesetzt hat. Restaurant, Stege, Sanitäranlagen
– alles nagelneu und liebevoll arrangiert. Die Einfahrt ist
auf 2,50 Meter Wassertiefe gebaggert (aber nur, wenn man sich zwischen
der grünen und der roten Tonne hält, das konnten wir
bei Ost nicht, sondern mussten von Nordwesten her ransegeln, und da war
es kurz vor Festkommen. Es gibt aber ja auch andere Windrichtungen, und
ich habe auch von Folkebootseglern gehört, die ihren
Außenborder benutzen).
Und
dann sind da die sieben Frösche – Kim ist
trotz unternehmerischen Mutes und vieler strategisch kluger Ideen vor
allem Künstler. Der Legende nach halten sie den Tag
über still und denken sich ihr Teil, doch abends, wenn keine
Menschen mehr herumlaufen, erwachen sie zu Leben. Im Bild sehen wir
Nynne, die Sängerin mit der Stimme einer Lerche. Was Kim
erzählt, klingt genauso, wie ich es mit meinen Booten
wahrnehme – ich fühle mich ein bisschen zu Hause.
Ich
rate allen: Kommt her! Legt hier an, trinkt Bier und Cocktails, esst
köstliche Tapas, damit das Unternehmen einen guten Start hat.
Es lohnt sich! Natürlich bestellt sich Karsten die Wurstplatte
– der Vorrat, den Eckehard mitgebracht hat, ist aufgegessen.
Ich erkläre mich solidarisch, bestehe auf einem Foto, bevor
wir uns über die Köstlichkeiten hermachen, und kann
das Essen uneingeschränkt empfehlen.
Der
Grund für das frühe Aufstehen, die gewittrige
Kaltfront, verspätet sich, und Langeland bleibt weitgehend
verschont, spätabends fällt leichter Regen
– aber das konnten wir nicht wissen, sondern mussten vom
Schlimmsten ausgehen. Vieles spricht dafür, dass
späteres Auslaufen einen langen, zähen Tag mit vielen
Flautenphasen bedeutet hätte. Also: Wieder alles richtig
gemacht! Jetzt müssen wir nur noch rüberhuschen nach
Thurø zum Crewwechsel.
Kurze
Huschen zum Crewwechsel sind oft unspektakulär, und ich
erwarte Ähnliches. Morgens kurz vor acht ist im Hafen fast
kein Wind, draußen unstetes Gekräusel. Immerhin
machen wie etwas ganz Neues: Die Fockbausbaumer bleiben heute unter
Deck, sondern wir kreuzen! Oli setzt das Groß und legt ab.
Eckehard hat schon Friedas Vorleine in der Hand, aber Thomas und ich
sind schneller – nun liegt Salty am Pfahl, Frieda muss
warten. Ich weiß aber, dass Thomas zuerst alle Festmacher und
Fender in Ruhe verstaut, bevor er die Zeisinge löst und das
Groß setzt. Das ist total vernünftig, er ist
vorbildlich darin – aber während er das macht, ziehe
ich Paula an der Box, wrigge sie frech an Salty vorbei, setze vorm Wind
das Groß und korrigiere den Kurs in Richtung der engen
Ausfahrt.
Thurø
Rev können wir so gerade nicht anlegen, die Strömung
versetzt uns zusätzlich nach Norden. Ich sitze in Lee und
steuere nach den Trimmfäden der Fock. Als wir Fyn
näher sind als Langeland, haben wir Oli eingeholt und die
anderen beiden deutlich distanziert, aber ein Schauer über
Taasinge beschert uns zwar keinen Tropfen Regen, aber eine Bö
von 4-5 und einen Winddreher auf Südwest. In der Lunke Bugt
wird es mit dem Abziehen des Schauers ruhiger, und ich freue mich schon
auf gemächliches Anlegen beim Thurø Sejlklub.
Doch
daraus wird nichts: Sechser Böen waren zwar erst für
den frühen Nachmittag angekündigt, und es ist noch
keine elf Uhr, aber sie fegen schon durch den Svendborg Sund.
Thurø bietet keine Abdeckung bei Westsüdwest, aber
heute sind wir alternativlos festgelegt auf diesen Hafen. Segelbergen
ist ein Kampf, dann treibt Paula raumschots auf den letzten Steg zu und
wird richtig schnell. Aber ich kenne nicht nur unser Manöver,
sondern weiß auch schon, dass unser Lieblingsplatz neben dem
Badeponton frei ist. In aller Ruhe klappern wir die Pfahlreihe ab,
etwas Ruderlage Richtung Pfähle, und ich stehe am Vorstag und
nehme an jedem Pfahl ein bisschen Fahrt raus. Vor Stegmitte ist Paula
unter Kontrolle, ich muss sie nur noch dirigieren. Und dann
längsseits anlegen. Unterwegs finde ich Zeit, Martha, Gerhard
und Inge zuzuwinken – ein schönes, buntes
Wiedersehen.
Nur
müssen wir erst noch die anderen heil an den Steg bringen. Es
ist das gleiche Manöver wie vor einer Woche in
Langør, aber bei zwei Windstärken mehr, und diesmal
kann ich nicht am Stegkopf aufspringen und das Abbremsen selbst
erledigen – der damalige Anschauungsunterricht muss
genügen. Salty beordere ich zu Paula ins Päckchen, so
hat Thomas auch den langen Auslauf – klappt super. Friedas
Box ist im ersten Stegdrittel, aber da sind zwei starke Männer
an Bord, die fest rechtzeitig die Fahrt rauskriegen. Karsten
wäre lieber einen Aufschießer gefahren. Aber ich
weiß nicht…der Wind dreht dauernd, und da ist
wenig Platz zum Anlaufnehmen. Angie ist aber nicht gerade perfekt in
Pfahlmanövern. Sie hat die Vorleine in der Hand. Am Stegkopf
rate ich ihr davon ab – so, wie Oli mit bestimmt drei Knoten
angerauscht kommt, würde sie es nicht schaffen, das Boot mit
der Leine sofort aufzustoppen. Das Problem ist nicht fehlende Kraft,
allenfalls mangelt es an Selbstbewusstsein und Routine, sie
einzusetzen. Dass Oli irgendwann sicher zum Stehen kommen und an einem
Pfahl festgebunden sein wird, steht außer Frage. Nur
müssen Karsten und Angie sie jetzt von Hand
zurückverhangeln, denn am letzten freien Liegeplatz sind sie
weit vorbei. Verhangeln ist nicht ihre Stärke, aber
natürlich wird weiterhin nicht der Außenborder
benutzt! Sie schaffen es Schritt für Schritt zu Friedas Heck,
wo Ernst aufsteigt und die beiden unterstützt. Dank der
Sorgeleine in der Box ist das Manöver letztlich gar keine
große Sache.
Diese Reise ist vorbei. Es war wirklich eine besonders gelungene Reise,
und das aus mehreren Gründen:
-
Die Gruppe: Überaus harmonisch und von hoher sozialer
Kompetenz und Sinn für Humor, und dazu der richtigen
Einstellung zur See, zum Segeln und den eigenen Fähigkeiten.
Auf dem Wasser sind wir bei sechs und bei zwei Windstärken
dicht zusammengeblieben. Mit allen habe ich gerne Zeit verbracht und
nicht nur auf hohem Niveau übers Segeln gesprochen, sondern
auch über andere Themen, die uns bewegten – das ist
nicht herausragend, so geht es nämlich schon die ganze Saison,
aber es ist auch keineswegs selbstverständlich, deshalb muss
es erwähnt werden mit entsprechendem Dank an Karsten, Angie,
Ernst, Eckehard, Inge und Thomas.
-
Wir hatten kein weit entferntes, vorher festgelegtes Ziel, sondern
konnten bei der Törnplanung innerhalb eines groben Rahmens
ständig aus den Vollen schöpfen. So gelang eine gute
Mischung aus weit nach Norden und ein Stück nach Osten, aus
offenem Wasser, lieblichen Sunden oder Fjorden, sehenswerten
Städten und gemütlichen Inseln – wie es
angestrebt ist und meistens auch gelingt. Es ist aber bemerkenswert und
ein Novum, dass jeder einzelne Hafen bewusst gewählt war und
sich als Highlight entpuppte. Wir hatten ausschließlich
kleine und minikleine und vor allem charmante
Wohlfühlhäfen, denn wir mussten kein einziges Mal in
einem reizlosen Bootsparkplatz oder einer nervigen Kommerzmarina
übernachten, weil es entlang der Strecke keine sinnvolle
Alternative gab. Manche hatten wir für uns, oft waren wir in
der Überzahl, und so gab es kein blödes Gequatsche,
das Andere für Seglersmalltalk halten, sondern eine exklusive
Tour mit vielen Kontakten zu den locals und Einblicken in das Da und
Dort.
-
Dabei haben wir in bekanntem Revier bewusst viel Neues erkundet.
Zwischen dem Verlassen der Schlei und dem Erreichen des Zielhafens
Thurø sind wir zwölf Häfen angelaufen.
Vier davon waren auch für mich komplett neu. In zwei weiteren
war ich vor über zehn Jahren das letzte Mal. Die restlichen
sechs würde ich jede Woche anlaufen, wenn ich es
könnte, weil ich es dort so schön finde.
In acht waren wir zum ersten Mal als Flottille in Begleitung der
Charterboote. Von den Gästen kannte Ernst zwei von ihnen und
war nicht böse, sie wiederzusehen – alle anderen
bekamen jeden Tag sehenswertestes Neuland geboten.
-
Wir konnten jeden Tag segeln. Aber wir sind nie gesegelt, nur weil wir
vorankommen mussten – jede Meile war kurzweilig und ein
Genuss. Knapp über 300 Seemeilen ist viel für nur
zwei Wochen, und dabei waren es meistens eher kurze Schläge um
die 20 Meilen, längere nur, wenn es entsprechend gut lief (und
das hat uns jeweils an zweckmäßigen Zwischenstopps
ohne Charme vorbeigespült).
-
Bis auf den letzten Tag war auf der Hauptstrecke immer achterlicher
Wind. Immer mal gab es eine kurze Kreuz vom Hafen weg oder zu ihm hin,
für Abwechslung war also gesorgt, aber wir sind nicht in die
Falle einer ermüdenden ganztätigen Kreuz getappt.
Selbst auf dem Weg von Albuen nach Dageløkke kamen die
Fockausbaumer zu einem kurzen Einsatz.
-
Die Außenborder liefen alle in Kappeln für die
Klappbrücke (wir wären mit dem Wind auch ohne
durchgekommen, aber es gehört zur guten Seemannschaft, das
zügig zu erledigen). Danach haben Frieda und Salty in Maasholm unter
Motor angelegt, Oli sich in Tunø von der Pier freigearbeitet. Ansonsten lief kein Außenborder mehr, alles
wurde unter Segeln erledigt! Das ist wirklich phantastisch –
und noch nie dagewesen!
Sprachlos freue ich mich auf die nächste Reise mit der
nächsten tollen Gruppe.
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